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Leichenberg 01/2019

 

Desert Moon

Irgendwo in der Wüste Utahs, die State Road 117 auf und ab, fährt Ben Jones mit seinem unterfinanzierten Truck Pakete und Gebrauchsgüter für Menschen aus, die weitab vom Schuss leben wollen und oft, milde gesagt, kauzig sind. Ein Fixpunkt in der Ödnis ist der "Well Known Desert Diner", ein Relikt aus dem Jahr 1929 und bis 1987 oft Drehort von B-Movies, unter anderen solchen mit Lee Marvin, mit dem der Besitzer, der alte Walt Butterfield, gut befreundet war. Nachdem dessen Gattin vergewaltigt und Jahre später anscheinend katatonisch gestorben war, ist der Diner nur noch selten geöffnet. Dahinter, weiter in der Wüste, steht eine Art Geisterstadt, die nie bewohnt gewesen war. Und dort sieht Ben Jones durch ein Fenster eine nackte Frau Cello spielen, wobei das Instrument keine Saiten hat. Das ist sehr rätselhaft und auch ziemlich poetisch. Wie überhaupt der Roman Desert Moon von James Anderson (Polar), ein Debüt, genau diese beiden Komponenten Rätsel und Poesie beeindruckend kombiniert.
      Desert Moon ist kein Country Noir von der Stange, auch kein Outback-Drama mit kettensägenden Irren, sondern eine sehr komplexe und vielschichtige Geschichte über Menschen, die mit anderen Menschen nicht allzu viel anfangen können und dafür ihre guten Gründe haben, so skurril sie anfangs erscheinen mögen. Das gilt für Walt und die schöne Cello-Spielerin genauso wie für den scheuen Ben Jones, für einen Prediger, der ein riesiges Holzkreuz durch die Wüste schleppt oder für zwei Brüder (oder so), die sich ihr Hinterland-Idyll wie ein Gefängnis eingerichtet haben oder für eine stockschlaue minderjährige schwangere Frau. Erst als eine unbekannte Sexbombe und wenig später ein angeblicher Reality Show Produzent eintreffen, beginnt die Wüste zu leben. Besonders das Cello rückt in den Fokus, und an diesem Cello hängen ganze Tragödien.
      Anderson lässt Ben Jones, halb Native American, halb Jude, die Geschichte erzählen, ruhig, auch wenn's rabiat wird, mit oft leise-sarkastischem Unterton, mit milder Selbstironie und großer Empathie für ziemlich alle Figuren. Ben Jones ermittelt nicht groß und gräbt auch keine alten Leichen aus, aber allmählich setzen sich für ihn viele kontingente Splitter plausibel zusammen - und dieses Bild ist nicht unbedingt erfreulich. Über allem aber liegt die Wüste, die Anderson in wunderbaren Bildern zeichnet. Nie verklärt idyllisch, sondern grausam bis brutal und trotzdem unendlich schön. Desert Moon ist eine Geschichte, die sich aus dieser Landschaft entwickelt und deren Figuren konstitutiv mit dieser Landschaft verbunden sind. Nur das Cello ist eine Art Fremdkörper, für den die Wüste kein Erbarmen hat. Sie ist und bleibt von gleichgültiger Schönheit.

Die Plotter

Un-Su Kims Die Plotter (Europa Verlag) ist nicht deswegen so originell, weil der Roman aus Südkorea kommt, wir wissen inzwischen, dass Asien sehr produktive, sehr spannende Kriminalliteratur zu bieten hat. Er ist auch nicht sehr originell, weil er in der Reihe der autoreflexiven "Killer"-Romane steht, die, sagen wir, spätestens seit Jean-Patrick Manchette "La Position du tireur couché" oder Luis Sepúlvedas "Tagebuch eines sentimentalen Killers" ihre eigene Tradition hat. Spannend ist, wie Un-Su Kim die makrostrukturell auch nicht gerade innovative Ballade vom Killer, der im Zuge eines Verteilungskampfes innerhalb der als gildenmäßig organisierten und dadurch romantisierten Parallelwelt der Auftragsmörder, selbst auf der Abschussliste landet, inszeniert. In Un-Su Kims Buch existiert ein nicht weiter erklärtes Universum, das die Politik- und Wirtschaftswelt Südkoreas mittels ausgefuchster Morde steuert, erdacht und dirigiert von den Plottern, anonymen Gestalten, exekutiert von der Killergilde "Library of Dogs", die allerdings zunehmend unter neoliberalen Druck gerät. Diese absichtlich unkonkrete, artifizielle Welt ist explizit literarisch verfasst. Deshalb generiert sich der Roman nicht aus abschilderndem Realismus, sondern aus Dialogen, mäandernden Memoirs und Reflexionen, mit denen Un-Su Kim die Handlung vorantreibt, ohne auf konventionelle Dramaturgie setzen zu müssen. Diese durch und durch fiktionale Welt erscheint aber gerade dadurch "wirklicher", "menschlicher" und damit letztendlich bösartiger und treffgenauer als jede verschwörungstheoretische Mär darüber, wie es wirklich zugeht auf der Welt.

Niemand kennt deinen Namen

Niemand kennt deinen Namen von Matthew Richardson (rororo) ist ein klassischer "Maulwurfroman". Irgendwer ganz oben in der Geheimdiensthierarchie des United Kingdom sabotiert Aktionen des MI6, liefert einen anscheinenden Doppel- (oder Trippel-)Agenten an köpfungswillige Islamisten aus, lässt Akten verschwinden und tötet Menschen, die etwas wissen könnten. Alle Zeichen stehen auf Großanschlag in London, Furcht und Schrecken allenthalben. Auch Solomon Vine ist eine Schachfigur in einem vieldimensionalen Spiel, aber als Hauptfigur auch der Einzige, der nach viel Leid und Elend, das er erdulden muss, am Ende durchblickt. Die Struktur ist klassizistisch: Vieldeutige Dialoge, undurchsichtige Situationen und Konstellationen, opake Figuren, literarisch-kanonische Anspielungen - man sollte überhaupt mal über die vielen leisen Echos von Anthony Price in neueren britischen Polit-Thrillern nachdenken -, exzentrisches Personal, aber in formal konventioneller Prosa vorgetragen. Bleibt also nur ein Innovationspunkt: Gender. Und diese Karte spielt Richardson leider zu überdeutlich, was das Buch bei aller Komplexion dann doch ziemlich ausrechenbar macht. Wie überhaupt Richardson sich in den eigenen Intrigen zu verheddern scheint, weshalb er sie an einem bestimmten Punkt völlig unnütz durch eine lange resümierende Passage klarieren muss, wie einst Old Lady Agatha - aber das kann dem Debutstatus des Romans geschuldet sein oder einem jener Lektorate, die kein Vertrauen ins Lesepublikum haben. Nicht machen, möchte man schreien. Aber ein interessanter Autor ist Matthew Richardson allemal.

Der Mongole - Das Grab in der Steppe

Ganz auf die "Exotik" des Schauplatzes setzt Ian Manooks Der Mongole - Das Grab in der Steppe (Blanvalet). Die "Exotik" der Mongolei ist natürlich nur im westlichen Blick eine solche, da hilft es auch nicht, dass Manook, der eigentlich Patrick Manoukian heißt und Franzose mit armenischen Wurzeln ist, seinen Roman aus rein mongolischer Perspektive erzählt und alle seine (positiven) Hauptfiguren Mongolinnen und Mongolen sein lässt. Seine Hauptfigur, Kommissar Yeruldelgger Khaltar Guichyguinnkhen, ist dennoch eine globalisierte Ermittlerfigur mit tragischem familiären Hintergrund und seiner Tochter entfremdet, kantig, gewaltaffin, grüblerisch, hierarchiefeindlich, einzelgängerisch, aber auch genial, loyal und im Grunde gut, also eine Art Best-of der üblichen Verdächtigen nach jahrzehntelanger Genre-Geschichte. Die Story ist ebenfalls geopolitisch global. Der Kommissar hat es mit einem toten europäischen Kind und abgeschlachteten Chinesen zu tun - und damit mit korrupten mongolischen Eliten, die ihr Land an Südkoreaner und Chinesen (üble Gestalten, das) verhökern und gleichzeitig mit mongolischen Neo-Nazis (interessanter Aspekt), ein Mittelschurke nennt sich "Adolf", die sich für die Erben von Dschingis Khans Imperium halten. Aber "Exotik" muss dann halt doch sein: Also alles, was nicht schnell genug auf die Bäume kommt: Steppenromantik, uralte mongolische Mythen und Sagen, Visionen und knallharte Kampfmönche mit spirituellem Background, was sicherlich alles so authentisch ist, dass es quietscht. Manook war schließlich 2008 auch mal in der Mongolei. Anyway, gut ist das Buch in Szenen, die in einem abgefuckten Ulaanbaatar spielen, routiniert gut die Figurenkonstellationen -, die korrupten Cops, das anscheinend benevolente Oberscheusal, Yeruldelggers Kolleginnen und Kollegen, die Sidekicks, der "CSI Miami"- Fimmel mancher Figuren und die Naturschilderungen. Das Ganze ist stockkonventionell erzählt (oder sagen wir: sprachlich-ästhetisch unauffällig) und insofern absolut marktkompatibel, eben mit ein bisschen Tourismus comme il faut. Und natürlich auf Serie angelegt.

Blake

So peinlich bescheuert, dass es fast schon wieder originell ist (nee, nicht wirklich) ist Blake von Jack Heath (Heyne). Blake ist ein Profiler oder Troubleshooter, der auf freier Honorarbasis für das FBI arbeitet, wenn die Behörde mal wieder nicht weiterkommt. Bezahlt wird er vom FBI mit den noch fast warmen Leichen von Hingerichteten (deswegen spielt der Roman in Texas, die richten so erfreulich oft hin, frisch aus der Region, möchte man sagen), die er dann frohgemut verspeist. Abzuheften unter "Überbietungszwang", nur ein zoopädonekrophiler Kannibale könnte das toppen. So weit, so bekloppt, aber schon okay - daraus hätte man was Satirisches machen können oder was Grand-Guignol-haft Makabres oder was Provokantes oder halt irgendwas Intelligentes, von mir aus auch was abgrundtief Zynisches. Aber nix da: Das Buch führt sich bloß wüst auf (naja, bis man nach ein paar Seiten den Gag kapiert hat), ist aber purer, erschütternd biedersinniger Fidelwipp: Der Kannibale mit vampirischen Zügen ist im Grunde gut, hatte eine schlimme Kindheit und trifft eine alte Jugendliebe wieder, die er allerdings erst nach ein paar hundert Seiten erkennt, nach dem sie schon tagelang zusammen gearbeitet haben. Und dann geht's dem echten Schurken nach ein paar total unplausiblen Handlungshaken an den Kragen. Meine Güte, was für eine trübe Mixtur aus Sozialkitsch und Gewaltporno und doofem wer-ist-der-Böse-Rätsel. Komikfrei, überhaupt total ungebrochen, eindimensional und mit nur einem Geheimnis: Was soll das?

Der Mythos arabischer Piraterie im Golf

Die Starz-Serie "Black Sails" bietet gerade ein wunderbares Gegennarrativ (für alle, die jetzt schnauben: Das Wort "Narrativ" ist manchmal sehr sinnvoll, weil es die Multimedialität von "Erzählung" impliziert) gegen hegemoniale Lesarten des Piratentums des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in der Karibik - ein dialektischer Diskurs unter anderem über Freiheit, inklusive sexueller Autonomie und Diversität und unter Umschreibung diverser Piraten-Mythen à la "Treasure Island", nebst polit-ökonomischem Background, der die Kolonialmächte Spanien und England und deren Wertewelt nicht gut aussehen lässt. Neben der Karibik ist auch der Arabische Golf (bis zum Indischen Ozean) Schauplatz des Großnarrativs "Piraterie". Auch dort ging es um die Durchsetzung imperialistischer Interessen, um Handelsplätze und Routen, die vor allem von der Ostindischen Kompanie gewaltsam dem Empire einverleibt werden sollte. Ein Propaganda-Krieg gegen lokale Kulturen war Teil dieser Strategie, die Piraterie die zivilisatorisch-konsensuale legitimatorische Raison für alle gewaltsamen Aktionen und Ermächtigungen. Narrative, die sich bis heute, Stichwort "Somalische Piraten", fortsetzen. Sultan Bin Muhammad Al-Quasimi hat in seiner großen Studie Der Mythos arabischer Piraterie im Golf (Olms) einen auf sehr reichhaltiges Quellenmaterial (vor allem aus Mumbai) gestützten historiographischen Gegenentwurf (Dissertation an der University of Exeter) vorgelegt, der vor allem die intentionale britische Mythenbildung dekonstruiert. Natürlich muss man bei allen historischen Studien grundsätzlich auf das erkenntnisleitende Interesse schauen - der Autor selbst herrscht über ein Golf-Emirat (Sharjah) und ist deswegen sicher nicht interesselos. Aber wichtig und spannend daran ist, dass es ein substantielles Gegennarrativ gibt, von dem aus man auch heutige Perspektive, Wahrnehmungen und Verarbeitungen auch und gerade in den Populären Kulturen noch einmal mit der gebotenen Skepsis betrachten kann.

Bastard

Bastard von Max de Radiguès (Reprodukt) ist ein wirklich allerliebster Comic. May und ein Knabe namens Eugene, der ihr Sohn sein könnte, setzen sich nach einem blutigen Raubüberfall mit der Beute ab und werden - May ist Profigangsterin - von ihren Ex-Kumpanen gejagt. May setzt sich robust und letztlich sehr effizient zur Wehr, und auch der kleine Eugene ist ein absolut toughes Kerlchen. Der Clou dabei ist, dass die anscheinend naiven Bilder (mit einem Schuss Manga) eine andere, nettere Geschichte zu erzählen vorgeben als die Storyline sagt. Die Geschichte selbst könnte aus dem Westlake/Stroby-Gangster-gegen-Gangster-Universum stammen, die dazu passende fiese Denke wird von einer Familientragödie grundiert, die auch vor ein paar Schluchz-Elementen nicht halt macht. Durch die Figur eines netten, stets supportiven Truckers, wie um die hellen Bilder zu unterstützen, kommt "Noir" als Label gar nicht erst ins Spiel. Die unartige Moral - wer Gewalt clever einsetzt, kommt weiter - kombiniert mit den stimmungsmäßig hellen Zeichnungen erzeugt eine erfreulich uneindeutige, faszinierende Spannung.

 

© Thomas Wörtche, 2019

 

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