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Fernes Echo besserer Tage

Don Winslow hatte mit seinem letzten Roman »Vergeltung« seine Reputation als Autor, der Kriminalliteratur auf hohem Niveau produziert, beschädigt. Auch mit seinem aktuellen Werk »Missing. New York« stolpert Winslow in einige Simplitätsfallen und stellt sich in die Tradition reaktionärer Modernitätskritiker.

Von Thomas Wörtche

 

Missing. New York

Man hat Don Winslow erhöht. Nach grandiosen Romanen wie »Frankie Machine« und »Tage der Toten« dachte man, in ihm die Quadratur des Kreises gefunden zu haben: Ein Autor, der sehr erfolgreich beim breiten Publikum ist, dabei Prosa auf hohem Niveau abliefert, komplexe Stoffe leicht bewältigt und in keine ideologischen Simplifikationsfallen läuft. Mit anderen Worten: Don Winslow stand für den momentanen state of art der Kriminalliteratur.

Und dann kam »Vergeltung«, ein dumpfer Söldnerroman aus dem Geiste der Tea Party, aufgemotzt mit Pathos, Patriotismus und militärtechnischem Terminologieoverkill, der Tom Clancy liberal erscheinen ließ. Nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein intellektuelles Debakel. Aber ein geschätzter Autor hat mindestens einen Absturz frei, auch wenn man bei einem solchen gewaltigen Kopfsprung nach unten die älteren Bücher noch einmal mit anderen Augen anzuschauen versucht ist.

Umso gespannter also war man auf den nächsten, den neuesten Roman, der gleichzeitig der Start einer neuen Serie sein soll. »Missing. New York«, als Pilot, sozusagen, beginnt in Lincoln, Nebraska, wo der Irak-Krieg Veteran Frank Decker als Detective mit Aussicht auf eine schöne Karriere bis zum lokalen Polizeichef obwaltet. An Karriere ist er, zur Frustration seiner ehrgeizigen Frau, nicht sonderlich interessiert, sondern daran, seinen Job zu machen. Als ein siebenjähriges Mädchen verschwindet, gibt er deren Mutter das Versprechen - Friedrich Dürrenmatt lässt hier explizit grüßen - ihr Kind wiederzufinden. Dieses Versprechen hält er, trennt sich von seiner verständnislosen Frau, wirft seinen Job hin und zieht, von dem schmalen Erbe seines Vaters lebend, ein Jahr lang kreuz und quer durch die USA. Dann plötzlich, wie's der Zufall will, findet er eine heiße Spur, die ihn nach New York City führt, wo er in der letzten Sekunde verhindern kann, dass das tatsächlich noch lebende Kind pädophilen Perverslingen zugeführt wird. Danach kehrt er nach Nebraska zurück, lebt in einer Hütte am Fluss und wartete auf den nächsten vermissten Menschen, den er retten kann.

Komplex ist das nicht. Entführte Kinder, die in Kellern gehalten werden, sind immer für einen Medienhype gut - furchtbar und schlimm in der Realität, als in schlichte Erzählprosa umgesetzte Schlagzeile eher problematisch. Und Kinderschänder sind nach Islamisten die idealen Schurken, an deren Schlechtigkeit niemand etwas zu relativieren hat. Man kann sie, wie Winslows Held Decker, zusammenschlagen, ihnen die Wonnen einer Hinrichtung mit der Giftspritze schildern, ihre Anwälte "zum Kotzen" finden und sie, ohne mit der Wimper zu zucken, beifällig zum Freiwild für alle erklären, die Kinderschänden auch nicht gut finden, auch wenn die selbst Mörder, Räuber und Vergewaltiger sind. Wer wollte bei so viel Populismus eine Gegenrede riskieren?

Und schließlich New York City - die große Hure Babylon, in der der schlichte, einfache Land-Cop, der noch nie zuvor in einem Bordell war, unter den Reichen und Schönen (denn sie sind die wahren Verbrecher) aufräumt, wie weiland Clint Eastwood in "Coogan's Blufff" als Sheriff aus Arizona oder John Wayne als ehrlicher, rabaukiger US-Cop Brannigan, der im dekadenten London amerikanische Werte durchsetzt. Wobei sowohl bei Eastwood als auch bei Wayne Züge von Selbstironie und Komik aufscheinen, die es bei Winslow nicht gibt. Da gibt es nur die Häme des Stärkeren. Den uralten und öden Topos reaktionärer Kulturkritik, der viel über das Verhältnis der USA zu der globalen Metropole New York City aussagt, erfüllt Winslow starr und stur: New York ist unamerikanisch, stinkt, ist schmutzig und übervölkert, sittlich verderbt, die Cops sind entweder korrupt oder, wenn weiblich, sexuell autonom und aktiv, was den richtigen Westerner abstößt.

Wobei überhaupt Keuschheit ganz wichtig ist: Als habe er seine misogynen Mickey-Spillane-Romane, die vor schlechten Frauen warnen, inhaliert, widersteht er tapfer der heißesten Braut des Big Apple, die sich ihm freiwillig ins Bett legt. Und ein one-night-stand mit einer netten Kollegin, die proaktiv ist - nie und nimmer. Bis ins Detail reitet Winslow den patriotischen Konservativismus: Seine Schlange von Gattin, die er noch irgendwie liebt, aber irgendwie auch nicht, weil sie selbst Karriere macht und sich über das fade Leben in Nebraska beklagt, ist überall auf der falschen Seite: Sie fährt einen europäischen BMW, während unser Held eine uramerikanische, spritfressende Corvette bevorzugt. Klar.

Aber selbst wenn wir das Thema Vigilantismus zunächst einmal in seiner ganzen prekären Problematik als "sehr amerikanisch, sehr populär" durchgehen lassen und schon damit Don Winslow aus dem Kreis der ernstzunehmenden Autoren in den der kalkulierten formula fiction hacks umpflanzen - die wahre Sünde liegt in der totalen Voraussehbarkeit und ermüdenden Langeweile, die das Buch abstrahlt. Noch nicht einmal die vielen Zufälle, die die Handlung lächerlich erscheinen lassen, könnte man als kleine Fingerübung zum Thema "Kontingenz" lesen, weil alles in dem Buch "Funktion" und auch noch mit der Leuchtschrift "Funktion, Funktion" versehen ist. Früher hätte man daraus einen Heftchen-Roman gemacht.

Das berühmte Winslow'sche Erzählen in kurzen, oft untereinander angeordneten Sätzen verliert in einem solch deprimierenden Kontext allerdings jede Art von Originalität. Winslow hat ihm die eigenständige Semantik genommen, es wirkt wie ein fernes Echo besserer Tage.

Ästhetische Unterkomplexion und Ideologie stehen aber, wie immer, in einem fatalen Zusammenhang. Jean-Patrick Manchette, der viel über solche Zusammenhänge nachgedacht hat, nennt in einem kleinen Essay von 1974 (»Anmerkungen zum Kriminalroman«) diese Art von Text "Literatur der Verachtung". Manchette meint damit, "die Verachtung des Lesers, dem man Szenen von Sadismus und Pornographie bietet, damit er sich daran ergötzen kann. Die Frage nach der Legitimiät des Rechts wird nicht gestellt, sie wird verborgen."

Bei Winslow gleich zweifach: Die Legitimität des Rechts, Leute mit der Giftspritze hinzurichten, wird gar nicht erst befragt; die Legitimität der Selbstjustiz auch nicht. Das ist schon beinahe ironisch-paradox, weil die ohnehin teilweise prekären Rechtsnormen der USA bei Winslow nicht rechts überholt werden müssen, sondern weil die Selbstjustiz aus dem Geist des "legitimen" Hinrichtungswunsches entspringt. Und die Simplizität der Handlung, die Einfalt des Narrativs, die Gewissheit der linearen Handlung, die vermutlich göttlichen Fügungen des Zufalls bilden den Nährboden, der komplizierte Verhältnisse, moralische Grautöne, Kritik und Zweifel jeder Art als "Schwäche" oder gar als Komplizentum mit "dem Verbrechen" denunziert.

Deswegen passt Winslows »Missing. New York« durchaus in den ideologischen Rahmen des Vorläufer-Romans, aber dieser ideologische Rahmen beruht nicht auf raffiniertem Kalkül, sondern bedient ziemlich peinlich direkt und offen Ressentiment und Populismus, als gebe es die moral majority aus McCarthys Zeiten noch. Oder wieder.

 

Don Winslow: Missing. New York. (Missing. New York, 2013). Thriller. Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte. Deutsche Erstausgabe. München: Droemer, 2014, Klappenbroschur, 395 S., 14.90 Euro (D), eBook 12.90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Freitag, Nr. 46/2014,
13.11.2014
)

 

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