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Leichenberg 03/2011

 

Wahrheit

Wahrheit von Peter Temple (C. Bertelsmann) ist ein Roman über Familie, Politik und Verbrechen. Melbourne, 2009: Die großen Waldbrände haben die Stadt umzingelt. Rauchwolken am Horizont lassen die Naturkatastrophe als Spiegel der menschlichen Katastrophen des Romans aussehen. Stephen Villani, Hauptfigur in Wahrheit und Chef der Mordkommissionen des Bundesstaates Victoria, muss sich mit korrupten Politikern herumschlagen, die glauben, sich alles erlauben zu können; mit Rachefeldzügen von (Ex-) Kollegen und mit den Desastern seiner eigenen Familie. Temple zieht nicht das Muster "Bulle-mit-Problemen" durch, sondern bezieht wirklich alle drei Teilbereiche aufeinander. Politik und Familie können jederzeit zu Nutz und Frommen interessierter Parteien funktionalisiert werden. Temples Polizei-Romane sind wuchtige Inszenierungen, sie fordern den kompetenten, erwachsenen und gebildeten Leser. Sie erklären nichts, sie zeigen kommentarlos, was passiert. Sie bewegen sich schnell durch Raum und Zeit. Ihr Humor ist bösartig. Temples Figuren sind nicht nett. Die Handlung ist kompliziert, sperrig, nicht wegschlockerbar. Kurzum: Wahrheit ist ein großartiger Kriminalroman, state of the art.

Das gilt auch für Friedrich Anis Süden (Droemer). Tabor Süden, Ex-Hauptkommissar im Vermissten-Dezernat, ist nach seiner Zeit als Kellner im Kölner Eigelstein wieder zurück in München, weil ihn sein verschollener Vater, den Süden nie finden konnte, angerufen hat. Die Suche geht wieder los und um in München bleiben zu können, wird der Ex-Polizist Privatdetektiv. Die Wiederbelebung einer Figur - nach zehn Süden-Romanen war dieser in der deutschen Kriminalliteratur qualitativ einzigartige Dekalog abgeschlossen - ist immer riskant, aber hier wirkt sie völlig organisch. Süden sucht seinen Vater und stößt wieder auf andere Schicksale von der Sorte, die als wenig literaturtauglich, gar krimitauglich gelten. Eher unkriminelle Träumer, Außenseiter, die nicht nur die genre-typischen Loser sind, sondern "andere", verschrobene Lebensentwürfe haben, dazu die Müden und Abgekämpften, die Beladenen und die Versteinerten, die dennoch auch verheerendes Potential haben. Ein großer Kriminalroman ohne klassische Verbrechen, ohne Klischee, ohne Standardformeln. In Moll und Melancholie, aber eben nicht nur, und vor allem sprachbewusst und -mächtig. State of the art.

Hemmersmoor

Voll ins Klischeekistchen vom grausamen Landleben, - mörderisch bis es quietscht - greift Stefan Kiesbye in Hemmersmoor (Tropen/Klett-Cotta). Das ist ein kleines Kaff, in dem in den 1950s und 1960s anscheinend die Hölle los ist: Inzest, Mord, Sodom und Gomorrha im Kapiteltakt. »Tannöd« hoch zehn, das Ganze als "Schauerroman" angetextet, um den ganzen Unfug nicht "realistisch" lesen zu müssen, was für schlichtere Gemüter vermutlich als "raffiniert" durchgeht, aber durchaus realistisch in Ort und Zeit situiert. Irgendwie soll man sich denken, dass alles für irgendwas anderes steht, symbolisch oder so. Aber was das sein könnte, das kann auch eine merkwürdig inkonsistente Erzählstrategie nicht plausibel machen. Verschiedene Erzählstimmen erzählen im gleichen Erzählduktus die verschiedenen Gräuel. Da ist kein Zweifel, keine Ambiguität, keine Brechung. »Hemmersmoor« zielt auf den "Mehr-als-ein-Kriminalroman"-Effekt und das geht meilenweit daneben.

Genauso daneben wie Ken Bruens Versuch, einen Meta-Noir zu schreiben: London Boulevard (Suhrkamp). Ein literater Ex-Sträfling verfällt einer alternden Diva und daraus entsteht viel Elend. Leichen türmen sich und ärgerlicherweise ist die Mär mit Aufrufen und Anspielungen und Zitaten und Anbetungen aller hardboiled-Autoren von Donald E. Westlake bis Derek Raymond derart gespickt, dass Klassenstreber Bruen sicher eine Eins für artiges Aufsagen erhält. Mehr Substanz hat das Buch auch nicht, bietet aber dennoch eine freudige Erkenntnis: Wie gut die Übersetzerin Conny Lösch gemessen an den kenntnisarmen und schlampigen Übertragungen von Bruens Stammübersetzer Harry Rowohlt ist.

Sein letzter Trumpf

Apropos Westlake - als Richard Stark erfreut er uns ja jetzt auch in Deutschland mit den Romanen um den Profigangster Parker aus den 1990s. Druckfrisch: Sein letzter Trumpf (Zsolnay), über das Ausrauben eines Casino-Schiffes. Das ist elegant, ideenreich, lakonisch, bösartig und hat vor allem grandiose schnelle, witzige Dialoge.

Also ganz das Gegenteil zu 28 Minuten von Dave Zeltserman (Suhrkamp), die elend ungeschickt, dröge, redundant und vorhersehbar erzählte Geschichte von vier abgestürzten Mittelständlern, die eine Bank ausrauben, in der, - Zufall, Zufall und Überraschung! - die Russenmafia ihre Sachen lagert. Da wird geplappert und geschwatzt, das Offensichtliche x-mal erklärt. Die Russen - buuuuhuuu - sind böse, alle Figuren aus Papier, am Ende sind ... ach, ja ... wen interessiert das dann noch? Definitiv 5. Liga, völlig überflüssig, Westlake für ganz Unbedarfte.

 

© Thomas Wörtche, 2011

 

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