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Leichenberg 01/2006

 

Fliegenpapier Gute Nachrichten zuerst: Hans Hillmanns grandioser Graphik-Zyklus Fliegenpapier nach der gleichnamigen Continental-Op-Story von Dashiell Hammett in einer Prachtausgabe bei dtv: Hillmanns virtuose Zeichnungen in unendlich nuancierten Hell-Dunkel-Abstufungen begeistern durch ungewöhnliche Perspektiven, durch kühne, filmanaloge Schnitte und die perfekt gelungene Umsetzung der Essenz von Hammetts Prosa in Bilder - ihre Eiseskälte, ihre Dynamik, Brutalität, Gewalt, Einsamkeit und Melancholie. Damit etwas ein Topos wird, muss es erstmal kräftig genug inszeniert sein. Hillmann ist es gelungen: So authentisch hammettesk war keine Verfilmung je. Eine grosses Kunstwerk als Dialog zweier Künstler.

Ein grosser kleiner Roman kommt von Didier Daeninckx: Statisten (Assoziation A). Genaugenommen eine Erzählung, in der der notorische Konsensverweigerer Daeninckx den cineastischen Schwarmgeistern in die Suppe spuckt, die alles ganz toll finden, wenn es nur ästhetisch gut rüberkommt. Hier geht es um die Rekonstruktion eines ekelhaften Snuff-Pornos, der technisch so perfekt gedreht ist, dass man fast Fritz Lang dahinter vermuten könnte. Aber die Spur führt, wie oft bei Daeninckx, in die böse Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs. Spannend, konzentriert, essentiell.

Die zweite StimmeWeniger konzentriert als sorgfältig ausschweifend verfährt Charles Todd in seinem Roman Die zweite Stimme (Heyne). Die Hauptfigur ist faszinierend: Inspector Rutledge kommt mit einer veritablen Schützengrabenneurose aus dem 1. Weltkrieg zurück in den Polizeidienst. In seinem Kopf gibt es eine zweite Persona, Hamish, einen Unteroffizier, den Rutledge wegen »Feigheit vor dem Feind« hatte hinrichten lassen. Und mit dieser Schizophrenie muss Rutledge einen politisch heiklen Fall in der englischen Provinz lösen. Herauskommt eine feine Analyse einer durch und durch neurotisierten Gesellschaft, der Krieg in den Seelen der Menschen ist noch lange nicht vorbei. Diese sorgfältige Zergliederung fordert zwar Tribut von der Erzählokonomie, aber Geduld ist eine Tugend, die gute Autoren von ihren Lesern mit allem Recht verlangen dürfen.

Ein leicht wirrer Plot ist die Achillesferse von Christine Lehmanns Höhlenangst (Ariadne), die aber von der Hauptfigur, der androgynen Lisa Nerz mehr als kompensiert wird. Lehmann schreibt eine elaborierte, erwachsene, eigene Prosa mit Witz, Ironie, Sarkasmus und scharfer Beobachtungsgabe. Ihre Ausflüge in die Höhlenwelt der Schwäbischen Alb, die einem Klaustrophobiker wie mir den Schweiß auf die Stirn treibt, sind vom üblichen Regional-Krimi-Gewese soweit entfernt wie die Wirklichkeit von deutschen Krimiserien.

Womit wir bei Ulrich Wegerichs Berliner Blut (Königshausen & Neumann) sind. Ein mit präziser Kiezkenntnis und einem hochplausiblen Hintergrund ausgestatter Polizei-Roman, in dem es um Entmietungen und allerlei Unrat im Immobilienbusiness zu gehen verspricht. Am Anfang. Dann aber kippt der Roman um. Eine Mordkommission inszeniert eine Geiselnahme, alles was zunächst erfreulich down-to-ground geblieben war, wird einem billigen TV-Serien-Nachklapp geopfert. Deswegen: Deutsches-Krimi-Serien-Schau-Verbot für Krimi-Autoren. Nach dem Abendessen ins Bett. Oder was Anständiges lesen!

Bitte auch keine Wolf-Haas-Klone mehr! Seine Ludwig-Thoma-goes-Crime-Masche hat vielleicht drei Bücher lang gezogen, dann war`s gut. Was man definitiv nicht braucht, sind Copy-Cat-Produkte wie Lebensabende und Blutbäder von Manfred Rebhandl (Czernin), die ihren Distinktionsgewinn durch Überbietung erzielen wollen. In diesem Fall durch Mega-Flatulenzen (bitte selbst nachschlagen)! Neee, Grobianismus ist was anderes und auch der wunderbare Rabelais taugt da nicht als Bezugspunkt.

Die im DunklenGerne hätte ich gejubelt, weil mit Die im Dunklen endlich, endlich wieder ein Roman von Ross Thomas in der adäquat guten Übersetzung von Gisbert Haefs lieferbar ist. Doch die Neuausgabe beim Alexander Verlag sieht schauderhaft aus und wird den Verkauf eines der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts eher blockieren. Um den klarsichtigsten aller Polit-Thriller-Autoren überhaupt wieder sichtbar zu machen, bedarf es einer sorgfältigen Gesamtedition, und nicht eines lieblos präsentierten Einzelstücks, das den Buchhandel nicht gerade scharf auf diesen vom deutschen Verlagswesen arg gebeutelten Autor macht. Dennoch: Ross Thomas ist absolute Pflichtlektüre.

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

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