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Leichenberg 04/2008

 

Sniper

Man könnte fast den Eindruck haben, dass die neue Vorliebe der Hochliteratur fürs Genre eine nette Pointe hat: Während allerlei feuilletonnotorische AutorInnen (J. Zeh et al) mit Hohem Ton und wenig Ahnung am "Criminal" und ihrer eigenen Schnäppchenmentalität scheitern, und die unterbezahlten "Agenten des Literaturbetriebs" den ganzen Schlonz auch noch mit unfreiwillig komischen Exegesen adeln - zum Frust eines verwirrten Lesepublikums, wie man befürchten muss -, während also all dieser Unfug obtobt, entsteht gute Literatur da, wo das Genre straight bleibt. Bei Lee Child zum Beispiel, dessen neuer Roman Sniper (Blanvalet) neben den bekannt brillanten und bewährten Action-Szenen eine sehr kluge Umdrehung der CSI-Ideologie bietet: Als ein Heckenschütze irgendwo in Indiana Leute anscheinend sinnfrei meuchelt, ist er dank hochkompetenter, forensisch unterstützter Polizeiarbeit schnell zweifelsfrei identifiziert und festgenommen. Aber das ist falsch, obwohl die Indizienkette lückenlos erscheint. Childs Held, Jack Reacher, aber setzt menschliche Ratio gegen den Omnipotenzwahn von Technologie. Das ist nicht nur spannend, sondern auch klug - und Kriminalliteratur sui generis.

Kriminalliteratur pur sind auch die Aberdeen-Romane von Stuart MacBride. Nummer drei, Der erste Tropfen Blut (Goldmann) bastelt wie die beiden Vorgänger weiter an einer Phänomenologie des ganz normalen Wahnsinns. Für den stehen etwa die beiden Chefs des Helden Logan McRae, denn der ist bloß ein kleiner Detective Sergeant: D(etective) I(nspector) Insch, ein fetter, cholerischer Apoplektiker mit Kunstsinn, und DI Steel, eine kettenrauchende, dauerfluchende Vettel, zerren an dem armen McRae, der mit seiner schlägernden Geliebten Watson eigentlich genug um die Ohren hat. MacBrides Aberdeen-Saga dementiert mittels böser Komik die ganze verlogene Machart der netten, aufgeplusterten Pseudo-Polizeiromane von Elizabeth George bis Ruth Rendell etc. - aber eben nicht nur deren Machart, sondern vornehmlich deren Ideologie, derzufolge die Welt nicht aus banaler, irrer, gewalttätiger Kontingenz besteht. Dass diese Kontingenz von MacBride erzählbar gemacht wird, ist seine Kunst. Genre-Kunst.

Verluste

Noch einer aus dieser Spielklasse, wenn auch mit einem älteren Buch: Lawrence Block, Verluste (Funny Crimes bei Shayol). "Everybody dies", so der bessere Original-Titel dieses Matt-Scudder-Romans, ist genau zehn Jahre alt, was aber nicht stört. Privatdetektiv Scudder lebt zufrieden vor sich hin, als sein bester Freund Mick Ballou in eine Vendetta rutscht. Mick Ballou ist Gangster und Mörder, aber das besagt in Blocks Welt ganz und gar nichts. Klar ist, dass diese Vendetta aufhören muss - und so bleiben Ballou und Scudder nur zwei Möglichkeiten der sozialen Interaktion: Reden und töten. Und darüber geht das Buch, davon erzählt dieser Kriminalroman. Grandios.

Gerne hätte ich eine kleine, sympathische Anthologie von deutschen Originalshort-Stories über den grünen Klee gelobt, aber nur zwei Texte in Hell's Bells, herausgegeben von Christiane Geldmacher (Poetenladen) geben ein solches Lob her: Der Beitrag der Herausgeberin selbst, eine intrikate Highsmith-artige Geschichte ohne Sensationseffekt, aber mit süffisanter Gemeinheit ausgestattet; und eine witzige Stilübung von Dieter Paul Rudolph über einen betrüblichen Zwischenfall in der "Domräpp" und dessen Schicksal als Erzählung. Der Rest sind fahle Routinetexte (oder nicht mal das), der Absturz aber eine fast schülerzeitungshaft breitgetretene "Idee" des ansonsten sehr geschätzten Norbert Horst. Einbrecher- und Opfer-Perspektive gegeneinander geschnitten, ach ja... leider nur unbedarfte Schreibwerkstatt.

Putsch!

Das Sachbuch des Monats ist Stephen Kinzers Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus (Die Andere Bibliothek)- ein Sündenregister der US-amerikanischen Außenpolitik, klarsichtig und radikal, sehr informiert und informativ und dennoch an keinem Punkt eine Vorlage für dumpfen Anti-Amerikanismus. Trennschärfe von Argumentationen ist ein zunehmend wertvolleres Gut.

Deswegen kann man auch feststellen, dass Greg Ruckas Qualitäten als Comic-Szenarist diejenigen als Romancier weit übertrifft: Whiteout (CrossCult) heisst ein Rucka-Szenario, gezeichnet von Steve Lieber, handelt in der Antarktis und spielt mit schwarzen und, vor allem, weißen Flächen und Flecken. Intelligent, spannend, Genre.

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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