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Leichenberg 06/2002

 

Hurra, da ist er endlich: Der erste Post-9-11-Roman, den ich auf deutsch in die Finger bekomme. Unternehmen Hydra von Raymond A. Scofield (Knaur). Schnell geschrieben, schnell übersetzt (so schnell, dass der Verlag mal lieber gar keinen Übersetzer nennt - oder keiner der Übersetzer genannt werden will - oder sollte sich gar gleich ein flinker deutscher Autor verbergen?) und schnell auf den Markt gebracht. Ingredienzien - alles, was man sich vorstellen kann: Anthrax, afghanische Höhlen, Herr Bin Laden, der hier »der Prinz« heisst, libanesische Grosschurken, russische Afghanistanveteranen, palästinensische Selbstmordattentäter, wahnsinnige CIA-Schergen, dumme Politiker, gewissenlose Killerinnen, wackere Delta-Force-Kämpfer und vieles, vieles mehr. Hört sich ganz abscheulich an, ergibt aber ein absolut wunderbares, spannendes, paranoides und sehr, sehr witziges Buch. Scofield spielt mit jedem denkbaren Sujet, überrrascht bei jedem Handlungsstrang noch auf den letzten Metern mit wirklich guten Twists und verkehrt so ziemlich jedes Klischee ins Gegenteil und wieder zurück und wieder andersrum. Grosse Prosa ist bei so einem Schnellschuss nicht zu erwarten gewesen - aber ein so amüsanter und letztlich realitätstüchtiger Roman auch nicht. Allerfeinste Kolportage.

Erfreulich auch das Fortschreiten der Joseph Hansen-Ausgabe bei Pink Plot im Argument-Verlag: Mit Tyrannenmord ist gerade der vierte Band mit den Abenteuern des Versicherungsdetektivs Dave Brandstetter erschienen. »The Man Everybody Was Afraid Of« (so der Originaltitel des 1978 erschienen Romans) war Ben Orton, Polizeichef in La Caleta, CA, einer jener selbstherrlichen, erzreaktionären und natürlich homophoben Chiefs, ohne die die amerikanische Kriminalliteratur nicht auskommt. Orton war pikanterweise auch ein guter Freund von J. Edgar Hoover - und all das macht den Job für Brandstetter, der die genaueren Todesumstände für seine Versicherung untersuchen soll, nicht gerade bequem. Wie immer ist Hansens Prosa von lässiger, unaufgeregter Eleganz, und wie immer bietet er ein genau gezeichnetes, weil genau beobachtetes Bild von Zeit und Ort und präzise Ansichten vom Innenleben seiner Figuren. Hansen ist ein Klassiker. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen.

Auch klassisch sind die Kurzgeschichten von Henry Slesar, der vor ein paar Wochen bedauerlicherweise gestorben ist. Babyboom heisst die aktuelle Sammlung, die gerade bei Diogenes erschienen ist und Texte aus den Jahren 1988-2002 versammelt. Slesars Methode war immer, die berühmte Leseerwartung zu düpieren - also erwartet man genau das und fragt sich, wie rum er`s diesmal macht. Rundum nette, erfreuliche Lektüre, heitere Mordsgeschichten und ein Alltagspanorama moderner Zeiten.

Mit etwas Verspätung, aber dennoch soll auf Peter Robinsons bisher ambitioniertesten Roman seiner Serie um Inspector Alan Banks hingewiesen werden: In einem heissen Sommer (Ullstein). Es geht um einen uralten Mordfall aus dem 2. Weltkrieg, den Banks ex post löst. Damit verändert er auch die Gegenwart einiger Menschen. Feiner, klassischer Polizeiroman mit gut recherchiertem historischem Unterboden. Und einem lustigen Übersetzungsklops: Die »Schlacht von Bulge« - gemeint ist »The Battle of the Bulge«, die Ardennenschlacht 1944, wie sie bei den Anglos heisst.

Zum Schluss was ganz Merkwürdiges: Der Krimi-Finder von Wino Malski (Waxmann) - eine Beinahe-Bibliographie von Krimi-Tbs von 1950-2000, weil sie nur nach subjektiven »mag ich/mag ich nicht«-Kriterien ausgewählte Titel erfasst. Wenn das jeder macht, haben wir bald 500 Teilbibliographien von jedem, der seine Druckkosten zahlen kann, zum fröhlichen Zusammenstoppeln. Schöne Aussichten.

 

© Thomas Wörtche, 2002

 

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