legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 02/2013

 

Raylan

An Büchern von Elmore Leonard klebt seit Jahrzehnten wie ein Blutegel der bescheuerte Werbespruch aus der "New York Times", er sei der "beste Krimiautor der Gegenwart, vielleicht der beste aller Zeiten" - jetzt auch auf dem Cover von Raylan (Suhrkamp), mit dem der Verlag seinen anderen Autoren wie Don Winslow und Co. mitteilt, sie seien konsequenterweise zweitrangig. Nicht erwähnt wird lieber, dass Raylan Raylan Givens ist, der US-Marshal aus der Fernsehserie »Justified«, dessen Darsteller Timothy Olyphant auch das Frontcover ziert - aber meine Güte, ja, wahrscheinlich handelt es sich dabei um vornehmes Understatement. Anyway, die Story um fröhlichen Organhandel in Kentucky ist, wie immer bei Leonard, mit erfreulicher Lakonie erzählt, die Dialoge sind großartig, die Figuren - abgedrehte Marihuana-Bauern, Vollidioten und ausgekochte Biester (aus der langen Reihe starker Frauenfiguren von Leonard, die durchaus nicht immer topisch Hure oder Heilige, Opfer oder Superfrau sein müssen) und Ordnungshüter mit durchaus eigenen Wertsystemen und recht tolerantem Verständnis von Gewalt - bizarr. Amerikanische Provinz, in allen ihren Facetten, kriminelles everydaylife, völlig normal, sehr komisch und durch die Leonard'sche Virtuosität des Dialogs elegant durch alle Plotklippen befördert.

Milano Criminale

Ein sehr merkwürdiges Buch ist Milano Criminale von Paolo Roversi (Ullstein). Nicht nur der Titel erinnert stark an Giancarlo de Cataldos »Romanzo Criminale«, ein Riesenprojekt in Prosa und (TV-)-Film, in dem der Aufstieg und Fall einer römischen Gangsterbande erzählt wird, die zwischen Polizei, Geheimdiensten, Politik, Wirtschaft und den traditionellen Organisationen Mafia und Camorra lavierend, sich zu den "Herrschern von Rom" aufschwingt und dann wieder von den historischen Wirkmächten zerlegt wird. Genau diese Geschichte erzählt Roversi jetzt aus Mailand - etwas antagonistischer gebaut als bei de Cataldo: Roversi verfolgt seit dem Jahr 1958 die Karrieren eines Polizisten und eines Gangsters, die beide aus dem mehr oder weniger gleichen proletarischen Milieu kommen. Beide geraten in die Zeitläufte der 1960er Jahre, als Politik und Verbrechen, Protest und Staatsraison anfingen, in neue verwickelte Verhältnisse zu treten. Roversi packt unendlich viel Zeitgeist in den Roman (der auch mit einer Playlist der damals angesagten Musik ausgestattet ist), der hoffentlich der Auftakt eines größeren Panorama ist, an dem man letztlich vielleicht eine Position des Autors zu dem Erzählten feststellen könnte. Denn von diesem ersten Text aus könnte man den Eindruck haben, dass Roversi fest auf Seiten der Polizei steht, die - wenn zwar nicht ganz reinlich - so doch viel positiver als die devianten Kriminellen und Protestler rüberkommt. Das ist gekonnt gemacht und hat erzählerisches Gewicht, auch wenn ein gewissen Unbehagen bleibt.

Die falschen Gesichter

Noch ein Projekt, dass sich mit viel liebevoll eingesetztem Zeitgeistmaterial um die guten, alten Gangster der 1970s kümmert - in der Tat eine Gruppe von Leuten, die man unter den Bergen von Psychopathen, Serialkillern und anderen Kunstfiguren fast aus den Augen verloren hätte: Die falschen Gesichter von David B. (Text) und Hervé Tanquerelle (Bilder), ein Comic-Epos (avant-verlag) im Tardi-inspiriertem Gestus, s/w, filmisch erzählt (film noir-mäßig, klar), auch als urbane Ballade lesbar, in der die Veduten mehr sind als Kulisse und wo "Verbrechen" noch "Milieu" hat.

Marilyn the Wild

Durch sämtliche Milieus zieht sich "das Verbrechen" in der Isaac-Sidel-Saga von Jerome Charyn, denn Sidel, der Cop, Mafioso, Mörder und gute Mensch steigt bis zum Vizepräsidenten der USA auf, je mehr er mordet und andere Untaten begeht. Marilyn the Wild war 1976 der zweite Roman der Saga (die mittlerweile bei Band 11 angekommen ist) Jetzt - ironisch spät für den Comic-Szenaristen, der Charyn für Leute wie de Loustal, Boucq & Co. auch ist - ist eine Comic-Fassung mit Bildern von Frederic Rebena (Schreiber & Leser noir) erschienen, in dem das fantasmagorische Chaos von New York, das die Sidel-Romane anrichten und beschwören, die passenden Bilder bekommt. Edward Gorey und George Grosz, der expressionistische Film, Picasso und andere Bildquellen high & low mit grandiosen Farbvarianten und einer sehr sexy gezeichneten Marylin (die Tochter Sidels, die nicht so macht, wie Papi will) geben Tempo und Atmosphären vor und scheuchen den Leser durch eine Art urbane Halluzination. Phantastisch!

Noch ein heiteres Stück: Love@Miriam von Christiane Geldmacher (bookspot), ein Roman mit Todesfall, der da spielt, wo das Leben sich selbst spielt: in der Welt der sozialen Netzwerke, auf Facebook. Virtualität schützt nicht vor realen Kollateralschäden. Geldmacher verwebt Leben und Leben 2.0, erzählt, ohne großen Erklärungsaufwand, in der Sprache der Figuren und des Settings - boshaft, mit genauem Blick für Leute und Situationen und unter Vermeidung jeglicher Krimi-Standardlicks. Feines Teil!

 

© Thomas Wörtche, 2013

 

« Leichenberg 01/2013       Index       Leichenberg 03/2013 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen