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Neue Unübersichtlichkeit

Der Amerikaner Joseph Kanon verpackt in seinen Romanen immer ein reales Ereignis in einer spannden Geschichte. Sein neuer Roman führt nach Istanbul unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, eine der wenigen neutralen Metropolen. Die Stadt ist Magnet für legale und illegale Flüchtlinge, aber auch für Geheimdienstler aller Welt, die sich vor dem Hintergrund des aufziehenden Kalten Krieges neu positionieren und neue Allianzen eingehen müssen.

Von Thomas Wörtche

 

Die Istanbul Passage

Istanbul, unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. In der Metropole an der Schnittstelle von Europa und Asien, die - wie alle der wenigen neutralen Metropolen - eine extrem wichtige Rolle für die Geheimdienste beider Seite gespielt hat -, lösen sich die alten Konstellationen auf. Auch wenn einzelne Dienste zusammenpacken und nach Hause gehen, werden doch schon die neuen Fronten des Kalten Krieges fühlbar. Dazwischen klemmt die Türkei, die sich jetzt nicht mehr mit Achse und Alliierten arrangieren muss, sondern zwischen den Siegermächten, dem Westen und dem Osten, lavieren muss. Zudem ist Istanbul ein wichtiger Hafen für die zionistische Bewegung, die überlebende Juden aus den Balkan- und den Schwarzmeerländern per Schiff nach Israel schaffen möchte, was wiederum den Briten überhaupt nicht in den Kram passt. Aus klaren Fronten ergibt sich eine Art neue Unübersichtlichkeit.

In diese politische Lage montiert der amerikanische Autor Joseph Kanon, der bekannt ist für seinen kreativen Umgang mit historischen Stoffen, eine Liebesgeschichte, die eigentlich eine Spionagegeschichte ist. Oder eine Spionageschichte, die sich als Liebesgeschichte ausgibt. Leon Bauer, ein amerikanischer Geschäftsmann in der Tabakbranche, hat während des Krieges kleinere Kurierjobs für sein Land erledigt, sein naiv-patriotischer Beitrag für eine gerechte Sache. Seine deutsche Frau Anna hat zusammen mit dem Mossad le Aliyah Bet (dem Komitee für Illegale Einwanderung) und dem War Refugee Board versucht, so viele europäische Juden wie möglich zu retten. Als einer der zu diesem Zwecke angeheuerten rostigen Kähne, die "Struma", sinkt (historisch verbürgt), wird Anna katatonisch und muss in einer psychiatrischen Anstalt ohne große Aussicht auf Besserung gepflegt werden. Und als Leon Bauer versehentlich bei einer undurchsichtigen Aktion seinen Chef erschießt, wird seine Lage umso komplizierter, als er sich auch noch in die Frau des amerikanischen Botschafters verliebt. Die fatale Aktion steht im Zeichen der neuen Fronten zwischen den USA, den Briten und der UdSSR, bei denen Moral keine Rolle mehr spielt. Die Russen möchten an einem faschistischen ungarischen Scheusal in ihrem neuen Machtbereich ihre "Siegerjustiz" demonstrieren, der Westen braucht das Know How eines der Schlächter der ungarischen Juden und ist bereit, ihn davonkommen zu lassen, wenn er nützliche Informationen liefert. Und der Mossad muss sich letztlich auf einen Deal einlassen, der das Scheusal mitten unter seine Opfer führt.

Das ist düster, sehr düster. Kanon hat ein feines Händchen für die Atmosphäre der Zeit, manche Passagen erinnern an Eric Ambler. So wie der arme Leon Bauer ein Ambler'scher Held ist - völlig überfordert und doch irgendwie stur an seinem Konzept von Anstand festhaltend. Der Plot ist salzsäureklare Realpolitik - Mossad, Russen, Amis, Türken, Briten agieren ihren Interessen entsprechend knallhart. Aus Monstren werden Verbündete, Sekretärinnen sind wichtige Agenten und sadistische türkische Geheimdienstleute recht kluge Gesellen. Die Welt ist, damals wie heute, so komplex, dass einfache Zugänge hilflos scheitern müssen. Deswegen ist »Die Istanbul Passage« ein Roman für erwachsene Leser aus der Welt von heute.

 

Joseph Kanon: Die Istanbul Passage. (Istanbul Passage, 2012). Thriller. Aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel. München: C. Bertelsmann, 2014, gebunden, 477 S., 19.99 Euro (D), eBook 15.99 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Deutschlandradio Kultur,
24.07.2014
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Joseph Kanons Buch finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/roman-aus-monstren-werden-verbuendete.950.de.html?dram:article_id=292535 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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