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Leichenberg 04/2005

 

Der Wald des Vergessens Ein englischer Detective Superintendent ist kein »Kommissar«. Nie, unter keinen Umständen, das geht einfach nicht. Kommissar Andy Dalziel, Sergeant Wield von der Polizei, aber Feldwebel Peter Pascoe bei der Army - wer um Himmels willen richtet denn in der deutschen Fassung so einen wirren Unfug an? Das ist aber auch schon das einzig wirklich Abträgliche, was man über Der Wald des Vergessens von Reginald Hill (Europa Verlag) sagen kann. Es handelt sich bei diesem Roman, der den Ersten Weltkrieg und das UK von heute durch eine Familiengeschichte verbindet, um Band 17 der Dalziel/Pascoe/Wield-Saga, die seit einigen Jahren bei uns eine so erfreuliche Renaissance erlebt. Eine interaktive Renaissance, möchte man beinahe sagen, weil das pp. Publikum sich die einzelnen Bände bei zwei Verlagen (Europa und Droemer, resp. Knaur-Tb) zusammenstoppeln darf, in die richtige Reihenfolge bringen und auch noch nach den frühen Romanen der Serie im Antiquariat wühlen. Wobei »Der Wald des Vergessens« nur ein halbes Highlight ist: Die grandiosen Passagen aus dem Ersten Weltkrieg, die eine harsche Attacke auf die nur propagandistisch gloriose Kriegsführung der Brits (historisches Stichwort: Haig!) sind, darf man ruhig auch als Hommage an den unerreichten Groß-Meister des historisch basierten, aber im Aktuellen spielenden Thrillers, Anthony Price, lesen. Der aktuelle Teil dagegen ist eher uninspiriert, aber für die Saga unverzichtbar: Dalziel verliebt sich. Und wie immer bei Hill bekommen wir ein Lehrbeispiel des konstruktiven Mäanderns vorgeführt, bei dem in gut Sterne'scher Manier der Umweg der Weg ist.

1974 Direkte, schwere Hammerschläge gegen britische Selbstzufriedenheit bringt David Peace mit seinem BritNoir 1974 (Liebeskind). Das Thema ist Standard: Es geht um die Vertuschung einer Mordserie in Yorkshire, um Polizei-Korruption, um Polizei-Brutalität und um die Möglichkeiten einer freien Presse. Das ist über weite Strecken extrem gewalttätig, extrem deprimierend, extrem körperlich inzeniert. Aber eben immer, wenn die Rhetorik des noir überhand nimmt (hier vor allem die Körpersäfte schon fast unfreiwillig komisch exaltiert), auch hart am Ekel-Kitsch. Aber schon ein Hammer und sehr beeindruckend.

Nicht minder giftig, aber eher samtpfotig verfährt Giles Blunt mit dem zweiten Band seiner Serie um die beiden kanadischen Cops Cardinal und Delorme: Blutiges Eis (Droemer). Es fängt an wie ein durchschnittlicher Kleinstadt-Thriller, weitet sich dann aber überraschenderweise aus zu einem Polit-Thriller mit erheblich subversiver Haltung. Und siehe - das offizielle Kanada hat auch ganz und gar schmutzige Finger. Ein rundum kluger, informierter, spannender Roman mit echten Menschen und echten Konflikten. Nur fein!

Fein auch, dass der kleine Cass Verlag uns eine japanische Erfolgsserie präsentiert: Sodom und Gomorrha heisst, vielleicht nicht ganz geschickt, der Untertitel von Der Hai von Shinjuku. Autor Arimasa Osawa schickt seinen Helden, den Polizisten Samejima, genannt Der Hai, in ein neongrelles Shijnjuku (das Amüsierviertel von Tokio), das von Polizei, Yakuza und Geheimdiensten gemanagt wird, wobei man nie weiss, wer nun wer ist und ob das überhaupt ein Unterschied ist. Der Hai aber versucht sauber zu bleiben und langt zu. Solide, spannend und ein klasse Setting. Na also!

Hotel Terminus Und dann war da noch das: Hotel Terminus. Ein Kriminalroman von 12 Autoren (Aufbau Tb-Verlag). Und was ich mir nicht vorstellen mochte, wurde wahr: Ein Kettenroman über ein abgestrapstes Hotel, der so tut, als ob der Begriff Hotel Terminus nicht hochgradig besetzt wäre: Von Klaus Barbies Gestapo-Folterhöhle in Lyon, von Marcel Ophüls´ oscargekröntem Dokumentarfilm gleichen Namens. Dabei sind Autoren wie Regula Venske, Reinhard Jahn oder Jürgen Alberts bei diesem Unternehmen des antifaschistischen Traditionverlags Aufbau beteiligt, die das wissen müssen. Was soll das denn? Walser rechts rum? Intellektuelle Verwahrlosung? Wir brechen ein Tabu? Indolenz? Wir hoffen auf einen Skandal? Aber ich fürchte, noch nicht mal all das, sondern nur, ja, was denn nur... Fahl!

 

© Thomas Wörtche, 2005

 

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