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Leichenberg 02/2012

 

Die dunklen Straßen von Kairo

Gesellschaften, in denen viel passiert, die in Gärung und Umbruch sind, sind für Kriminalromane meistens ein günstiger Nährboden. Ägypten ist so ein Fall, Kairo eine Megapolis, die sich ständig verändert, die wächst und wuchert und sich Regulierungsversuchen entzieht. Das nutzt Parker Bilal in Die dunklen Straßen von Kairo (rororo), um mit ironischer Referenz auf das klassische Muster "Privatdetektivroman" einen Ex-Polizisten durch Kairo und das Umland bis hinunter zu den Touristen-Ghettos am Roten Meer zu schicken, in der klassischen Rolle des vom Auftraggeber manipulierten Schnüfflers, der mehr und anderes herausfindet als das, was gewünscht wird. Makana, das ist der Name des PI, der auf einem brüchigen Hausboot auf dem Nil wohnt, ist auch gar kein Ägypter, sondern Sudanese. So wie Parker Bilal eigentlich Jamal Dahjoub heißt, sudanesisch-britischer Schriftsteller mit feinster Reputation ist und im Londoner Exil lebt.
      Die Mechanismen, die Makana dazu bringen, aus dem Sudan der zunehmend radikalen Islamisierung in den späten 1980er und 1990ern zu fliehen, bilden eine zweite, extrem beklemmende Erzählebene. Die erste Ebene, die Schilderung des Ägyptens am Ende des letzten Jahrtausends, auf dem Höhepunkt des Systems Sadat/Mubarak, als russische Oligarchen ihr Geld in das tourismusboomende Land stecken und Touristen niedergemetzelt werden, als Traditionen endgültig zusammenklappen und Strukturen des Organisierten Verbrechens immer sichtbarer werden, diese erste, spannende Ebene bekommt durch den Blick des Außenseiters Makana noch zusätzliche Tiefenschärfe. Bilals souveräne, ironische, leicht melancholische Erzählweise fixiert sich auf seine starken Figuren, vor allem auf die Frauen-Figuren, und opfert für seine Punkte, die er politisch macht, kein Gran an schierem Vergnügen bei der Lektüre.

Süden und die Schlüsselkinder

Ein Meister des genauen Hinsehens ist auch Friedrich Ani, der glücklicherweise seine Figur Tabor Süden, auch er früher Polizist, jetzt Privatdetektiv, wieder belebt hat. Süden und die Schlüsselkinder (Knaur) heißt der neue, schmale und konzentrierte Roman, in dem es um Kinder geht, die von ihren Eltern als too much empfunden und in städtische Fürsorge gegeben werden. Als ein Kind weggelaufen zu sein scheint, beginnt Süden mit seinen von Intuition, Erfahrung, Kenntnis von homo sapiens und menschlichem Witz gespeisten Ermittlungen in den Milieus der Kleinbürger, der unspektakulären "Kollateralschäden" unsere Gesellschaft, in den badlands aus Frustation, Einsamkeit, Verwahrlosung, Überforderung, Stumpfheit und Indolenz. Weil aber Ani eben genau hinschaut, sind auch in diesen düsteren und fahlen Gegenden Freundschaft zu finden, Solidarität und andere gute Dinge mehr. Nur engstirnige Kleingeister mit betoniertem Weltbild können Kitsch bei Ani vermuten, wo er den human factor in seiner ganzen vertrackten Vielschichtigkeit beschreibt.

Kalte Spur

Um die berühmten Dinge, die es mehr gibt, zwischen Himmel und Erde, als unser kleiner Verstand erfassen kann, geht es bei C.J. Box' Kalte Spur (Heyne). In Wyoming, in den Rocky Mountains passieren derart gruslige Dinge, dass selbst das Fell von Joe Picketts Labrador sich schneeweiß färbt, nachdem der Hund etwas gesehen hat, das uns Leser der Autor aber nicht zeigt. Davon lebt das Buch - von einer Atmosphäre des Grauens, von böse verstümmelten Elchen, Kühen, Pferden und Menschen, die auch den unheroischsten aller Serienhelden, den Wildhüter Joe Pickett, ratlos zurück lässt. Klar, vieles ist rational aufklärbar, zumal sich auch in den hintersten Winkeln der USA Grundstückspekulanten, Energiekonzerne, durchgeknallte Ex-Army-Chirurgen und andere sinistre Gestalten tummeln. Aber manches bleibt unklar, numinos. Und schafft so Horror pur, den man nur fühlt, aber nie expliziert bekommt.

Niceville

Viel handfester mischt Carsten Stroud in Niceville (DuMont) die Genres - irgendwo zwischen Gangsterroman, Cop-Story, Horrorgeschichte und Psycho-Thriller tummeln sich Killer, Lebende und Tote, Hightech-Spione, Sittenstrolche, verschwundene Kinder und Kriegsveteranen (aus dem 1. Weltkrieg!), Vogelschwärme, Spiegel und ein tiefer, tiefer schwarzer See in den Bergen über dem netten Städtchen, irgendwo in den Südstaaten. Strouds Mix mag kühn und sehr kalkuliert sein, aber so macht Kalkül großen Spaß - denn bei aller (Tief-)Sinnfreiheit, hat man sich am Ende blendend amüsiert, auch wenn man nicht genau weiß, über was.

Der Sachbuch-Tipp: Drogenkorridor Mexiko von Jeanette Erazo Heufelder (:transit) - eine Reise von Cuidad Juarez nach Culiacan, zwei Hauptstädte der Narco-Industrie, die Mexiko fest im Griff hat. So fest, dass man schon von einem failing state sprechen kann. Eine kluge, auch (kultur-)historisch brillant unterfütterte und wunderbar geschriebene Reportage, die unendlich viel Fakten vermittelt und davor warnt, irgendetwas auf diesem Planeten für so einfach zu halten, wie unsere Medien das gerne hätten. Außerdem eine wichtige Lektüre für Leute, die Don Winslows Romane aus dem Drogenmilieu für übertrieben halten.

 

© Thomas Wörtche, 2012

 

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