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Leichenberg 01/2011

 

Nur DJs gibt man den Gnadenschuss

Eigentlich ist es eine Binsenweisheit, dass die französische Kriminalliteratur in ihrer Gestalt als néopolar sich weitaus intensiver mit den sozialen und politischen Realitäten der Gegenwart auseinandersetzt als die deutsche Grimmi-Ramschproduktion mit ihren lächerlichen Moden und Trends von Psycho, Katze und Histo bis Regio. Wie sehr zum Beispiel das wuchtige, hierzulande mit geradezu peinlich spitzen Fingern behandelte Pamphlet Der kommende Aufstand eines Unsichtbaren Komitees (Nautilus Flugschrift) mit seinen unverhohlenen Aufrufen zu Subversion und Sabotage, aber auch mit seinen klugen Beobachtungen zu neuen sozialen Sortierungen, Verbindungen und Kommunikationen mit Kriminalliteratur zu tun hat - das zeigen die vier neuen Bändchen der Suite-Noir-Reihe aus dem Distel Verlag sehr schön. Alle vier spielen unter Außenseitern, unter Losern, Transsexuellen, sans papiers, Huren, Spitzeln und politisch Radikalen. Alle sagen, wie's im Pamphlet heißt, nicht "Jawoll, Herr Wachtmeister", sondern eher "Fick die Polizei", auch wenn das nicht immer glückt. Seltsamerweise sind die eher explizit politischen Texte, Didier Daeninckx' Nur DJs gibt man den Gnadenschuss und Marc Villards Die Stadt beißt die schwächeren Texte, weil sie wenig elaboriert, eher als Drehbuchvorlage für die TV-Filme taugen (die nach den Suite-Noir-Texte für ARTE produziert wurden und die wiederum auf berühmte Filme der Schwarzen Serie verweisen sollen, was manchmal arg gezwungen erscheint, aber nicht weiter stört). Richtig gut dagegen die Geschichte von der zurückschlagenden, weil reingelegten Transe: Die Königin der Pfeifen von Laurent Martin und die absolut beklemmende Story über ganz legalen Betrug und die Hölle: Das Tamtam hat Angst von Romain Slocombe. Alle vier Kurzromane aber sind sehr lesenswerte Ausflüge in gesellschaftliche Realitäten, denen deutsche Grimmiautoren lieber weiträumig ausweichen - was aber auch vermutlich gut so ist, wenn man überlegt, was für ein aufgeblasener Unfug aus einer sozialen Wende des Deutschgrimmis entstehen könnte...

Blutige Schuld

Auch stets auf dem Boden der Realitäten bleiben die arg unterschätzten Romane von Michael Koryta. Blutige Schuld heißt der verschlunzte deutsche Titel für »Envy the Night« (Knaur). Naja, wenn's dem Abverkauf dient. Korytas Bücher spielen immer gerne in Wisconsin und immer gerne unter Leuten, die Automechaniker (wie hier) oder andere Berufe haben, die in der schönen Literatur nicht so oft vorkommen. Gangster sind hier keine omnipotenten Superschurken, sondern untreue Sheriffs, schmierige Verräter und andere Biedermänner. Typische "American Gangster" eben, die wir aus Jim-Thompson-Romanen kennen und aus Coen-Filmen. Dass dabei ein gewisser Western-Einfluss nicht ganz ausgeschlossen werden kann, ist klar. So auch hier - Korytas Roman ist fast selbstverständlich der Roman einer Abrechnung und der Roman mehrerer Lebensbilanzen. Und da wird er unprätentiös sehr komplex. Wem das alles ein bisschen nach Elmore Leonard klingt, kann gleich nachprüfen, wie viel Koryta vom Altmeister gelernt hat. Denn von Elmore Leonard gibt es einen neuen Roman auf Deutsch, glücklicherweise unter dem Originaltitel Road Dogs (Eichborn). Natürlich ist die Geschichte mies, fies und lakonisch erzählt. Es geht um Geld, Loyalität, Verrat, Freundschaft und nackten Irrsinn. Die drei Hauptfiguren stammen aus dem Leonard-Universum, einer fiktiven Welt, in der man durchaus von den Toten wiederauferstehen kann wie Cundo Rey aus »La Brava«, um sich mit seiner Braut Dawn Navarro und mit Jack Foley aus »Out of Sight« zusammen zu tun und dann zu überlegen, wer wen am geschicktesten aufs Kreuz legt. Das ist alles leicht und lakonisch erzählt, da machen Dialoge Spaß, da liegen nirgends die Bleigewichte von Bedeutungsschwere und Sinn-Bombast.

Bis zum letzten Tropfen

Eher robust, aber durchaus cool geht es im Universum von Vampir Joe Pitt zu. Die Serie handelt um von Menschen, der keine richtigen Vampire, sondern von einem üblen Virus (genannt Vyrus) befallenen sind. Die Infizierten brauchen Blut, um zu überleben und so bildet sich eine Parallelgesellschaft, die von Autor Charlie Huston immer mehr verdüstert, aber gleichzeitig auch immer komplexer gestaltet wird. Bis zum letzten Tropfen (Heyne) ist der vierte Band einer bisher fünfteiligen Saga. New York City ist territorialisiert, Gang-Land, zersplittert zwischen Arm und Reich, tyrannisiert von extremer Gewalt aller gegen alle, ein sozialdarwinistischer Themepark. Genauso das wollen einige Gruppen nicht akzeptieren, Vyrus hin oder her. Blut fängt an zu fließen. Ein böser Roman über Außenseiter und über gespaltene Gesellschaften, wenn man die Symbolik ernst nehmen möchte. Und das kann man bei Hustons Büchern allemal.

 

© Thomas Wörtche, 2011

 

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