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1956 erschien der Roman »Der Schlüssel« das Japaners Junichiro Tanizaki, der zu einem Klassiker der Literatur des 20. Jahrhunderts wurde. Der Roman um die erotischen Obsessionen eines traditionellen Ehepaares ist jetzt im Cass Verlag in Neuübersetzung erschienen.

Von Thomas Wörtche

 

Der Schlüssel

»Der Schlüssel« von Junichiro Tanizaki ist ein Klassiker der Literatur des 20. Jahrhunderts. In Japan erschienen 1956, löste der Roman des lange als Nobelpreiskandidat gehandelten Tanizaki eine Debatte um Pornografie aus, einem Veröffentlichungsverbot erging das Buch nur knapp. Aber angesichts der langen Tradition erotischer Kunst und Literatur in Japan und angesichts der persönlichen Themen Tanizakis seit seinen ersten Erzählungen und Romanen, die sich oft um Obsessionen, um Dominanz und Unterwerfung drehten, war »Der Schlüssel« nur konsequent.

Der Roman konfrontiert zwei Tagebuch-Fiktionen, also auf den ersten Blick zwei radikal-subjektive Perspektiven auf die Welt - und stellt sich damit in die Tradition des japanischen Naturalismus, der immer mit einer gewissen "Selbstentblößung" einhergeht. Aber was vorgibt, intimste Selbstbespiegelung zu sein, ist eine raffinierte Art der Kommunikation: Der männliche Tagebuchschreiber, ein alternder Professor der Literatur, sorgt sich um seine Potenz und beklagt die sexuelle Unersättlichkeit seiner jüngeren Gattin. Deren Tagebuch aber behauptet, dass sie dem Professor eine gute Ehefrau sein will, sie ihn physisch widerwärtig findet und seine "Perversionen" nur erträgt, um ihre Pflicht zu erfüllen.

Tatsächlich aber dienen die beiden Tagebücher - formal durch eine "Männerschrift" und eine "Frauenschrift" ("Katanka" und "Hiragana") auch typographisch voneinander abgesetzt - der innerehelichen Kommunikation. Beide gehen davon aus, dass der jeweilige andere Partner das andere Tagebuch liest und beide sorgen mit ausgefuchsten Arrangements, dass dies auch tatsächlich der Fall ist. Der Professor bemerkt, dass Eifersucht für ihn ein gewaltiges erotisches Stimulans ist, deswegen führt er seine Frau mehr oder weniger offen dem Verlobten ihrer Tochter zu. Sie nimmt das Angebot, ihren "unstillbaren Sexualtrieb" noch zusätzlich mit einem jüngeren, potenteren Liebhaber zu stillen, gerne an. Er möchte seine Frau "moralisch so weit korrumpieren, wie es nur geht", sie nimmt diese Korrumpierung an, weil sie dadurch eine im traditionellen Verständnis gute Ehefrau ist, die alles tut, damit ihr Gatte glücklich sei.

So werden die Tagebücher zu Instrumenten der Manipulation, verlogen und heuchlerisch - auch weil das Ehepaar im Alltag so tut, als ob sie die Einträge nicht kennen würden. Die Tagebücher sind, so gesehen, weniger eine Selbstentblößung der Protagonisten, sondern eine ziemlich radikale Entblößung der japanischen Nachkriegs-Gesellschaft. Einerseits noch an den traditionellen Werten hängend, anderseits deren Obsoletheit in Relation zu den menschlichen Bedürfnissen schon erkannt habend. Die mit ästhetischen und psychologischen Mitteln ausgetragene Zimmerschlacht des Ehepaares, zeichnet die Konfliktlinien zwischen den Geschlechtern vor, die spätestens in den 1960er Jahren global ausbrechen wird. Im Westen werden vor allem Autorinnen wie Patricia Highsmith oder Margret Millar diese Dynamiken in ihren "Psycho-Thrillern" fortschreiben, in Japan Masako Togawa und andere Autorinnen. Denn dass die ganze Angelegenheit in letzter Konsequenz, bis zum Tod des einen Parts ausgefochten werden kann, das steckt auch in dem bösen Ende von »Der Schlüssel«.

Ein extrem vielschichtiges und implikationsreiches Meisterwerk, dass der Neuübersetzung und -Platzierung dringend bedurfte, weil es in der Kontinuität des Diskurses bis heute, ein auch ästhetisch-literarischer Meilenstein ist.

 

Junichiro Tanizaki: Der Schlüssel. (Kagi, 1956). Roman. Aus dem Japanischen neu übersetzt von Katja Cassing und Jürgen Stalph. Löhne: Cass-Verlag, 2017 (1. Aufl. - Reinbek: Rowohlt, 1961), gebunden, 204 S., 22.00 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2017
(Deutschlandfunk Kultur,
21.06.2017
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Junichiro Tanizakis Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandfunk Kultur unter http://www.deutschlandfunkkultur.de/junichiro-tanizaki-der-schluessel-erotische-paar.1270.de.html?dram:article_id=389191 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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