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Leichenberg 04/2010

 

Der Fall Neruda

Kriminalromane über historische Berühmtheiten und solche, in denen celebrities ihre Gastauftritte absolvieren, werden allmählich ein wenig zur Plage. Kaum eine historische Epoche, kaum ein Feld der Prominenz, das nicht abgegrast wäre. Und jetzt steht also Pablo Neruda, der Literaturnobelpreisträger von 1971 zur kriminalliterarischen Bearbeitung an. Der Fall Neruda (Bloomsbury Berlin) heißt denn auch der neue Roman des chilenischen Schriftstellers Roberto Ampuero, in dem er ein Kapitel aus der Frühzeit seines Serienhelden Cayetano Brulé nachschiebt. Eben jener Privatdetektiv aus Valparaíso und kubanischer Herkunft, dessen Abenteuer bis jetzt wegen einer gewissen steifen Didaxe nie so recht überzeugen konnten, obwohl sie sich sonst um eher realistischer anmutende Fälle drehten. Ironischerweise ist aber der Neruda-Roman ein richtig gutes Buch. Ampuero parallelisiert die Agonie des Dichters, der am 23. September 1973 an Krebs starb und die Agonie der Regierung Allende, die am 11. September von Pinochet und der CIA weggeputscht wurde. Anhand eines Trips in die Vergangenheit des Dichters, der als Stalinist und misognyes Scheusal sehr dialektisch dargestellt wird, entwirft Ampuero ein sehr überzeugendes und stimmiges Bild der Kalten-Kriegs-Jahre in Lateinamerika und Europa. Ein kluges, melancholisches Buch.

Melancholie ist auch die Stimmung in Francisco González Ledesmas Roman Der Tod wohnt nebenan (Ehrenwirth). Im Grunde eine kleine Sensation: Ledesma ist eine der ganz großen Figuren des spanischen Kriminalromans, seit der Post-Franco-Ära einer der entscheidenden Autoren der novela negra und seitdem eine Institution. Dass er jetzt erst, mit einem späten Roman, zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt wurde, ist eine der vielen Tragödien schiefgelaufener Publikationsschicksale. Das ist extrem schade, denn Ledesma zeigt uns heute ein im Aussterben begriffenes Barcelona, dessen profilierter kriminalliterarischer und journalistischer Chronist er in den letzten dreißig Jahren war. Immerhin - die Geschichte eines Rachefeldzuges, eines Hurenhauses und einer Stadt, deren andauernder modernismo seinen sozialen und menschlichen Preis hat, dieses Porträt eines ganz und gar anderen Barcelonas - "Una Novela de Barrio" heißt der sinnvolle Originaltitel - ist ein wunderbarer Kriminalroman comme il faut und sollte eigentlich dringend zur Entdeckung von Ledesma aufrufen.

Der Einsatz

Eine ziemliche Enttäuschung hingegen bietet David Ignatius' Der Einsatz (rororo). Obwohl der Polit-Thriller über den US-amerikanischen Geheimdienst und Politik-Pfusch in Sachen Iran und Atomtests geht, erschöpft sich das Buch über große Strecken in langweiligen Schilderungen von Teheran und Umgebung, deren Herkunft aus Reiseführern und sonstigen touristischen Quellen mit Händen zu greifen ist. Dazu noch langatmige und redundante Gedanken der Figuren. Dass am Ende zu ein paar recht zwielichtigen Figuren noch ein netter Dreh kommt, ist aber nicht wirklich überraschend, weil das Primat der Ökonomie über die Politik kein allzu origineller (wenn auch realitätstauglicher) Denkansatz ist. Aber ein langweiliger Politthriller ist kein guter Politthriller, höchstens ein gutgemeinter.

Putziger Trash, der niemand wehtut, ist gern willkommene Knabberware. So wie der hübsche, wenn auch in der allfälligen Marketing-Kombinatorik überfällige Einfall, einen Werwolf als Jäger serialkillender Übeltäter einzusetzen. Wenn der Werwolf schon zerfetzen und zerfleischen muss, was ja seines Amtes ist, dann wenigstens die Richtigen. Sagte sich Nicholas Pekearo (der selbst bei einer Schießerei ums Leben gekommen ist) und ließ in Wolfsrache (rororo) einen solch benevolenten loup garou auf böse Menschen los. Kein literarisches Meisterwerk, aber fröhlicher, sympathischer Trash.

Tod & Flora

Ein kleines literarisches Juwel aber ist ein schmales Bändchen des 2003 verstorbenen, grandiosen Helmut Eisendle: Tod & Flora. Ein Glossar über die Verwendung von Giftpflanzen für den asthenischen Täter (Jung und Jung). Ein mit wunderbaren Farbbildern ausgestatteter sardonischer Leitfaden für notwendige Morde, mit beispielhaften Fällen und ganz und gar ökologisch einwandfrei - nämlich rein pflanzlich.

 

© Thomas Wörtche, 2010

 

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