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Leichenberg 01/1998

 

Grundkurs: Wie designe ich einen Bestseller. Heute: Gewaltpornographie. Beispiel: David L. Lindsey: Requiem für ein Herz aus Glas  (C. Bertelsmann). Wichtig: Realitätsvermeidung, die so tut, als ob sie in der Realität spielt. Hier: Russenmafia gegen FBI. Die "Informationen", die eine BKA-Agentin ihren erschütterten Kollegen aus den USA über das Walten der Russenmafia in Deutschland gibt, haben mir die Tränen in die Augen getrieben. Vor Lachen. Jeder muß aber gegen jeden mindestens dreifach verschwurbelt intrigieren. Es könnten auch Koreaner gegen Luxemburger sein oder Käpt'n Blaubeer gegen seine Muffel. Wichtig: Schröckliche Geheimnisse mit hohem Kitschfaktor: Verschleppte Kinder. Nicht vergessen: Frauen heutzutage stets leicht anlesben. Dann zwischen die Beine schießen lassen, auf daß sich beim Austritt des Projektils (rektal) der Rock bauscht. Gilt als obsessiv. Weil Lindsey ein guter "Handwerker" ist, wirkt dergleichen noch blöder und öder.

Die Variante für schlichtere Gemüter gibt's bei Charles Wilson: Ahnherr des Bösen  (Ullstein). Hier werden gleich drei Erfolgsformeln gekreuzt: Jurassic Park, Aliens und Serialkiller. Und verdoppelt. So haben wir prima blutriefende Killerzwillinge aus dem Weltall, vom Mad Scientist genetisch rekonstruiert. Trash pur, ohne jede Ironie. Aber die haben die Hersteller von Gen-Gurken auch nicht. Der erste Fall von literarischer Analogiebildung zum Food-Design, leider biologisch nicht abbaubar.

Lustig auch, wie bleiche Menschen aus dem Norden (UK) sich immer wieder El Sur vorstellen: David Hewson, der, so treuherzig der Verlag, auch schon Reiseführer übers südliche Spanien verfaßt hat, packt jetzt alles in seinen Roman Semana Santa  (Ullstein): Weihrauch und Kapuzenmännchen, Stierkampf, Sherry, Leidenschaft, Hitze und alte, böse Franquisten, stolz wie die Spanier. Aiii, welch ein Blutbad, und aiii, welch düst're Melancholey!

Kommen wir zu vernünftigen Dingen. Zu Elmore Leonards kleinen schmierigen Gaunern: In Zuckerschnute  (Goldmann) - das Buch heißt "Out of Sight" - verlieben sich auch "Verbrecher" und "Polizisten", was immer das bei Leonard jeweils heißen mag. Und daraus muß kein Kitsch entstehen. Sondern z.B. eines seiner berühmten, kleinen Stückchen aus der Welt, die so gar nicht sortierbar ist. Es ist nicht unbedingt sein allerbestes Buch, aber ein einziges Kapitel von Leonard ist immer noch besser als sämtliche Blockbuster der letzten Jahre zusammen.

Selbst auf die Gefahr des Nervsägens hin werde ich an dieser Stelle immer wieder den Südafrikaner James McClure preisen. Die Edition bei rororo holt allmählich auf: Kalte Revanche  stammt immerhin schon aus dem Jahr 1984. McClure ist ein brillanter Schriftsteller, der in allen seinen Romanen um Lieutenant Tromp Kramer und den schwarzen Sergeant Zondi mit rein literarischen Mitteln die Widerwärtigkeit der Apartheid analytisch seziert und dabei glaubwürdige Menschen schafft. Kriminalliteratur muß kein Terrain an Grimmi-Geblödel abgeben. McClure gibt ein feines Beispiele dafür, was ästhetisch im Genre steckt.

Schriftstellerin im besten Sinn ist auch Carol O'Connell. Ihr dritter Roman um die rätselhafte Polizistin Mallory, Tödliche Kritiken  (Knaus), hat zwar nicht den stärksten Plot (Kunstbetrieb), aber sie verwandelt die Realität so überzeugend in Halluzination und Irrsinn, daß die Wirklichkeit erst recht deutlich sichtbar wird. Jerome Charyns Sur-Realismus hat mit O'Connell eine sehr eigenwillige Kombattantin gefunden.

© Thomas Wörtche

 

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