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Leichenberg 01/2016

 

Bitter Wash Road

Garry Disher hat eine neue Figur erfunden: Constable Paul Hirschhausen, abgeschoben in ein Kaff in the middle of nowhere im Innern Australiens, wo die Straßen buchstäblich so sind, wie der Roman heißt: Bitter Wash Road (Unionsverlag). Die Gegend ist staubig und karg, die Kollegen tyrannisch und feindselig, die Bevölkerung mürrisch und misstrauisch. In Adelaide, der nächsten größeren Stadt, läuft ein Verfahren gegen ihn, weil er gegen einen korrupten Kollegen ausgesagt hat und damit, so sieht man es in den entsprechenden Kreisen, gegen der Corpsgeist der Polizei gehandelt hat. Zwei Serialkiller sind angeblich in diesem trostlosen Landstrich unterwegs, eine junge Frau wird totgefahren und Hirsch, so wird unser Held genannt, ist in der berühmten "Allein-gegen-alle"-Situation. Die sozialen Beziehungen der Menschen auf dem Lande untereinander sind für einen Fremden schwer einschätzbar, die gemeinsamen Leichen im Keller sind ein starkes Bindemittel. Also tut Hirsch, was ein Mann tun muss und mistet den Augias-Stall aus. Großartig ist Dishers Auge für die Landschaft und die Natur, präzise seziert er die Gesellschaft, die er dort vorfindet. Schön ist das alles nicht, aber meisterhaft gemacht. Und Hirsch ist eine komplexe, sehr plausible Figur, kein omnipotenter Held, aber jemand, der sich seiner Haut zu wehren weiß. Im Grund ist »Bitter Wash Road« ein moderner Western con crime. Leider ist letztlich das Crime-Element die Achilles-Ferse des Buches, denn die Untaten der Provinz-happy-few, die Hirsch enthüllt, wirken irgend lustlos konstruiert und sind nicht wirklich überraschend. Der übliche Sexkram mit pädophilen Elementen halt. Aber alles andere, die Figuren, das Erzähltempo, die Atmosphäre, das ist schon große Klasse.

Tal des Schweigens

Exzellent auch Malla Nunns dritter Roman um Detective Sergeant Emmanuel Cooper, der in den 1950er Jahren in Südafrika spielt: Tal des Schweigens (Ariadne). Während die ersten beiden Romane mehr Gewicht auf den politischen Subtext gelegt hatten - in Ein schöner Ort zum Sterben ging es um die Rolle der faschistoiden Special Branch Südafrikas, in Lass die Toten ruhen um die Integration des widerwärtigen Apartheid-System ins antikommunistische Lager während des Kalten Krieges -, steht hier ein Mordfall an einem Zulu-Mädchen im Vordergrund. Und damit der fundamentale Rassismus der südafrikanischen Gesellschaft, in dem auch der Konflikt zwischen Buren und Engländern eine wichtige Rolle spielt. Cooper und sein Zulu-Sergeant Shabalala kommen mit konventioneller Polizeiarbeit nicht weiter, zumal es auch karrieretechnisch kontraproduktiv ist, allzu einlässlich den Tot einer schwarzen Frau zu untersuchen. Ohne die kulturelle Kompetenz Shabalalas geht sowieso gar nichts, was wiederum die weißen Herrschaften gar nicht gut finden. Natürlich ist die Kombination weißer Chefermittler und schwarzer Untergebener ein Topos der südafrikanischen Kriminalliteratur, wie sie der geniale James McClure mit seinen Kramer & Zondi-Romanen begründet hat. Aber eben auch Ausdruck der realen Verhältnisse. Malla Nunn gibt dieser Konstellation noch einen besonderen Dreh: Cooper selbst ist nur aus willkürlicher Gnade ein Weißer, ein Tropfen "falsches Blut" kann ihn, wenn es der Obrigkeit gefällt, zum "Farbigen" degradieren, ein Ritt auf der Rasierklinge also. So müssen Cooper und Shabalala eine schon fast - aus der Zeit heraus gesehen - utopische Symbiose eingehen. »Tal des Schweigens« ist ein im Grunde sehr konventioneller, aber klug geplotteter Ermittlerkrimi, dem Malla Nunns Fähigkeit zur schieren Poesie ein ästhetisch mächtiges Surplus gibt.

Die Unschuld stirbt, das Böse nie

Keine Poesie nirgends bei Paul Mendelsons Die Unschuld stirbt, das Böse nie (Rowohlt Polaris). Der Originaltitel »The First Rule of Survival« deutet das Problem der Hautfigur Colonel de Vries aus Kapstadt an. Denn diese erste Regel heißt schlicht: Bleib am Leben. De Vries ist ein schon fast fanatischer Wahrheitssucher, ein Dinosaurier im Dienst des sich im Umbruch befindlichen South African Police Service. Hart am Irrsinn versucht der wenig sympathische, misogyne de Vries einen reichen Promi zu Strecke zu bringen, von dessen Schuld er weiß, sie aber nicht beweisen kann. Dass der eklige Promi-Psychiater mal wieder einen Pädophilen-Ring leitet, ist leicht fahl, siehe oben, sei aber verziehen, denn das wirklich spannende an dem Buch sind die Kämpfe innerhalb des Polizeisystems, zwischen schwarzen Aufsteigern und weißen Relikten beziehungsweise der Einfluss weißer Eliten auf die mittlerweile von Schwarzen dominierte Politik und Polizeiführung. Eine ziemlich unappetitliche Gemengelange, in der zögerliche Vorgesetzte, schleimige Anwälte und schmierige Opportunisten jeder Ethnie effektive Polizeiarbeit mit hauptsächlich legalen Mitteln beinahe unmöglich machen. Worauf de Vries mit radikal illegalen Mitteln reagiert, davon aber kein bisschen glücklicher wird. Mendelson ist zwar Brite, seine Einschätzung der politischen Lage in Südafrika ist jedoch klarsichtig düster. Wenn auch nicht ausgewogen politisch korrekt. Ein, sagen wir mal, grimmiges und böses Buch.

Old School

Deswegen jetzt ein leichte Komödie: Old School (Heyne) von John Niven. Die Grundkonstellation ist ein Klassiker. Vom Leben gebeutelte ältere Damen plus skurrile Sidekicks beschließen in Merry Olde England eine Bank auszurauben und setzen sich mit ihrer Beute nach Frankreich ab. Zwei englische Polizisten, einer clever, einer brotdumm, hetzen hinter ihnen her und geraten unter die Franzosen. Was vor allem kulinarisch gesehen für den einen der Himmel, für den anderen die Hölle ist. Wie gesagt: Alles topisch, alles schon dagewesen. Aber selten so lustig. Niven erzählt lakonisch, derb, bisweilen sehr derb, schnell und hemmungslos und ohne Rücksicht auf edlere Gefühle. Slapstick mit ziemlich bizarrem Personal und bizarren Situationen, mit eindeutiger, offener Sympathie für die diebischen Ladies und viel Schadenfreude für die Verfolger und allerlei Schurken, die am Wegesrand anfallen. Man kann bei der Lektüre getrost die innere Sau rauslassen und wiehern, naja, zumindest kichern. Wer an den frühen Tom Sharpe denkt, liegt nicht ganz falsch. Und natürlich ist das Buch eine gewaltige Watsche für deutsche Schenkelklopf-Grimmis, die alle zusammen nicht halb so komisch sind wie ein Kapitel »Old School«. Eben.

Französische lesende Menschen - zumindest so lange es noch keinen deutschen Verlag gibt - dürfen sich an einem hübschen Kompendium des geschätzten Kollegen und Serial-Killer-Spezialisten Stéphane Bourgoin erfreuen: La Bible du Crime (Éditions de la Martinière). Ein immerwährender Kalender mit den scheußlichsten Morden, den groteskesten Hinrichtungen, den gräulichsten Massakern, der moddrigsten Mörder*innen und vielem mehr, was das makaber gestimmte Gemüt erfreut. Nur für den Fall, dass man - unwahrscheinlicherweise - übersieht, dass die Welt kein Ponyhof und homo sapiens nicht die gelungenste Spezies ist.

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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