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Leichenberg 01/2015

 

Das Knochenband

Schön, dass mit Stuart MacBrides Das Knochenband (Goldmann) der achte Roman um Logan McRae endlich auch bei uns erschienen ist, nachdem zwei weitaus schwächere Romane aus der weitaus schwächeren Serie um DC Ash Henderson den Fortgang der Serie gehemmt hatten. MacBride ist einer der wenigen, die ich kenne, der einerseits strukturell seine Masche durchziehen kann: Verschiedene, zunächst weit auseinanderliegende Stränge werden so verknotet, dass am Ende sogar die Kontigenz der Ereignisse ihren Platz hat. Hier geht es um einen Fantasy-Film, der Aberdeen als Filmstandort befördern soll, um ziemlich eklige Ritualmorde und um das Drogenbusiness des nicht nur lokalen Organisierten Verbrechens, mit dem der inzwischen als Detective Inspector diensttuende McRae an der Backe hat. Andererseits nutzt McRae sehr intelligent die soap opera-Struktur, also das über Jahre hinweg laufende gleiche Personal und seine Beziehungen untereinander. Das ist wenig originell, aber so wie MacBride diese Masche handhabt, sehr clever und vergnüglich gemacht. Das liegt hauptsächlich an seinem nach wie vor absurden Witz - in diesem Buch zum Beispiel bekriegen sich Spezialisten, die Gesichtsrekonstruktionen schwer verstümmelter oder schon lange verwester Leichen machen können, was für MacBride die Gelegenheit ist, das rein betriebswirtschaftliche Denken (Budget, Budget!) der Polizei satirisch anzugehen. Es liegt zum anderen an den irren Figuren, allen voran DCI Roberta Steel, sowieso eine meiner Lieblingsfiguren der aktuellen Kriminalliteratur und MacBride Fans dürfen sich auf die Rückkehr von David Insch freuen, der allerdings kein Polizist mehr ist. Zudem bleiben die McRae-Romane ihrem heimlichen oder gar nicht so heimlichen Hauptthema treu: Die allmähliche Korrumpierung eines Polizisten durch das Organisierte Verbrechen, auf dass er ein guter Polizist sein kann. Auch wenn Logan McRae zunehmend in Visionen lebt.

Das Polykrates-Syndrom

Visionen und Halluzinationen suchen auch die Hauptfigur in Antonio Fians wunderbarem kleinen Roman Das Polykrates-Syndrom (Droschl) heim, der leider völlig unter dem Radar durchgeflogen ist. Das ist schade, weil Fians Buch fies, gemein und bösartig ist, ohne in Austro-Grantl oder abgenudelte Wolf-Haasismen zu verfallen, die manchmal die Pest bei österreichischen Kriminalromanen sein können. Fian erzählt munter-zynisch vom verliebten Loser, der plötzlich mit Leichen zu tun hat und dessen nette, gemütliche avancierte Spießerwohnung sich in ein Slasher-Heim verwandelt, das allerdings dem bürgerlichen Putzwahn auch nichts entgegen zu setzen hat. Das wahrhaft Skurrile an dem Buch ist, dass es nicht von skurrilen, sondern banal langweiligen Gestalten bevölkert wird, selbst der Vamp ist eine relativ biedere Ausgabe der femme fatale und nichts ist leichter, als Leichenteile in Wien zu entsorgen, wenn sie nur gut-spießbürgerlich bearbeitet sind. Sehr amüsant.

Killer

Überhaupt nichts amüsant, gar komisch hat ein zünftiger roman noir zu sein. Der soll gefälligst deprimierend, hoffnungslos und furchtbar endend unserer Gesellschaft so ziemlich alle Masken vom Gesicht reißen, Öd und fad soll die Welt sein, homo hominem lupus und das Übelste ist eine schöne Frau, die den Helden schnurstracks ins Verderben führt, wie wir's bei James M. Cain gelernt haben. Und so liest sich Dave Zeltsermans Killer (Pulp Master) auch an: Mafia-Killer (28 erfolgreiche Hits) kommt, weil er einen guten Deal mit den Behörden hingekriegt hat, nach relativ kurzer Haftstrafe wieder frei, muss einen demütigenden Job machen und in einer demütigenden Bude hausen. Bald werden die Leute des damals von ihm für den Deal verladenen Mafia-Bosses auftauchen und es wird ein böses Ende nehmen, zumal sich auch noch eine schöne Frau an ihn napft. Aber so läuft Zeltsermans Buch dann doch nicht, glücklicherweise. »Killer« ist am Ende ein optimistischer, amerikanisch positiver roman noir, in dem nur das Frauenbild der klassischen Vorlagen Bestand hat. Entwaffnend zynisch, obwohl die Hauptfigur niemand mag, auch am Ende nicht. Aber man muss ja auch keine Figuren mögen.

The Hunter

Und wie auf's Stichwort erscheint einer der hardboiled-Klassiker, dem Zeltserman alles, aber auch alles verdankt, in einer schönen Neuausgabe bei Zsolnay: The Hunter von Richard Stark (also von Donald E. Westlake). Die grimmige Geschichte vom Gangster Parker, der - auch von einer schönen Frau - reingelegt wurde und sich jetzt rächt, braucht den Aufkleber noir nicht. Der Roman ist lakonisch, transparent, kondensierte Sachlichkeit, beiläufige Gewalt und ein Plot, gerade wie ein Strich. Große Literatur. Auch großartig verfilmt (am prägnantesten von John Boorman als »Point Blank« mit Lee Marvin, wenn auch mit kompromisslerischem Ende), und von Darwyn Cook zum großartigen Comic »Parker« (siehe Leichenberg 04/2013) adaptiert.

Die Stunde der Rotkehlchen

Ein ganz und gar erstaunlicher, exzellenter Roman ist Die Stunde der Rotkehlchen von Jo Walton (Golkonda). Es fängt an wie ein Landhaus-Mystery, na ja, nicht so simple minded und schlicht wie ein Agatha-Christie-Teil, sondern eher giftig, ein bisschen Evelyn Waugh, ein bisschen P.G. Wodehose mit Kater von schlechtem Absinth. Irgendwo in Hampshire, es ist Mai, die Sonne scheint, die Rotkehlchen singen, der Zweite Weltkrieg ist vorbei - äh, halt... Die ersten kleinen Irritationen schleichen sich ein (wenn man den Klappentext hoffentlich nicht gelesen hat), denn irgendwie ist es mit dem Empire und dem III. Reich anders gelaufen, wie wir das so kennen. Man koexistiert in partiell sympathisierender Einigkeit, zumal Antisemitismus auf der Insel in weiten Kreisen völlig normal ist, wenn auch nicht so final wie auf dem Kontinent. Und dann wird einer der Architekten dieser unschönen Konstellation in seinem Bett auf Castle Farthing ermordet. Die Autorin Jo Walton richtet die meaning of structure, die Semantik des traditionellen murder mysteries gegen diese Form und ihre gesellschaftlichen Bedingungen. Der "Held", Inspector Carmichael, hat seine sehr persönlichen Gründe, eine Morduntersuchung als "Pakt mit dem Teufel" so zu führen, dass er politisch opportun ist. Ein charmant unbehagliches Buch.

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

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