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Top Secret

Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich der Polit-Thriller mit dem Ende des Kalten Krieges nicht von der kriminalliterarischen Bühne verabschiedet, sondern erlebt eine beachtliche Renaissance.

Von Thomas Wörtche

 

An Stoff mangelt es ganz aktuell sicher nicht: NSA und - innenpolitisch - NSU, Vorratsdatenspeicherung, überhaupt Big Data, "Terrorismus", Ukraine-Konflikt und, wie immer in den letzten Jahrzehnten, der Nahe Osten, Cyberangriffe auf Staaten und Institutionen sollen als Stichworte genügen. Die Realität bietet Material in Hülle und Fülle, das nach literarischer Bearbeitung nachgerade schreit. Alles klassische Themen, für die die Literatur ein wunderbares Mittel entwickelt hat: Den Polit-Thriller.

Assoziiert wird dieses Genre (oder Sub-Genre der Kriminalliteratur, diese Diskussion möchte ich hier nicht führen) immer noch mit dem Kalten Krieg. Nach dessen Ende, so lautet ein oft gehörter Topos, habe auch der Polit-Thriller seine besten Tage hinter sich. John le Carré habe keine wirklich wichtigen Bücher mehr geschrieben, Autoren wie Len Deighton oder Brian Freemantle seien in Vergessenheit geraten. Richtig daran ist, dass diese und andere wichtige Autoren des Polit-Thrillers, insofern man darunter Spionage-Romane versteht, tatsächlich tief in der Zeit der in zwei Blöcke gespaltenen Welt verankert sind. Aber so richtig hat diese Sicht der Dinge noch nie gestimmt.

Die Welt war schon vor 1989 komplizierter und der Polit-Thriller von Meistern des Fach seit Graham Greene, Eric Ambler, Ross Thomas oder Robert Littell hatte schon längst andere Felder entdeckt: Die Innenpolitik, Lateinamerika, Asien, big business und das Eigenleben der "Dienste", deren Tätigkeit sich immer mehr gegen die jeweils eigene Bevölkerung richtet. Spätestens nach Watergate (ab 1972, als die Aktivitäten des Weißen Hauses gegen die Demokraten ruchbar wurden) verstand man die Geheimdienste als von eigendynamischer Paranoia getriebene Veranstaltungen, die keiner sinnvollen Kontrolle mehr gehorchten. James Gradys epochaler Roman »Die drei Tage des Condor« (1974) setzte den Standard, hinter den man nur auf Kosten blauäugiger Naivität zurückfallen konnte. Mit Gradys neuem Buch, »The Last Days of the Condor« (2015) schreibt er diese Paranoia-Geschichte fort. Unter dem Dach des Home Act ist alles denkbar - die verschiedenen Geheimdienste, ob Inlands- oder Auslandsdienste - arbeiten fröhlich gegeneinander, manche dieser Dienste sind so geheim, dass sie selbst nicht mehr wissen, wer ihre Herren und Meister sind und wehe dem, der in ihre Mühlen gerät.

Womit wir in der Gegenwart angekommen wären. Den totalen Überwachungsstaat - Stichwort: Big Data - in mehr oder weniger benevolenter Absicht, was für die Resultate aber gleichgültig ist, extrapolieren Daniel Suarez' Roman »Control« (2014) und, auf höherem literarischen und intellektuellem Niveau, Martin Burckhardts »Score« (2015) in ihren dystopischen Texten. Vor allem »Score« diskutiert extrem unbehaglich die Dialektik zwischen dem technisch machbaren, dem "optimierten Menschen" und den letztlich totalitären Implikationen, die ein solches Konzept zwangsläufig entwickeln muss, wenn es perfekt sein möchte. Auch wenn beide Romane die Handlung in eine nicht allzu weit entfernte Zukunft verlegen, sie betreiben dennoch das Kerngeschäft eines wichtigen Zweigs des Polit-Thrillers: Mit literarischen Mitteln die Fragen zu stellen, die sich hinter den sichtbaren Realitäten verbergen. Und hinter den offiziellen Sichtweisen, den Verlautbarungen, der Propaganda, den Konsensen, mögen sie noch so breit sein. Diese Sorte von Polit-Thrillern wird hauptsächlich von Skepsis und Zweifel und Subversion der jeweils offiziellen Lesarten von Realitäten angetrieben.

Kleiner Exkurs: Es gibt eine zweite Kategorie von Polit-Thrillern. Die stehen eher im Einklang mit offiziellen, macht-gestützten Positionen, unterfüttern oder verstärken sie gar noch. In den Anfängen des Genres waren diese etwa die Romane von William LeQueux, John Buchan oder Ian Fleming, deren strammer Patriotismus ihre Sicht der Welt dominierte, heute stehen Autoren wie Tom Clancy oder Patrick Robinson für diese Varianten und zum Entsetzen vieler Leser fügte sich Don Winslow mit seiner Söldner-Schwarte »Vergeltung« in diese meist auch mit eher schlichter Prosa arbeitenden Tradition ein. Weltbild und literarische Textur bilden gerade beim Polit-Thriller eine semantische Einheit, die man schlecht getrennt voneinander verstehen kann und die sich direkt auf die Verkäuflichkeit auswirkt. Wobei natürlich immer gilt: Auf allen Feldern des Polit-Thrillers gibt es jeweils bessere und schlechtere Bücher, das nur für die Akten.

Der erste, der subversive und meines Erachtens weitaus interessantere und sich immer wieder neu erfindende Zweig leitet sich von Eric Ambler her, ebenso brillante Schriftsteller wie Ross Thomas oder Robert Littell haben die Kunst der kreativen und intelligenten Zersetzung von Weltbildern zum höchst erkenntnisfördernden Programm gemacht. Spott, Sarkasmus, Komik, Stil und hohe Sachkompetenz fließt in ihre Prosa ein, die nicht groß erklären muss, wie es zugeht auf der Welt. Dazu brauchen sie ein eher kompetentes Lesepublikum, das sich seinerseits auskennt auf der Welt und deswegen den subversiven Anteil dieser Romane zu schätzen weiß.

Eric Ambler mit seinen Thrillern aus der Makro-Ökonomie (»Das Intercom-Komplott«, »Bitte keine Rosen mehr«), Robert Littells »Die kalte Legende« oder die Artie-Wu/Quincy-Durant-Romane von Ross Thomas untersuchen die Bruchstellen in den Konsensen dieser Welt, an denen sie dann die Akteure ihre intellektuelle Sabotage üben lassen.

Das ist ein großer Unterschied zu Büchern, die reale Missverhältnisse aufnehmen, sie thematisieren, enthüllen und sie mit einer fiktionalen Rahmenhandlung skandalisieren. Meistens Themen, die außerhalb des literarischen Felds und eingedenk der "kompetenten" Leser, bereits einer informierten Öffentlichkeit bekannt sind - oder bekannt sein sollten. Im besten Fall führen Romane dieser Bauart ein Thema in den "gesamtgesellschaftlichen", sprich breiteren Diskurs ein. Wolfgang Schorlaus "Öko-Thriller" gehören dahin oder Oliver Bottinis Roman über die Machenschaften der deutschen Waffen-Industrie (»Ein paar Tage Licht«, 2014). Ihr Problem, wenn man so will, ist die Didaxe, ihr Willen zur Aufklärung gar Aufrüttelung, das was Jörg Fauser am Beispiel des von ihm missverstanden Eric Ambler als Erklären "wie es zugeht auf der Welt" auf den Punkt gebracht hat. Polit-Thriller dieser Linie setzen das Wissen, wie die Welt tickt voraus und entfalten auf diesem Untergrund ihr literarisches Spiel. Der Untergang der Welt, wie bei vielen Action-Thrillern, in denen ein Held den Globus vor Wahnsinnigen retten muss - also à la Ian Fleming oder Jon Land oder zahllosen anderen Autoren dieser bunten, lustigen, krachenden, den Superhelden-Narrativen ähnlichen Variationen - , steht bei der Ambler-Linie eher nicht zur Debatte. Wohl aber geht es um subkutane Tendenzen in den jeweiligen Gesellschaften, wenn nur genug halluzinative oder visionäre Kraft in den Texten steckt. Paranoia ist ein sehr sinnvolles intellektuelles Werkzeug.

Interessant ist auch eine gewisse Renaissance des Polit-Thrillers, auf dem genauso gut Thriller oder Kriminalroman oder andere Genrebezeichnungen stehen können. Besonders südafrikanische (Mike Nicol, Andrew Brown, Malla Nunn etc.), lateinamerikanische (Raúl Argemí) und die Erben des seit jeher "politischen" Néopolar (von Jean-Patrick Manchette bis Dominique Manotti) haben eine starke Tradition solcher Hybride aufgebaut; Hybride, deren Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Gruppierung von "Kriminalroman" schwer zu fassen sind. Bei uns schreiben, außer den schön Erwähnten, etwa Christian von Ditfurth oder, schon seit langem, D. B. Blettenberg, "politische Kriminalromane", egal, wo der Akzent sitzt, bei Blettenberg etwa beim Abenteuerroman. Neuere Stimmen wie Martin Maurer (auch in seiner Persona als Conny Schwarz, zusammen mit Kristin Uhling) oder Orkun Ertener bewegen sich in polit-thriller-artigen Gefilden. Merle Kröger hat in ihren letzten beiden Romanen »Grenzfall« und »Havarie« eine ganz eindeutige politische Agenda, und Zoë Becks »Schwarzblende« strahlt die dem Thema (IS-Terror und dessen innenpolitische Dimensionen im United Kingdom) notwendige lakonische Kühle aus, die Literatur von nur politischer Meinung und Empörung über die Schlechtigkeit der Welt unterscheidet.

Dass momentan unser eigener Bundesnachrichtendienst noch nicht ganz (wenn auch so allmählich und in raren Einzelfällen schon immer) ins Visier des Polit-Thrillers gerät - bei Olen Steinhauer, der neuen amerikanischen Hoffnung des Genres, in seiner "Milo-Weaver"-Trilogie schon eher -, liegt vermutlich an seiner Unauffälligkeit und wenig glamourösen Biederkeit, mit der der Dienst in der Öffentlichkeit agiert. Anfragen und den Ruf nach Kontrolle kann man ignorieren oder abschmettern. Wäre ich paranoid, würde ich so etwas als Mimikry verstehen, als besonders raffinierte Tarnung in einem auf stiller, aber fataler Effizienz basierenden realpolitischen Konstellation. Aber das könnte natürlich schon wieder ein Trugschluss sein. Polit-Thriller, wenn sie gut sind, haben eben keine Antworten, dafür stellen sie die wirklich gemeinen Fragen. Und je eleganter sie das mit den Mitteln der Literatur tun, desto mehr tut es weh.

 

© Thomas Wörtche, 2015
(Freitag, Nr. 35,
27. August 2015
)

 

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