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Leichenberg 02/2009

 

Eishauch

Es geht nicht immer schief, wenn ein "Hochliterat" sich an Kriminalliteratur versucht. Bei dem kanadischen Schriftsteller Trevor Ferguson, der als John Farrow schon immerhin vor 10 Jahren mit »City of Ice« einen kapitalen Thriller geschrieben hat, ist es zum Beispiel sehr gut gegangen. Wir dürfen dieses Buch jetzt als Eishauch (Knaur TB) auch auf deutsch lesen. Der Roman spielt in der Reggie-Nadelson-, Cruz-Smith- oder Bill-James-Liga - also ganz oben. Montreal in den 1990s, ein Bandenkrieg zwischen den Hell's Angels und den Bandidos tobt (faktisch korrekt), in den russische raketeers und la mafia sich strategisch hinein-verwoben haben. Weil die Russen mit ihrer Geheimdiensterfahrung sich auf dem nordamerikanischen Kontinent neu positionieren, mischen auch allerlei Dienste wie die CIA mit. Die Polizei von Montreal ist bis ins Mark korrupt. Bis auf Sergeant-Detective Emile Cinq-Mars, eine Figur von beinahe Isaac-Sidelschem Format - also ein naher Verwandter von Jerome Charyns mordendem Polizisten, Gutmenschen und Mafioso. Cinq-Mars, seine Leute, sein Zorn, seine Methoden und seine Intelligenz werfen eine unschöne Frage auf: Wie kriminell darf Polizei sein, um Kriminalität wirklich zu bekämpfen? Diese unschöne Problematik ist in dem schrägen, überraschenden, poetischen und intellektuell knallhartgesottenen Roman bestens orchestriert.

Kap der Finsternis

Brutal, niederträchtig, unappetitlich, stinkend, bigott und durch und durch verrottet ist Inspector Rudi Barnard, genannt Gatsby, von der Kapstadter Polizei. Er spielt Gott, tötet, raubt und vergewaltigt wie er will, weil die südafrikanische Gegenwart so etwas zuläßt - aus tausend unschönen Gründen. Sie läßt aber auch einen Gegenspieler wie Disaster Zondi (der Name ist eine schöne Reverenz an eine Figur von James McClure) zu - ein Antikorruptionsspezialist des Innenministeriums, der Barnard unbedingt zur Strecke bringen will. Und mitten hinein schlittert ein amerikanische Bankräuber, der sich in Kapstadt mit seiner Familie verstecken will: Durch eine Kette von Zufällen (für Freunde der Kontingenz...) kommt eine arg blutige, arg unangenehme Geschichte in Gang, die Roger Smith in seinem Roman Kap der Finsternis (Tropen/Klett-Cotta) mit präziser Wollust am ekligen Detail erzählt. Ein grober Keil auf eine ziemlich grob verfasste Gesellschaft, ein Buch über Scheußlichkeiten. Begangen von scheußlichen Menschen, in einer scheußlichen, ungerechten und menschenfeindlichen Umgebung, die doch nur Menschenwerk ist. Ekel und Abscheu sind da sehr probate Kategorien. Beeindruckend!

Der Venusmörder

Beeindruckend auch der kriminalliterarische Drive argentinischer Autoren, deren Texte bei aller Unterschiedlichkeit in Form und Intention immer wieder auf Kriminalliteratur zulaufen. Das ist bei den eleganten, eher avanciert erzählten, bitter-bizarren und grotesken Thriller von Carlos Balmaceda der Fall, der uns schon vor Jahren mit »Das Kochbuch der Kannibalen« eine sehr angeschrägte Lektion in argentinischer Immigrationsgeschichte geliefert hat, und jetzt mit Der Venusmörder (Piper) den Serial-Killer-Topos messerscharf durch sämtliche Dreckecken und verschlossenen Räumen des Landes schneiden läßt. Und nur oberflächlich gesehen traditioneller erzählt Sergio Olguín seine Rückschau auf die Geschichte von Buenos Aires, vertreten durch den Stadteil Lanús: Zurück nach Lanús (Suhrkamp) - die Mordgeschichte als Zeitreisevehikel, was weder originell ist noch sein will, aber von Olguín einfach grandios beherrscht wird.

Bei den vielen Feierstunden im Edgar-Allan-Jahr 2009 könnte man ja fast den Eindruck haben, dass oberlehrerhafte Revenanten aus der Arno-Schmidt-Forschung uns diesen schrägen vielschreibenden, irren und instinktiv-genialen Suffkopp und Zeilenschinder als eine Art frühen Super-Schmidt verkaufen wollen, so prätentiös wie ihre Exegesen daherkommen. Die bis dato schönste Hommage an Poe kommt jedoch aus einer Ecke, über die er sich vermutlich doch gefreut hätte: Aus der Trash-Ecke, nennt sich Welt des Schreckens - Edgar Allan Poe, ist ein allerliebstes, blutriefendes Comic-Album, gezeichnet von Richard Corben, geplottet und getextet von Rich Margopoulos (Panini). Poe-Texte, vom "Raben" bis "Berenice", bunt gemischt, mal prominent, mal abgelegen werden in guter Horror-Comic-Tradition (der DC-Horror stand deutlich und freudig Pate) aktualisiert und interpretiert - witzig, geschmacklos, überraschend, wenn zum Beispiel Poes Gedicht "Isfrael" (was man da alles interpretieren könnte...) als Gangsta-Rap-Story mit viel spritzendem Hirn dasteht - da wird Edgar Allan schnell zu Po' Boy Poe und Corben zu Kray-Z-Krayonz - das ist ziemlich sehr genial abgezockt. Und steht tatsächlich in der Tradition Poes - wahnsinnig, irre und überraschend.

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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