legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Burnout in Florida

Irvine Welsh, seit seinem Debüt »Trainspotting« weltberühmter schottischer Autor, erzählt in seinem neuen Roman »Crime« von einem Cop aus Edinburgh, der sich in Florida von seinem Burnout erholen will. Nach einer durchzechten Nacht indes sieht sich der Polizist mit einem pädophilen Ring konfrontiert, und er versucht mit allen Mitteln ein zehnjähriges Mädchen vor ihren Peinigern zu retten. Die flotte Story in guter hardboiled-Tradition unterbricht Welsh mit manieriert erzählten Rückblenden, in denen sich die Vorgeschichte der Hauptfigur entfaltet.

Von Thomas Wörtche

 

Crime

Irvine Welsh ist ein "Kultautor", seit seinem sensationellem Debut »Trainspotting« (1993). Seit dem hat der Schotte sich in seinen Romanen immer wieder mit den verschiedensten Arten von Sexualität befasst, mit Gewalt, mit Drogen und Alkohol und auch mit Polizisten. Insofern ist es sicher kein Konjunkturrittertum auf der Welle der einschlägigen Kriminalliteratur, wenn Welshs neues, auf Deutsch vorliegendes Buch »Crime« ein Roman über einen von Drogen, Alkohol und seinem Job ausgebrannten Polizisten aus Edinburgh ist, der in Florida, wo er sich und seine Beziehung zu kurieren versucht, in widerwärtige pädophile Machenschaften rutscht und sich mit einem hochorgansierten Ring von Kinderschändern konfrontiert sieht.

»Crime« - eindeutiger kann ein Titel kaum sein und dennoch so viele Sinnebenen beinhalten - besteht im Grunde aus zwei Romanen: Einmal ein ziemlich gut gemachter Kriminalroman, hardboiled, stilistisch knapp, präzise, mit bösen Einsichten ins "Rentnerparadies" Florida, durch das Ray Lennox, so heißt unser Held, robust pflügt. Er will ein zehnjähriges Mädchen vor seinen pädophilen Peinigern retten und so wird seine Odyssee mit dem zutiefst verwirrten, aber langsam Vertrauen fassenden Mädchen im Schlepptau zu einer Art bösartigen Variante von »Alice in den Städten«, bei der es allerdings um Leben und Tod geht. Denn die Kinderschänder sind überall; nette, aufrechte Mitbürger allesamt und dummerweise ist das Hauptekel Polizist. Ein Verhandlungsfriede ist nicht machbar.

Zum anderen erzählt »Crime« die Geschichte von Lennox, wie er in Edinburgh nur deswegen Polizist wurde, um Kinderschänder zu jagen, und wie er daran beinahe zu Grunde ging. Wir erfahren seine Familiengeschichte, wir lernen viel über Fußball (wie immer bei Welsh) und Edinburgh. Dieser Teil des Buches leidet an der störend manierierten Erzählhaltung: Die Hauptperson Lennox wird ständig vom Erzähler angeredet, bzw. Personen- und Erzählerrede werden identisch: "Als du in verwirrender Finsternis hochschrecktest, sahst du auf deiner Liste entgangener Anrufe... " etc. Eine Stilisierung, um Distanz zwischen dem Lennox der Gegenwart in Florida und dem in der Vergangenheit in Edinburgh zu schaffen, das ist klar. Aber eine Stilisierung, die sich schnell abnutzt, schwerfällig und redundant wird. Genauso redundant wie viele Rückblenden in Lennox' Leben und Jugend. Allzu deutlich und allzu gewollt unterstreicht Welsh den nicht ganz überraschenden springenden Punkt, dass sein Held zum fanatischen Jäger wird, weil er selbst Opfer war.

Auf der Ebene der aktuellen Kriminalromanhandlung löst Welsh die psychische Disposition seiner Figur viel radikaler in action und in Momente heftiger, intensiv geschilderter Gewalt auf. Wenn sich Lennox immer wieder auf die Peiniger seiner Schutzbefohlenen wirft, bis sie endlich erledigt sind, hat der Roman seine großen Qualitäten: da wird die Wut und die Desperado-Mentalität des zornigen Bullen entschieden fühlbarer als in den stilisierten, eher reflektorischen Passagen.

»Crime« besteht also aus einer brillanten und einer weniger brillanten Hälfte, das ist - je nachdem, wie man zu Welsh stehen möchte - entweder ganz erfreulich oder ein wenig enttäuschend.

 

Irvine Welsh: Crime. (Crime, 2008). Roman. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Deutsche Erstausgabe. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011, gebunden mit Schutzumschlag, 479 S., 19.99 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2011
(Deutschlandradio Kultur,
01.11.2011
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Irvine Welshs Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1593029/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen