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Leichenberg 03/2012

 

London Killing

Sie sind Polizist und obdachlos? Kein Problem, suchen Sie sich einen netten Vermissten-Fall und ziehen Sie in das Haus der abgängigen Person. Umso besser, wenn dieses Haus eine totschicke Villa im nicht minder totschicken Londoner Stadtteil Hampstead ist. So sieht das auch Detektive Constable Nick Belsey, als er wegen Mietschulden aus der allerletzten Absteige rausgeflogen ist. Aber Mietschulden sind sein geringstes Problem. Richtig fies wird die Angelegenheit, als unser Hausbesetzer mit Polizeimarke einen strengen Geruch in seiner Luxusbleibe bemerkt. Der Gestank führt zu einer Leiche, aber es mischt sich auch der Duft von Geld dazwischen. Und Geld braucht Belsey nun mal dringend. Das ist, grob gesagt, die Ausgangssituation von Oliver Harris' Debutroman London Killing (Blessing), von der aus sich ein sehr grimmiger und sehr komischer Kriminalroman entspinnt. Belsey ist nämlich keineswegs der Typ des aus Seelenleid und Weltschmerz heruntergekommenen Cops, sondern ein kaltschnäuziges, cleveres, manchmal auch charmantes Miststück. Weil er Cop ist, kennt er das System "Polizei" und kann es nach Herzenswunsch manipulieren, missbrauchen, pervertieren. Er kann formal völlig legal kriminell sein und das muss er auch, wenn er seinen Arsch retten will. Denn die Leiche in der Villa ist nicht der, der sie zu sein scheint und plötzlich geht es um viel, sehr viel Geld, um Immobilien in der City of London, um Oligarchen, Gangster, Finanzleute, um korrupte und vigilante Bullen - nicht, dass all diese Gruppierungen sich sonderlich voneinander unterscheiden würden - und es geht ums nackte Leben. Also ganz so, wie es sich für einen richtigen düsteren roman noir gehört. Nur dass Harris ein solches Buch nicht abliefert. Auch keinen Polizeiroman, geschweige denn einen Anti-Polizeiroman, aber auch keine Gaunerkomödie. London Killing ist deswegen ein großartiger Kriminalroman, weil er komisch, plausibel rätselhaft und manchmal beinahe irreal ist, weil er ein brillanter Stadtroman über London ist und weil er sich durch die verschiedenen Milieus so flink, clever und robust bewegt, wie kompetente Kriminelle nun mal sein müssen, um Polizist bleiben zu können.

Schwarzer Himmel

Nicht ganz so clever wie ihr Londoner Kollege sind die finnischen, schwedischen und balkanesischen Gangster in Tapani Bagges Schwarzer Himmel (Suhrkamp). Richtige Loser, die den großen Coup (mit ein paar Kollateralschäden) schon in Schweden gelandet, aber die Beute an einen veritablen Wirbelsturm (darauf muss man kommen) verloren hatten. Jetzt versuchen sie sich in der tiefsten finnischen Provinz wieder neu aufzustellen und den finalen ultimativen Schlag zu landen - und sei's mit der Hilfe eines Panzers. Aber die Provinz ist vor allem sozial anspruchsvoll; Freundinnen und Ex-Freundinnen tauchen auf, jeder ist irgendwie mit jedem verwandt, verbandelt, verschwägert. Bullen und Hell's Angels, Gangster und Schläger, toughe Ladies und vor allem eine rauchende, saufende, ultracoole Exil-Chilenin mit durchaus gewaltbereitem Charakter. Das alles kann nicht wirklich gut gehen, das Gemetzel wird wirklich schlimm. Ein lakonischer, plausibel brutaler, manchmal komischer und auf jeden Fall sehr gelungener kleiner Gangsterroman, der vor allem völlig unprätentiös ist.

Unter Feinden

Nicht frei von Prätention ist Georg M. Oswalds Unter Feinden (Piper). Die Idee des Romans ist nicht schlecht und ein wenig der Grundkonzeption von Harris (siehe oben) ähnlich: Bullen müssen das Polizei- und Sicherheitssystem mit ihrem Insiderwissen manipulieren, um aus einer selbstverschuldeten Falle herauszukommen, koste es, was es wolle. Das fängt sehr plausibel an, krankt dann aber mehr und mehr an der Beschreibung eines drogensüchtigen Cops, der man die völlige Ahnungslosigkeit des Autors von den Dingen, die beschreibt, anmerken kann. Was an sich nicht so schlimm wäre, hätte er sich nicht an sämtlichen Klischees bedient, die einem bezüglich von Drogen und Dealern und Gangstern und Terroristen so in den Sinn kommen. Und eine pathetische Rede darüber, wie schlimm das deutsche Schulsystem ist, ist schön und gut und lobenswert, aber in dieser cop novel so überflüssig wie der berühmte Kropf. Hochliteratur beugt sich runter zum Genre. Ach ja...

Blackout. Morgen ist es zu spät

Die Idee ist gut: In fast ganz Europa fällt der Strom aus. Unsere Logistik, unsere Technologie, alle Systeme des modern life kollabieren. Nichts geht mehr, weil wir uns an die Technik ausgeliefert haben. Und jetzt? Marc Elsberg hat ein klassisches "What-if"-Szenario verfasst: Blackout. Morgen ist es zu spät (Blanvalet). Das ist exzellent recherchiert, ein Riesenpanorama der Zuständigkeiten, Abläufe, Wahrscheinlichkeiten. Ab wann beginnt die Barbarei, wie lange hält man durch, wenn die Ordnungssysteme weg sind... Das ist durchaus spannend zu lesen, ungeheuer lehrreich und fortbildend. Aber vielleicht liegt es an der dürftigen Prosa, dass dem Buch jede Wucht, jede visionäre Intensität fehlt, die Klassiker des Themas wie die Stories von Harlan Ellison oder ein paar Romane von James Graham Ballard ("Der Block") auszeichnen. Blackout schielt auf den Erfolg von Schätzings "Schwarm", und vielleicht geht das Kalkül auch auf. Mehr ist aber nicht, und vor allem kann man übel nehmen, dass der Schurke (ja, es gibt Schurken) am Ende sehr vernünftige Dinge zum Zustand der Welt sagt, die dadurch als irre denunziert werden, dass es eben der Böse ist, der die Diagnose stellt. Don't like it.

 

© Thomas Wörtche, 2012

 

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