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Internationale Kompatibilität

Kriminalliteratur aus Afrika ist auf dem besten Wege, sich global zu etablieren und sorgt für frisches Blut. Zu lesen bekommen wir indes nur das, was hier als gut verkäuflich eingeschätzt wird. Und das wiederum schlägt auf die Produktion zurück.

Von Thomas Wörtche

 

Kap der Lügen

Auf der Tagung "Afrikanissimo" in Frankfurt hatte Mike Nicol vor einigen Jahren dafür plädiert, dass die (süd-)afrikanische Literatur doch endlich eine robuste eigene U-Literatur entwickeln möge und aufhört, auf die E-Konzepte des Westens zu schielen, um von dort Prestige und Anerkennung zu bekommen. Das ist völlig richtig, birgt aber die Gefahr, die uralte E/U-Diskussion, die seit den späten 1950er Jahren im Anschluss an Leslie A. Fiedler immer wieder aufflackert, ein weiteres Mal ins Spiel zu bringen. Ansätze zu einer sehr fruchtbaren Pulp-Kultur gibt es zum Beispiel in Nigeria auf erfreulichem Niveau und besonders die Kriminalliteratur aus Afrika ist auf dem besten Wege, sich global zu etablieren und sorgt, zusammen mit der australischen Genre-Produktion, für frisches Blut.

Mit Kriminalromanen aus diesen beiden Kontinenten könnte man inzwischen ganze Verlagsprogramme füllen. Und da liegt das Problem der literarischen Pipelines. Wir sehen hier nur das, was wir zu sehen bekommen. Und das hängt davon ab, was hier als gut verkäuflich eingeschätzt wird. Das schlägt wiederum auf die Produktion zurück. Nolens volens, denn gerade Genre-Literatur ist weitgehend nicht-subventionierte Literatur, die sich direkt dem Markt stellen muss, so ominös der Parameter "Markt" auch sein mag. Auf jeden Fall ist dieser "Markt" international zu denken. Was heißt, dass der Schauplatz, die Handlung und die Figuren eine gewisse internationale Kompatibilität haben müssen und zudem noch den gerade zeitgeistigen Trends unterliegen sollen.

Zwei jüngere Beispiele aus Afrika können vielleicht deutlich machen, wo die Gefahren und Chancen dieser seltsamen Gemengelage stecken. Da ist einmal Michèle Rowes Roman Kap der Lügen (dt. von Alexandra Baisch, Knaur). Thematisch voll im Trend: Kinderschänden, Umweltzerstörung, Immobilien, Drogen, Rassismus, Polizeikorruption. Südafrika - der Roman spielt in Kapstadt - könnte mit leichten Retuschen auch Kalifornien sein. Das Personal ist brav quotiert: Eine aufstrebende junge schwarze Polizistin und eine alternde, schrullige weiße Kriminologin arbeiten nach konfliktreichem Beginn letztendlich zusammen (Buddy-Motiv). Die spezifisch südafrikanischen Verhältnisse werden ausführlich wie im Reiseführer erklärt und dienen recht eigentlich nur als wenig funktionale Kulisse. Die Handlungselemente wirken wie aus dem Baukasten zusammengesetzt, um ja kein Thema zu verpassen, und am Ende wird eine uralte europäische Kulturtechnik für die Probleme der jungen Polizistin zu Hilfe gerufen: Die Psychotherapie. Das ist unfreiwillig komisch, wenn es nicht fatalerweise implizierte, dass das Alte Europa immerhin noch die therapeutische Oberhoheit über die Ex-Kolonien hätte. Anyway, »Kap der Lügen« schielt deutlich auf ein globales Publikum, ohne formal oder inhaltlich das geringste Risiko einzugehen. Selbst das der Alterität nicht. Über handwerkliche Schwächen wie innere Widersprüche oder steifleinernes, biederstes Erzählen ohne timing oder Dynamik, lohnt sich da kaum noch zu reden.

Kap der Lügen

Anders Richard Crompton mit seinem Roman Hell's Gate (dt. von Christine Blum, dtv). Sein Erstling Wenn der Mond stirbt war noch ein Format-Text, der auf einen altmodischen Whodunit hinauslief und sich aus einem ähnlichen Themenbaukasten bediente wie das Buch von Rowe. »Hell's Gate« dagegen ist ein Qualitätssprung. Crompton nimmt seinen Schauplatz, das ländliche Kenia ernst. Sein Plot hat die Problemlagen der Gegend nicht als Kulisse, sie sind konstitutiver Teil der Handlung - die Krise beziehungsweise der radikale Umbruch der Massai-Kultur, das policing unter prekären politischen Umständen, der Griff der neuen Macht China aufs Rohstoffgeschäft, die innerkenianische resp. innerafrikanische Migration und der binnenafrikanische Rassismus. Der Massai-Detective Mollel, der undercover gegen eine vermeintliche Todesschwadron der örtlichen Kollegen ermitteln soll, geht kreativ mit seinem Vermögen um, die Rollen zu wechseln. Alle Figuren, auch der "Held" weisen erfreulich graugetönte Moralwerte auf, die sie zum Überleben auch bitter nötig haben. Richtig und falsch sind sehr relative Kategorien und haben meistens ihre materielle Basis.

Sowohl Crompton als auch Rowe (beides Weiße) schreiben aus den Köpfen schwarzer Figuren. Im Gegensatz zu Rowe, deren schwarze Polizistin an den Werten weißer Aufsteiger orientiert ist, bemüht sich Crompton, die Massai-Herkunft und Identität seiner Figur plausibel zu gestalten und diese nicht einfache Disposition zum Agens der Handlung zu machen. Sein Verzicht, globale Vorstellungen einfach zu bedienen, macht die Qualität des Buchs aus. Gerade weil er auch für westliche Leser "Fremdheit" bestehen lässt, hat er den weiteraus interessanteren Roman geschrieben.

 

© Thomas Wörtche, 2015
(LiteraturNachrichten Nr.123,
Sommer 2015

 

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