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Meditationen über Gewalt

Das Muster scheint bekannt: Ein alter, zittriger Sheriff sattelt ein letztes Mal sein Pferd und macht sich noch einmal auf die Suche nach einem Bösewicht. Klassischer, kraftvoller Westernstoff, wie wir ihn etwa aus Filmen von Sam Peckinpah oder den Coen-Brüdern kennen. Der amerikanische Autor Bruce Holbert indes dreht in seinem Roman »Einsame Tiere« den Western um - und damit auch die Werte, die das Genre repräsentiert.

Von Thomas Wörtche

 

Einsame Tiere

"Es gibt keine einfachen Erklärungen", sagte der amerikanische Autor Bruce Holbert in einem Interview, in dem er über seinen Debut-Roman »Einsame Tiere« befragt wurde. Einfach ist an diesem Buch überhaupt nichts. Was ist es überhaupt: Ein Serialkiller-Roman, der in den 1930er Jahren im Nordwesten der USA, wo es am Unwirtlichsten zugeht, spielt? Ein Neo- oder Spätwestern, weil es zwar Autos und Technologie gibt, aber die Hauptfiguren sich auf Pferden durch die Berge bewegen und die Tötungsarten sagen wir, arg atavistisch, sind? Oder einfach ein historischer roman noir, so schwarz, dass Düsternis hell erscheinen würde?

Der Roman, auf den Plot reduziert, erzählt eine "Standardsituation" des Spätwesterns seit Sam Peckinpahs »Ride the High Country« oder Don Siegels »The Shootist«: Ein Sheriff im Ruhestand macht sich noch einmal auf, um einen Schurken zu jagen und zur Strecke zu bringen, aber er passt in die "neue Welt", die auch die Natur verändert, nicht mehr hinein.

Der Schurke wiederum folgt dem narrativen Muster des Serialkillers als irren Künstlers: Er arrangiert grauenhaft abgeschlachtete, zerstückelte und bizarr zu Tode gebrachte Leichen als ob es Kunstwerke mit einer message wären, weil er in einem "höheren Auftrag" handelt.

Das soziokulturelle Milieu ist das des Country Noir - die Zeit der Depression. Die Behörden, hier das Bureau of Indian Affairs und die Tribal Police agieren willkürlich, mit brutaler Gewalt. Man darf dieses Setting durchaus als Gegenrede zu den Ethno-Krimis von Tony Hillerman etwa verstehen, der diese Art Polizeiarbeit gefeiert hatte. Aber bei Holbert gibt es zwischen Gesetz und Verbrechen keine trennscharfen Unterscheidungen mehr.

Diese Überblendung verschiedener Grund-Narrative der Populären Kultur hat ihren guten Sinn - denn es geht um die Story, um das Narrativ als "demon", wie Holbert in dem o.a. Interview ausführt. Der Killer mordet, weil er bestimmte "Erzählungen" vom richtigen und falschen Leben auslöschen resp. korrigieren möchte.

Und sieht man den Roman im Kontext anderer, radikaler Versuche, die amerikanische Geschichte neu zu sehen, dann wird ein Trend, eine Linie deutlich: TV-Serien wie »Deadwood«, Romanciers wie Daniel Woodrell und James Carlos Blake gehen radikal an die Wurzeln der heutigen USA, die mit ihren überhöhten "Werten" nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch in die Krise geraten sind. Schusswaffen, neuer Rassismus, Hinrichtungen, christliche Fundamentalismen, Mitleidlosigkeit und Gleichgültigkeit gegen Mensch und Natur, überhaupt alle Sünden einer auf Gewalt basierten Kultur werden von diesen "neuen Western" reflektiert. Holbert geht nicht nur auf die "Werte" ein, sondern gräbt noch tiefer: Er problematisiert und demontiert die Grundnarrative dieser Gesellschaft und zeigt, wie dennoch schmerzhaft ihre Ausrottung sein könnte. Der Roman erschreckt durch extreme Gewaltschilderungen, imponiert durch die Inszenierung von Natur und verblüfft mit Figuren, die wir alle zu kennen glauben: Die Holbert aber ganz anders dreht und beleuchtet und denken, empfinden und handeln lässt als sie uns eben durch die eingeschliffenen Narrative geläufig zu sein scheinen - keine einfachen Erklärungen eben. Ein faszinierenden Roman, der in keiner Hinsicht einfach ist.

 

Bruce Holbert: Die Einsame Tiere. (Lonesome Animals, 2012). Roman. Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. Deutsche Erstausgabe. München: Liebeskind, 2014, gebunden mit Schutzumschlag, 302 S., 19.80 Euro (D), eBook 14.99 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Deutschlandradio Kultur,
18.09.2014
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Bruce Holberts Buch finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/western-die-radikalen-wurzeln-der-usa.950.de.html?dram:article_id=297835 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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