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Leichenberg 02/2014

 

Empfindliche Wahrheit

Wenn Krieg so richtig schön schmutzig sein soll, sind Regierungen gut beraten, dieses Geschäft outzusourcen. Schließlich stehen sehr effiziente private Militärdienstleister zur Verfügung, die alles im Portfolio haben: Anti-Terror und Terror, Entführungen, gezielte Tötungen, Objekt- und Personenschutz, was man halt so braucht, im realpolitischen Geschäft und, wenn man das United Kingdom ist, im Schulterschluss mit den amerikanischen Vettern. Sehr günstig ist, wenn eine solches privates Unternehmen auch gleich noch die rechtlichen Grundlagen neu definiert: Keine Haftung, keine Verantwortlichkeiten, ein wunderschöner rechtsfreier Raum, in dem man alles zur Geheimsache erklären kann. "Ethical Outcomes" heißt in John le Carrés neuem Roman Empfindliche Wahrheit (Ullstein) maliziöserweise eine solche Firma, die einen Einsatz in Gibraltar voll versemmelt - vielleicht sogar bewusst, um einen anderen guten Klienten zu schützen - und unschöne Kollateralschäden anrichtet. Die Regierung ihrer Majestät hatte einen "Unterflieger" - also einen nicht allzu hellen Beamten - des Außenministeriums als legitimatorisches Feigenblatt zur Beobachtung abgestellt. Und zuvor hatte ein frustrierter anderer Subalternbeamter eher durch Zufall ein Gespräch im Ministerium mitgehört, aus dem hervorging, dass "Ethical Outcome" einer christlich-fundamentalistischen Gruppierung aus den USA gehört, die ihre Profitgier religiös begründen. Und wem jetzt "Blackwater" einfällt, der liegt nicht ganz falsch. Aber der Unterflieger und der Subalterne haben ein Gewissen, ein reichlich exotischer Wesenszug in dieser Zeit. Und so beschließen sie, Whistleblower zu werden. Le Carré ist in Hochform. Sarkastisch filetiert er die Rechtfertigungsrhetorik der offiziellen Politik und feiert gewohnt elegant mit gedämpftem (naja, sehr gedämpftem) Optimismus den menschlichen Anstand, der notgedrungen "naiv" gegenüber einer völlig gleichgültigen Politik erscheinen muss. Man muss es aber nicht als Altersstarrsinn verbuchen, wenn Le Carré (82) trotzig darauf besteht, dass die Welt ein besserer Ort sein könnte...

Vergeltung

Das intellektuelle und ästhetische Gegenstück kommt ausrechnet von Don Winslow, den man bis jetzt zu den neuen Autoren rechnen durfte, die Kriminalliteratur oder Polit-Thriller auf höchsten Niveau weiterentwickeln und damit zeigen, wie unverzichtbar "Genre" im literarischen Feld geworden ist. Vergeltung (Suhrkamp) jedoch ist zum Debakel geworden. Ein witz- und geistloser Racheschmöker vom Plattesten. Mit der Ästhetik von Landserheftchen und Tom-Clancy-Schwarten erzählt Winslow sterbenslangweilig die völlig voraussehbare Geschichte vom Ex-Special-Forces-Mann, dessen Frau und Kind bei einem Terroranschlag ums Leben kommen, den die US-Regierung als Unfall zu vertuschen sucht. Denn sie möchte nichts unternehmen, was politisch scheitern könnte. Also kauft sich unser Held eine Söldnertruppe zusammen und rotten nicht den "Terrorismus", sondern die Terroristen aus, die sich das auch lange lammfromm gefallen lassen. Doch ganz am Ende wird die Übermacht der gesichtslosen Mudschahedin zu groß und es geht ans Sterben - aber halt! Ein anständiger US-Admiral rückt befehlswidrig an und alles ist gut. Das ist keine Satire, keine Persiflage, kein gar nichts. Ein merkwürdig stumpfer Aufruf zur Privatisierung von Krieg ("wenn die Regierung nichts tut...") und ein völlig rätselhaftes Hohe Lied auf die Tugenden der Soldaten: "Eine größere Liebe gibt es nicht." Hurz! Mir wäre wenigstens etwas wohler, wenn ich verstünde, was Winslow zu diesem Buch getrieben hat...

Unruhe

Weniger geheimnisvoll tickt Unruhe von Dänemarks neuem Star (sagt die PR) Jesper Stein (KiWi). Die Geschichte vom aufrechten, gegen alle Widrigkeiten der Behörde, der Ex und der eigenen Psyche kämpfenden Kommissar ist ein bisschen wirr, aber schon okay. Es geht um soziale Proteste in Kopenhagen und um ziemlich schräge geheimdienstliche Operationen, die gegen das Organisierte Verbrechen gerichtet sind, es aber möglicherweise eher befördern. Der Schlüssel-Mord, den es aufzuklären gilt, ist dann, soviel Spoiler darf sein, letztendlich doch wieder privat motiviert. Die Macke des Autors alles siebzehnmal zu widerkäuen und zu erklären und noch eine Geschichte von "früher" und noch eine Anekdote einzuflechten, ist keine erzählerische Methode, sondern redundant und sterbend langweilig. Sehr sympathisch allerdings der running gag immer wieder auf das Grab des großen dänischen off-off-Autors Dan Turèll hinzuweisen. Noch schöner, wenn Stein sich ein bisschen was abgeguckt hätte von Turèll. Mehr als eine eher ungeschickte, nett-langweilige Schote ist »Unruhe« aber nicht geworden.

Roadkill

Sehr unterhaltsam hingegen Roadkill von Eyre Price (Heyne Hardcore) - eine vergnügliche Hetzjagd über alle legendären amerikanischen Highways, immer entlang der wichtigsten Stationen der Populären Musik, von Robert Johnson bis Kurt Cobain. Ein seltsamer Rätselgeber und vielleicht Mr. Devil persönlich, der natürlich als man of wealth and taste, sehr nett ist, lotsen einen abgebrannten Musikproduzenten, der der russischen Mafia sehr viel Geld schuldet, durch die Staaten. Im Nacken hat er zwei Killer, die sich untereinander auch nicht sehr grün sind. Price erzählt die Geschichte sehr entspannt, als Roadmovie, als Komödie und vor allem als Märchen ohne irgendeinen realistischen Anspruch, weshalb auch die robusten Gewaltnummern eher comic-mäßig rüberkommen. Erfreulich!

Der Klassiker des Monats: Die Freunde von Eddie Coyle von George V. Higgins (Kunstmann), neu übersetzt von Dirk van Gunsteren. Immer noch ein guter Gangster-Roman, immer noch mit seltsamen und bescheuerten Superlativen ("der beste Krimi, der je geschrieben wurde", Elmore Leonard) paratextuell belastet, was wirklich gute Bücher gar nicht nötig haben. »Die Freunde von Eddie Coyle« ist ein gutes Buch.

 

© Thomas Wörtche, 2014

 

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