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Leichenberg 02/2018

 

Korrupt

Unverdrossen und unverdrossen wütend schreibt Mike Nicol die Desillusionierungsgeschichte der Republik Südafrika weiter. Nach der "Rache Trilogie" jetzt mit dem zweiten Band einer "Geheimdienst Trilogie" um Vicki Kahn und "Fish" Pescado: Korrupt (btb), "Agents of the State" heißt bezeichnenderweise der Original-Titel, wobei der extrem schillernde Mart Velaze, ein undurchschaubarer, mal benevolenter, mal weniger benevolenter Troubleshooter eines arkanen Dienstes innerhalb des Geheimdienstes der Republik die Klammer zwischen den Trilogien bildet, eine quecksilbrig ambivalente Figur. Überhaupt, der Staat. Der befindet sich bei Mike Nicol schon fast vollständig im Privatbesitz des Präsidenten der Republik, der hier nicht Jacob Zuma heißt. Der Präsident residiert in einem durchgeknallten Luxuspalast und scheffelt für sich und seine Sykophanten Geld und Macht galore. Südafrika ist ihm nicht mehr genug, jetzt macht er sich daran, die Zentralafrikanische Republik auszuplündern - und wenn das nur mittels politischem Mord geht, kein Problem. Dafür hat er schließlich seinen Geheimdienst, naja, zumindest Teile davon, und seinen Spezialisten namens Kaiser Vula. Das operative Geschäft überlässt er seinem ziemlich unnützen Sohn Zama, der sich seinerseits mit Menschenhandel ein fettes Zubrot verdient. Das passt anderen Teilen des Geheimdienstes gar nicht in den Kram und so setzen sie die Ex-Anwältin und jetzige Agentin Vicki Kahn auf Zama an (nicht, dass ihr das von Anfang an klar wäre), die wiederum mit dem surfenden easy-go-lucky Privatdetektiv "Fish" Pascado liiert ist. Und im Hintergrund zieht Mart Velaze an allerlei sinistren Fäden. Der labyrinthische Protzpalast des Präsidenten, in dem die Ereignisse eskalieren, ist ein verrottetes, strahlend-dekadentes sprichwörtliches Byzanz, dessen hässliche Ursprünge noch im Apartheids-Regime liegen, dessen toxische Wirkung immer noch anhält. Nicols Wut über die verpasste Chance Südafrika kristallisiert sich immer mehr in scharfkantigem Sarkasmus, in verzweifeltem Spott - und eben in großartigen Romanen. Wenn sie nicht eskapistisch sein will, bleibt der südafrikanischen Kriminalliteratur gar nichts anders als radikal politisch zu sein. Zumindest, was die makrostrukturelle Ebene angeht.

Mann am Boden

Ein ganz anderer Fall ist der Südafrikaner Roger Smith. Er hat seit einiger Zeit Südafrika als Schauplatz seiner Thriller verlassen (auch die, die er unter dem Pseudonym Max Black schreibt). Dennoch hat Mann am Boden (Tropen) südafrikanische Wurzeln. John Turner hat sich in Johannesburg von dem bad cop Bekker zu einem schrecklichen Verbrechen überreden lassen, um seine Schulden bei einem bösen Schwarzen, der später steile politische Karriere machen wird (was aber keine Rolle spielt), bezahlen zu können. Eine Menschenrechtsanwältin zieht ihn aus dem Dreck, um den Preis, dass er sie heiratet und mit ihr eine Familie gründet, mit der er nun in Tucson, Arizona lebt und mit einem Swimming-Pool-Reinigungsgerät namens "Poolshark" zu einigem Wohlstand gekommen ist. Aber Turner ist frustriert - seine Gattin liebt ihn nicht, auch das gemeinsame Kind Lucy geht ihr auf die Nerven. Sie ist hager, hässlich und übelriechend, verpasst aber gerne fremden Männern einen Blowjob (warum?), hat aber, im Gegensatz zu Turners Geliebten (grossbrüstig, breithüftig und langbeinig) eine eher geringe Fickability. Als plötzlich Bekker in Arizona auftaucht (warum eigentlich?), macht Turner einen Deal: Bekker und seine Kumpane (ekelhafte Monster-Karikaturen) sollen die Gattin umbringen, dafür den Inhalt seines Safes einstreichen und Turner selbst als nur angemackeltes Opfer übriglassen. Aber natürlich geht das alles schief. Mann am Boden ist ein völlig pervertiertes Rewriting von Joseph Hayes' Klassiker "An einem Tag wieder jeder andere" ("The desperate hours", 1955), in dem ein anscheinendes Familienidyll von drei ins Haus eingedrungenen Gangstern zerstört wird. Bei Smith gerät diese Ausgangssituation zu einer Schritt für Schritt voraussagbaren sadistischen Metzelorgie mit Säge, Geflügelschere, Gekröse und allen möglichen Körperflüssigkeiten - eine wollüstig ausgebreitete Nummernrevue des Ekligen, die aber nie mit dem Prinzip der "Übererfüllung" arbeitet (wie das etwa Tom Franklins "Smonk" tut), sondern sich "realistisch" gibt. Und zu allem Überfluss ist das ganze Elend dann auch noch stramm "wertkonservativ". Was passiert mit der ehebrecherischen Schlampe (also die mit der hohen Fickability): Kopf ab, Strafe muss sein. Und wer bleibt, ganz unradikal, stockkonventionell und gähnend öde übrig? Der tapfere Daddy (mit leichten Körperverlusten) und das liebe, tapfere Kindelein. Manchmal spoilere ich sogar richtig gerne. Nicht besser wird das Buch durch eine scheinheiliges Narrativ über "Schuld", die bezahlt werden muss, mindestens gedeckt durch ein Seneca-Zitat. Turner purgatiert sich, in dem er am Ende heroisch wird. Und dann sitzen Vater und Kind da und blicken in die Sonne. Meine Güte.

Die schwere Hand

Hochkomplex hingegen Dror Mishanis Die schwere Hand (Zsolnay). In Cholon - und nicht in Tel Aviv (Cholon ist nur technisch ein Vorort von Tel Aviv und hat immerhin fast 190.000 Einwohner) - wird eine Frau ermordet, die Jahre zuvor schon das Opfer einer Vergewaltigung war. Ihr Mörder, so sieht es aus, könnte ein Polizist gewesen sein. Oder zumindest eine Polizeiuniform getragen haben. Der grüblerische und unsichere Inspector Avi Avraham (Mishanis Serienheld) scheint festzustecken, die Variante mit dem Polizisten als Mörder wird natürlich in den oberen Etagen nicht gerne gesehen. Das Ganze scheint auf einen klassischen Whodunnit zuzulaufen - aber genau das ist Die schwere Hand nicht. Von Anfang an ist klar, wer der Täter ist. Was überhaupt nicht klar ist, ist jedoch sein Motiv, überhaupt die Gründe für sein eigenartiges Verhalten. Coby, so heißt der Unglückswurm, ist ein sehr verstörter Mensch. Seine Frau wurde auf einer Dienstreise ins schöne Eilat vergewaltigt, der Täter nie gefasst. Coby, dessen Berufswünsche Polizist oder Mossad-Agent kläglich gescheitert sind, muss sich aus einem inneren Zwang heraus, immer wieder von Vergewaltigungsopfern erzählen lassen, was en detail passiert ist. Seine Frau Mali ahnt (oder kennt) seine psychopathischen Züge, will aber nicht von ihm lassen - oder doch. Mishani verlässt ganz schnell die Ebene des "Wer", konzentriert sich auf das "Warum" - und lässt sowohl seinen Inspector als auch uns Leser an der Irrationalität menschlichen Handelns krachend scheitern. Letztendlich kann man weder Coby noch Mali verstehen und soll das auch nicht. Denn Mishani destruiert vorsätzlich, einlässlich und virtuos einen Hauptpfeiler der Kriminalliteratur - die Suche nach dem Motiv und dessen Funktion als Plausibilisierung von Gewalt. Avrahams langsamen Kreisen und Ausloten der conditio humana, sein eher intuitives als technokratisches Verständnis von Polizeiarbeit lässt ihn zwar, eher zufällig, auf den korrekten Tathergang kommen, aber am "warum" scheitert er genauso wie seine Kollegen, die nach Vorschrift vorgehen. Die Figur Avraham ist deutlich an Simenons Maigret angelegt (nur komplizierter), aber seine Humanität kann eine Katastrophe nicht verhindern, wobei diese Katastrophe allerdings wiederum Folgeprobleme obsolet macht. Mishani hebelt damit den Dualismus von "happy ending" versus "noir" aus, übrig bleibt ein "kann sein" oder "kann auch nicht sein". Das ist zwar ziemlich meta und theoretisch, aber der Autor denkt ja auch hauptberuflich als Professor der Literaturwissenschaft über Kriminalliteratur nach.

Gravesend

Alle Zutaten für einen "noir" hat Gravesend von William Boyle (Polar). Ein Typ, der aus dem Knast kommt, wo er wegen eines Hate Crime eingesessen hat, und der bald auf den Bruder seines Opfers treffen wird. Angesiedelt in einem fast aus der Zeit gefallenen Eckchen in Brooklyn, eben in Gravesend, wo man Cop wird oder zur Mafia geht oder schon morgens über dem Bier in der Bar hockt, ein bisschen so, wie in Robert De Niro "A Bronx Tale", oder wohin in Hollywood gescheiterte Schönheiten reumütig und gedemütigt zurückkehren und sich als local vamp versuchen. Alle diese typischen Noir-Parameter fährt Boyle auf - und lässt sie fallen, beziehungsweise desinteressiert links liegen. "Gravesend" ist, wenn überhaupt, ein Anti-Noir, aber selbst das stimmt nicht. Der Ex-Knacki ist sich seiner Schuld bewusst (normalerweise werden Schuldgefühle eher gescheiterten Cops zugeordnet), der potentielle Rächer will sich nicht rächen und mit dem Vamp läuft es auch eher un-vampig. Dennoch ist dieses Buch kein "meta"-Roman, keine Dekonstruktion des Noir, einfach, weil es die "Gesetze" des Noir nicht anerkennt, und schlichtweg aus seinen Figuren eine völlig eigenständige und sehr originelle Geschichte entwickelt, die keine Genre-Figurationen braucht. Leise, aber exzellent, zurückhaltend und packend gleichzeitig. Großer Wurf.

 

© Thomas Wörtche, 2018

 

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