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Leichenberg 05/2002

 

Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie ein- und derselbe Schriftsteller derart unterschiedlich sein kann: Es gibt den einen Carlo Lucarelli, der ziemlich schick aufgemachte und glattpolierte Romane aus dem Bologna von heute schreiben kann: kalt kalkulierte Designerprosa, die nichts besonderes zu erzählen hat und statt dessen eine leere, aber virtuose Erzähltechnik feiert. Und den anderen Carlo Lucarelli, der mit seinen spröden, schmalen Romanen um den Commissario De Luca kleine Meisterwerke vorlegt. Der trübe Sommer (Serie Piper) spielt im Jahr 1945, als in Italien noch hin und wieder recht anarchische Verhältnisse herrschten. De Luca, der problematische Polizist, der Mussolini und später der Republik von Salò gedient hat, nicht weil es 'seine Pflicht', sondern weil es 'sein Beruf' war, steht diesmal vor der Entscheidung, einen Fall aufzuklären und damit seine wahre Identität zu enthüllen, was für ihn als Ex-Schergen des Faschismus (für den man ihn nunmal hält) Folgen haben wird -, oder es sein zu lassen. Auf knapp 150 Seiten konzentriert Lucarelli mit äusserster Erzählökonomie diesen hochspannenden Kriminalroman mit veritablen philosophischen Implikationen. Der doppelte Lucarelli also, ein Dr. Luca & Mr. Relli der Kriminalliteratur?

Die Überleitung ist zu schön, als dass ich sie weglassen kann: Doktor Jekyll & Mister Hyde ist bekanntlich eines der folgenreichsten Porträts menschlicher Janusköpfigkeit. Jetzt haben der Szenarist Jerry Kramsky und der Zeichner Lorenzo Mattotti aus Robert Louis Stevensons Meisterwerk ein neues geschaffen - als Comic (Carlsen Comics). Die schiere Qualität von Mattottis Zeichnungen - jedes Panel ist ein abgeschlossenes ästhetisches Kunstwerk - und der karge Text von Kramsky ergänzen sich vorzüglich. Die Bildästhetik hat man, entgegen der viktorianischen Vorlage, in den Expressionismus verlegt, aber trotz aller Zitate von Grosz & Co. schafft die ungewöhnliche Colorierung zeitweise schock-hafte Effekte. Und die Story bleibt sowieso aktuell, solange die Illusion herrscht, Fortschritt und Zivilisation seien irgendwie identisch.

Lediglich clever legt dagegen der Schweizer Martin Suter seine Identitätskrisen-Geschichte Ein perfekter Freund (Diogenes) an. Bei der Rekonstruktion seines Vorlebens muss ein Journalist mit Amnesie letztlich bitter herausfinden, dass er selbst die Schurkereien begangen hat, die er seinem bestem Freund als Verrat unterstellt. Aber zu behäbig, mit zu grossem Willen zur 'bedeutenden Prosa' fügt sich das Buch leider nur dem Geschmack des gehobenen Feuilletons. Da gibt es keine Ecken, keine Zacken, keine Momente der Irritation und des Wahnsinns. Aber, wie gesagt, clever gemacht.

Auch clever, aber eben mit manchen ungewöhnichen Einfällen, operiert bekanntlich die Alan-Banks-Serie von Peter Robinson: Das verschwundene Lächeln (Ullstein) gehört in die lange Tradition der britischen Polizeiromane im Geiste von Reginald Hill und William McIlvanney - voll ausgebaute, sorgfältig komponierte Romane, deren einzige Schwäche früher oder später einmal die Maschenhaftigkeit wird. Als Roman und Kriminalroman ist aber jedes einzelne dieser schönen Bücher jedem Bestseller-Schotter von Elisabeth George bis Martha Grimes weltenweit überlegen.

Der Klassiker des Monats: Der blaue Hammer von Ross Macdonald (Diogenes), bei dem es sich keineswegs um einen stumpfen Gegenstand handelt. Es war Macdonalds letztes Buch (1976) und ist wie alle seine Vorgänger eine psychologische Tiefenbohrung zurück in eine Zeit, als die USA beschlossen, eine bessere Gesellschaft zu sein. Kaum ein Schriftsteller hat gegen diese Illusion brillanter polemisiert als Macdonald.

 

© Thomas Wörtche, 2002

 

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