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Leichenberg 04/2013

 

Die Spinne

Es sollte sich eigentlich nach bis her zwei Romanen (»Der Tourist« und »Last Exit«) herumgesprochen haben, dass Olen Steinhauer derjenige unter den neuen Polit-Thriller-Autoren ist, der am ehesten im Geiste John Le Carrés schreibt. Was keinesfalls "epigonal" heißen soll. In dem gerade erschienenen dritten Roman Die Spinne (Heyne) brennt Steinhauer ein Feuerwerk der hochspannenden Dialektiken ab, um die sich vernünftige Spionage-Romane gefälligst zu drehen haben. Milo Weaver, der zaudernde Held aller drei Romane, muss hier kapieren, dass man aus dem Geheimdienstgeschäft nicht aussteigen kann. Und schon gar nicht soll man versuchen, die Ränkespiele und Machinationen der Dienste als Ausdruck menschlicher Affekte wie Rachedurst und andere Sentimentalitäten zu verstehen. Auch wenn es noch so plausibel erscheint: Hat Xin Zhu, Chef der sechsten Abteilung des chinesischen Auslandsnachrichtendienstes Guoanbu, wirklich die ultrageheime und ultra-radikale "Touristen"-Abteilung, die man sich irgendwie im Graubereich der verschiedenen, untereinander verstrittenen us-amerikanischen Geheimdienste vorstellen darf, aus persönlicher Rache beinahe vollständig ausgerottet? Und fahren tatsächlich ein paar Überlebende dieses Angriffs ihrerseits Attacken gegen die Chinesen? Natürlich ist es so einfach nicht, aber wie verwirrend, clever und ausgekocht Steinhauer erzählt, das ist so außergewöhnlich wie der ultracoole Hauptplot des Romans. Mit Le Carré teilt Steinhauer die Diagnose, dass Geheimdienste notfalls völlig "wertfrei" als Systeme funktionieren, die sich primär selbst erhalten. Und sei's auf die ironischste aller Spitzen getrieben - auch ein verräterischer Geheimdienst ist politisch ein äußerst nützliches Ding. Salzsäureklares Denken, raffiniert zeitverschobenes Erzählen, das die Vielschichtigkeit der Handlung perfekt erzeugt, ohne dass man dies sofort merkt, plus die realpolitisch plausible Einbeziehung der Chinesen und des asiatischen Raums ins tausendfach fraktalisierte Spiel der Supermächte machen »Die Spinne« zu einem grandiosen Thriller, der allerdings kompetente Leser voraussetzt. Literatur für (intellektuell) Erwachsene, sozusagen.

Dunkle Gewässer

Ein großer amerikanischer Erzähler ist auch Joe R. Lansdale. Mit seinen Geschichten vom Sabine River in seiner Heimat East-Texas, die irgendwo in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesiedelt sind und alle einen coming-of-age-Aspekt haben, hat er sich hochliterarischen Respekt und feuilletonistische Reputierlichkeit erschrieben. So auch hier, in Dunkle Gewässer (Tropen/Klett Cotta), die Geschichte einer kleinen Gruppe Halbwüchsiger, die aus komplizierten Gründen die Asche einer Freundin nach Hollywood bringen möchten, aber erst einmal üblen Unholden entkommen müssen. Das ist dicht erzählt, hat Humor und Atmosphäre, lebendige Figuren und beklemmende Szenen, feinstes narratives Handwerk. Es ist aber auch seltsam gediegen, routiniert abgespult, politisch korrekt, ausgewogen und furchtbar pädagogisch wertvoll. Selbst Scheusale haben ihre gerechte Motivation und werden so zu ziemlichen Langweilern.

Strasse der Toten

Deswegen sehnt man sich bei so viel Solidität nach Exzess und Wahnsinn, die Lansdale doch so robust wie kaum ein anderer herstellen kann - und wird in einem für die deutsche Erstveröffentlichung etwas aufgemöbelten Frühwerk fündig: Strasse der Toten (Golkonda), aus dem schönen Sub-Genres des "Weird Western". Wir erfreuen uns an den ziemlich splatterigen Abenteuern des blasphemischen, inzestuösen, versoffenen, der Onanie obliegenden und ganz und gar gewalttätigen Reverends Jebidiah Mercer (ein naher Verwandter von Jonah Hex, das nur für Spezialisten), der unter Zombies und anderen putzigen Viechern aus der Abteilung "Horror" brachial aufräumt. Pulp fiction, ungereinigt, ironisch, roh, gemein - aber diese Qualitäten jederzeit ernstnehmend. Comme il faut, und ohne Anspruch auf Reputierlichkeit, die nicht wirklich ein literarischer Wert ist. Dieser Lansdale gefällt mir wesentlich besser als der "seriöse".

Parker

Glücklicherweise muss man nicht mehr über Reputierlichkeit diskutieren, wenn es um Comics geht, obwohl sich graphic novel natürlich viel schicker anhört. Darwyn Cookes Comic-Adaption des Klassikers »The Hunter« von Richard Stark, unter dem Titel Parker (Eichborn) ist ein starkes Stück Comic-Kunst. Die Story ist so simpel wie bekannt: Gangster wird von Kollegen und einer fiesen Frau (Frauen sind in diesem Weltbild-Biotop immer fies) reingelegt und rächt sich. Konsequent, kompetent und final. Der ästhetische Mehrwert steckt hier deutlich in den Bildern, in den Panels, in den Interieurs, im Zeitgeist der frühen Sixties und ihrer Gebrauchsästhetik, in der Eleganz der Formen und Linien und den Bildern von brutaler Männlichkeit, die keinesfalls dem gesamten Design oppositionell entgegenstehen, sondern genauso in der Ideologie der Zeit begründet sind. Großartiges Teil!

 

© Thomas Wörtche, 2013

 

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