legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Tod auf dem Mond

In »Nachtkrater« schießt Christine Lehmann ihre Figur Lisa Nerz dahin, wohin man sich das ganze Regio-Krimi-Gedöns wünschte - auf den Mond. Wer meint, Krimis haben da oben nichts zu suchen, muss sich eines Besseren belehren lassen: Eine Mondstation eignet sich nicht weniger für einen gelungenen Kriminalroman klassischen Zuschnitts als ein eingeschneiter Orientexpress. Auch im Himmel sind Menschen, die interagieren - und manche sind tot. Parodie? Scherz? "Höherer" Froh-Sinn?

Von Thomas Wörtche

 

Nachtkrater

On the dark side of the moon ist schwer was los. Vielleicht nicht so sphärisch, wie sich das damals Pink Floyd gedacht haben, sondern eher handfest. In Christine Lehmanns neuem Krimi »Nachtkrater« kommt es nämlich zu betrüblichen Todesfällen in der internationalen Mondstation Artemis. Eine Menge Aufklärungsarbeit für Lisa Nerz, die zwischen allen Geschlechtern oszillierende Schwabenreporterin aus Stuttgart, die in bisher sieben Abenteuern jedesmal nicht umhin kommt, Mordfälle aufzuklären.

Aber einen Moment bitte: Mondstation? Eine Schwäbin im Weltall? Mordfälle? Regional Science Fiction? Da stimmt was nicht!

Christine Lehmann, die mit ihren Kriminalromanen um Lisa Nerz, die alle irgendwo im süddeutschen Raum spielen, aus nicht immer klaren Gründen als Vertreterin des Regionalkrimis gilt, hat den näheren und weiteren Orbit um Stuttgart verlassen. Sie schießt ihre Heldin dahin, wohin viele Kritiker den Regionalkrimi sowieso geschossen haben wollen: Auf den Mond. Das kann sie leicht und unbeschwert tun: Sie ist eine Autorin, deren Bücher und Stoffe konstitutiv in der jeweiligen Umgebung wurzeln - wie zum Beispiel im streng pietistischen Milieu, ohne das ihr letzte Roman "Allmachtsdackel" weder von der Figurenkonstellation noch von der Psychologie her funktioniert hätte -, die aber dennoch meilenweit von dem wohlfeilen "Regio-Krimi"-Gedödel entfernt positioniert ist.

Weil jeder Kriminalroman aber irgendwo spielen muss, egal, ob auf der Schwäbischen Alb oder in Mumbai, kann es auch der Mond sein - wenn der Ort nur etwas mit der Handlung zu tun hat.

Erstaunlich ist dabei nur, dass Lehmann ein so überzeugendes Mond-Szenario aufbaut, dass der Sprung von der Metapher zur Realitätssimulation so klein ist. Lisa Nerz landet - lebensweltlich unplausibel, literarisch völlig plausibel - auf der Mondstation, weil sie von ihrem Freund und Gelegenheits-Lover, dem Staatsanwalt Richard Weber manipuliert worden war, um dort oben Beweise für sehr irdische, sehr dunkle Machenschaften der Energiewirtschaft zu sammeln, die schon einem anderen Astronauten das Leben gekostet haben. In der Raumstation, die ein abgeschlossenes Bio- und Soziotop ergibt, trifft Lisa Nerz auf viele seltsame Gestalten aus aller Welt und versucht, einen Mörder dingfest zu machen, als ob's der Orientexpress wäre. Die Mondstation ist der Orientexpress oder der Nildampfer oder jeder andere Krimi-Ort, an dem Menschen isoliert von der Außenwelt zusammen sein müssen. Und natürlich hat sich Lehmann dieses Szenario aufgestellt, um ihr lustiges Spiel zu treiben. Sie dekliniert alle klassischen Whodunnit-Situationen durch - wenn ich was zu nörgeln hätte, dann hier: Manche Passagen sind da zu lange geraten, wer wann wie lange unter welchen Umständen im Toiletten-Modul war, mag zwar schrecklich wichtig für den Plot sein, den Leser verwirrt's ob der ausführlichen und immer wiederkehrenden Schilderung solcher Standardsituationen, aber das nur am Rande... -, und durch diese Deklinationen entsteht ein kleiner Katalog zeitgenössischer Thrillerthemen: Kontamination, böse Waffen, Verschwörungen, Terrorismus - flämisch oder islamistisch -, geheimnisvolle Zeichen, ein wenig PSI, ein wenig Aliens, ein wenig Skandal. Dazu die üblichen Mordgründe der conditio humana: Liebe, Eifersucht, edles Gedankentum und Patriotismus.

Das ist schon sehr vergnüglich wie Lehmann all diese Handlungspartikel und Motiv-Optionen aufmarschieren und dann von Lisa Nerz oder den Umständen abservieren lässt. Am Ende haben wir uns derart gut amüsiert, dass wir ein schweres Problem aus den Augen verloren haben: Gibt es überhaupt eine Forschungssstation auf dem Mond? Zumindest ich habe angefangen, während der Lektüre zu grübeln.

Nein, es gibt keine, aber es spricht für die Präzision im Imaginären, dass man Christine Lehmann ihre Station abnimmt. Es entfällt natürlich auch die Frage (falls sie sich überhaupt jemandem stellt), ob diese Fiktion ausreicht, den Roman als Science Fiction zu bezeichnen. Nein, "Nachtkrater" ist ein beinahe puristischer, klassischer Kriminalroman mit viel, viel Spielwitz.

 

Christine Lehmann: Nachtkrater. Hamburg: Argument Verlag, 2008, Ariadne-Krimi Nr. 1173, 472 S., 12.90 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2008
(Deutschlandradio Kultur,
16. Dezember 2008
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Christine Lehmanns Roman finden Sie auf der Internetseite des Deutschlandradios unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/892078/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen