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Leichenberg 05/2016

 

Der Anruf

Ein klassischer Spionageroman als Kammerspiel. Zwei Menschen treffen sich zum Abendessen in einem Restaurant und diskutieren, wer wohl der Maulwurf war, der eine Geiselbefreiungsaktion der CIA in Wien verraten hat, die zur Katastrophe wurde. Der Anruf heißt dieser kompakte Roman von Olen Steinhauer (Blessing), denn wer einen einzigen Anruf gemacht hat, der einhundertzwanzig Menschenleben gekostet hat, das ist die zentrale Frage. Eigentlich ist die Affäre schon erledigt und bei den Akten, aber ein paar beunruhigende Widersprüchlichkeiten sind übriggeblieben und sollen endgültig aufgeräumt werden. Deswegen wird Henry Pelham von der Wiener Station losgeschickt, um seine aus dem Dienst ausgeschiedene Ex-Geliebte Celia Favreau noch einmal auf Herz und Nieren zu vernehmen. In aller alter Freundschaft, in einem In-Restaurant in dem In-Städtchen Monterey in Kalifornien. Bei Red Snapper, Kalbsbrust und Chardonnay beginnt ein Rededuell über Liebe, Verrat, Loyalität und den human factor im eisigen Geheimdienstgeschäft. Die Weltgeschichte scheint beim intimen Tête à Tête zu einer Beziehungskiste zusammen zu schnurren. Aber der Anschein ist lediglich ein wichtiger Faktor in den Rochaden um Leben und Tod. Die Suche nach dem Maulwurf, die den eigentlichen Kern des Spionageromans ausmacht, ist normalerweise eine epische Veranstaltung, aber Olen Steinhauers verdichtende Étude gibt dem topischen Thema einen neuen Reiz. "Liebe kann tödlich sein", heißt es einmal bei seinem Kollegen James Grady. Wie giftig, wird sich am Ende erweisen, nachdem sich unser Paar nach aller Kunst der Manipulation und unter Einsatz sämtlicher Psychotricks einer Zimmerschlacht beharkt und ineinander verbissen hat. Da sitzt jedes Wort, jedes Detail, jede Nuance. Das ist die Hohe Kunst der Reduktion, Komplexität auf engstem Raum. Und ziemlich gemein.

Das abenteuerliche Leben des Deadwood Dick

Sehr episch hingegen ist Das abenteuerliche Leben des Deadwood Dick vom Großmeister der Genre-Hybride, Joe R. Lansdale (Tropen). Deadwood Dick (ja, genau, dieses Deadwood, das wir aus der genialen, unvollendeten HBO-Serie mit dem dito genialen Ian McShane kennen, ein paar Personen begegnen uns auch hier) war eine historische Person namens Nat Love. Ein schwarzer Scharfschütze und Cowboy, der zu den mythischen Gestalten des Wilden Westens gehört. Endgültig berühmt wurde der historische Nat Love durch seine Autobiographie, der Lansdale ein anderes Narrativ entgegen setzt, das von Loves Suche nach einem Mörder und Vergewaltiger getrieben wird. Lansdale übernimmt das Erzähler-Ich der Autobiographie, bricht es ironisch durch einen "naiven", unheroischen Erzähl-Gestus - brillant von Conny Lösch übersetzt -, und zieht auch noch eine dritte biographische Ebene ein: Deadwood Dick ist der, allerdings weiß-gewaschene, Held von Westernheftchen, die sein Kollege Bronco Bill auf den Markt wirft. Insofern ist »Deadwood Dick« ein Roman über die Entstehung von populären Mythen, in denen sich Fakten und Fiktionen untrennbar verwischen. Das funktioniert prächtig, weil die Story so stark ist, sich über diesen Subtext, hinwegzusetzen. »Deadwood Dick« ist ein teilweise grausames, teilweise sehr komisches, teilweise tragisches Buch voller action und suspense. Lansdale, nach seinen etwas retardierenden coming-of-age-Romanen aus dem Sabine River-Universum, endlich mal wieder in Hochform.

Allesfresser

In eine reale Diskussion mischt sich auch Christine Lehmann mit ihrem nunmehr zwölften Lisa-Nerz-Roman ein: Allesfresser (Ariadne). Es geht um "Tier-Ethik", um Veganismus und Vegetarismus, darum, was wir Tieren antun und dem ganzen Planeten, also letztendlich um richtiges und gutes Leben. Für ihren Plot pointiert Lehmann die Frage, ob Tiereschlachten und Menschenschlachten ein moralisches Äquivalent sind. Um den Mörder eines geschlachteten und portionierten Fernsehkochs zu finden, muss Lisa Nerz erstmal erst Mal sich selbst und ihre Lebensführung in Frage stellen, weil sie mit ganz unterschiedlichen Menschen in Berührung kommt: Mit mehr oder weniger benevolenten Tierschützern, Umweltaktivisten, Drop Outs, Kapitalismus-Kritikern, mysteriösen Bloggern und Fanatikern. Lisa Nerz stellt Fragen, lernt differenzierte Positionen kenne, spricht mit sehr unterschiedlichen Menschen. Und so erweist sich »Allesfresser« als ein Roman, der weniger plot- oder character-driven ist, sondern diskurs-driven, wenn der Neologismus erlaubt ist. Damit wird auch der Roman Teil eines großen Diskurses, der zur Zeit auf allen Kanälen virulent ist. Dabei ist es fast die Quadratur des Kreises, dass Lehmann es auch noch schafft, Lisa Nerz in Lebensgefahr und einen ziemlich unangenehm irren Killer zur Strecke zu bringen. Ideologiefrei, sozusagen. Bei dem Thema naheliegend sind natürlich auch ein paar aparte Ekelhaftigkeiten, die uns der Roman sehr gezielt und liebevoll sadistisch um die Ohren haut. »Allesfresser« tut hin und wieder weh und das soll ein guter Kriminalroman schließlich auch.

Die Maske des Dimitrios

Einer der größten Saboteure literarischer Sinnstiftung und ein Magier erzählerischen Fallenstellens war Eric Ambler und eines seiner Meisterweise Die Maske des Dimitrios, den der Hoffmann & Campe Verlag sinnvollerweise wieder auf dem Markt zugänglich gemacht hat. Schon der Einstieg ist ein Musterstück von Verwirrung und ironischem Chaos: Schwergewichtige Parameter wie Kontingent, Vorhersehung und Absurdität werden fröhlich durcheinander gewirbelt, die Hauptperson, der aufgeblasene Trivialautor Latimer, möglicherweise als leicht blödsinnig eingeführt. Das ist schon einmal eine sarkastische Absage an Kriminalromane mit klarem Ordnungswillen, bei denen am Ende alles gut (Mainstream) oder alles böse (Noir) endet. Latimer verbeißt sich in ein Phänomen, eben jenen Dimitrios, eine Art Superverbrecher, der mordend und raubend durch den Mittelmeer- und den Balkanraum marodiert. Mal als politischer Attentäter, mal als Großzuhälter oder als Drogendealer, als Mann fürs Grobe für eine dubiose Investmentbank. Gesucht von ziemlichen allen Polizeien und Geheimdiensten der Gegend, von manchen auch protegiert und geschützt. Er ist ein Phänomen, ein dunkler Schatten, überall und nirgends gleichermaßen. Es gibt keine Fotos, nur haufenweise mehr oder weniger gefälschte Dokumente und als eine Leiche aus dem Bosporus gefischt wird, sind nur eher naive Gemüter davon überzeugt, dass es sich dabei wirklich um Dimitrios handelt, als ob der tatsächlich einen Ausweis bei sich trüge. Das ist vom ganzen production design her deutlich ein Roman aus dem Hier und Heute. Dabei stammt dieser Klassiker aus der weltliterarischen Hall of Fame aus dem Jahr 1939. Er bietet ein beiläufig-lakonisches Panorama der Zwischenkriegsgeschichte, an deren Ende das Unheil schon passiert ist und immer schlimmer wird. Ambler ätzt mit seiner ultracoolen, säureklaren, präzisen und gleichzeitig ambiguen Prosa jede Art von Gewissheit weg. Die Reise ins Ungewisse und in die Angst hat begonnen. Unbehaglich zu beobachten, wie große, sehr große Teile der zur Zeit gängigen Kriminalliteratur dagegen intellektuell und ästhetisch zurückgeblieben oder zurückgefallen erscheinen.

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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