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Irgendwo in Mexiko

Mit seinem erfreulich unambitioniertem Thriller »Die Tote von San Miguel« und einem unterhaltsamen Spiel mit kriminalliterarischen Klischees erinnert der amerikanische Autor Jonathan Woods daran, dass Kriminalliteratur Literatur von unten ist und genau darin ihre Subversivität liegt.

Von Thomas Wörtche

 

Die Tote von San Miguel

Kriminalliteratur ist in letzter Zeit arg seriös geworden. Man diskutiert sie anhand der umfangreichen und komplexen Epen von David Peace oder Don Winslow. Ihre Themen sind gewichtige Beiträge zu den Diskussionen, die die Welt bewegen - große Politik, strukturelle Gewalt, die diversen psychosozialen Verwerfungen der Globalisierung und so weiter.

Die List der Vernunft, die glücklicherweise auch für die literarische Evolution gilt, sorgt aber immer wieder dafür, dass sich Gegenströmungen zum gerade angesagten Großtrend bilden. Im Fall der Kriminalliteratur beziehen sich solche antizyklischen Strömungen gerne und sinnvollerweise auf die nicht ganz so reinlichen Ursprünge des Genres.

Jonathan Woods' Roman »Die Tote von San Miguel« ist im Original nicht umsonst in der kleinen "New Pulp Press" erschienen, deren Name Programm ist. Das Buch übernimmt von den guten alten pulps, also den auf billigem Papier gedruckten amerikanischen Romanen mit großer Vergangenheit - Raymond Chandler, Jim Thompson und Co. waren "Pulp"-Autoren" - die Basics: Das überschaubare Setting, den gradlinigen Plot, eine gewisse Drastik des Physischen - Gewalt, Sex und andere Äußerungen von Körperlichkeit - und eine lakonische, metaphernreiche Sprache, mit knappen, witzig-aggressiven Dialogen. In einer mexikanischen Kleinstadt hat sich eine kleine Gemeinschaft amerikanischer Ex-Pats wegen der günstigen Lebenshaltungskosten niedergelassen und geht bohème-haft dem Kunstleben nach: Als Maler, Galeristen, Modelle, Musen und Müßiggänger. Logischerweise nimmt das ein böses Ende, als eine hübsche junge Frau aus diesem Kreis anscheinend einem Ritualmord zum Opfer fällt.

Woods erzählt die Geschichte strikt aus dem mexikanischen Blickwinkel, aus der Perspektive von Inspector Díaz, der lieber faul und korrupt und hinter den Frauen her ist, als sich zu stressen. Allerdings gibt es ein paar Aspekte an der ganzen Affäre, die ihn wachrütteln und zu einem guten Cop, wenn auch nicht zum guten Menschen machen. Denn um Ritual-Morde eines irren Serial-Killers geht es hier ganz und gar nicht, sondern, auch da ganz klassisch, es morden Menschen, die laut Chandler, ihre guten Gründe dafür haben. Die Verdrehung des Verhältnisses USA/Mexiko (normalerweise müssen die Amis die Arbeit für die inkompetenten Mexikaner machen), die Schilderung abwegiger Typen aus dem Kunstbetrieb und dem Bestiarium der Kleinstadtcops sowie die immer mitlaufenden, oft komischen Bezüge auf die Mexiko-Manie à la "Desperado" oder "Machete" bieten unterhaltsame Einfälle in Hülle und Fülle.

Die robuste, intelligente Kriminalgeschichte, die dahinter steckt, verhindert, dass »Die Tote von San Miguel« zum eitlen Meta-Roman wird. Ein rundum erfreuliches Buch, das entspannt zeigt, dass man die rauen, rohen und derben Ursprünge der Kriminalliteratur "von unten" durchaus elegant und mit Esprit auch heute noch fruchtbar machen kann, wenn sich "oben" die Verhältnisse allzu etabliert haben. Kriminalliteratur ist nicht mainstream, Bücher wie das von Jonathan Woods erinnern vergnüglich daran.

 

Jonathan Woods: Die Tote von San Miguel. (A Death in Mexico, 2012). Kriminalroman. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Thon. Deutsche Erstausgabe. Berlin: Aufbau Verlag, 2014, Aufbau Taschenbuch Nr. 3007, 318 S., 9.99 Euro (D), eBook 7.99 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Deutschlandradio Kultur,
04.04.2014
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Jonathan Woods Buch finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/krimi-sterben-in-mexiko.950.de.html?dram:article_id=282018 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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