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Und über allem die Natur

Endlich wieder präsent auf dem deutschen Buchmarkt ist James Lee Burke, einer der großen zeitgenössischen US-Autoren. In seinem aktuellen Roman »Regengötter« erzählt in eigenwilliger Prosa von einem Massaker nahe der texanisch-mexikanischen Grenze, dem neun Frauen asiatischer Herkunft zum Opfer fielen. Burke überzeugt mit einem straffen, harten Plot, facettenreichen Figuren und stimmungsvollen Beschreibungen der Natur.

Von Thomas Wörtche

 

Regengötter

"Imperien kamen und gingen. Die unbezwingbare Natur der menschlichen Seele hingegen lebte ewig fort." So lautet der vorletzte Satz von James Lee Burkes monumentalem Roman »Regengötter«. Eine philosophischen Sentenz also, die zu dem mythischen Grundakkord des Titels passt.

Ganz und gar prosaisch hingegen ist der Ausgangspunkt des Romans: Irgendwo in Texas, nahe der mexikanischen Grenze werden neun Frauen gefunden, regelrecht exekutiert, mit einem Bulldozer notdürftig im Boden hinter einer Kirche "entsorgt". Die Frauen, illegal aliens aus Asien, hatten Drogen zwecks Schmuggel im Körper, und waren wohl zusätzlich zur Zwangsprostitution vorgesehen. Sherrif Hackberry Holland und seine Leute tun ihre Arbeit, auch wenn sie vom FBI und anderen "Diensten" behindert werden und stoßen auf ein unappetitliches Konglomerat aus Menschen- und Drogenhandel, aus Mafia und anderen Formen des organisierten Verbrechens. Und auf einen bemerkenswert psychopathischen Profikiller, der unter dem Namen "Preacher" operiert.

So zusammengefasst erzählt »Regengötter« einen völlig durchschnittlichen Plot ohne besondere Drehs und Wendungen. Aber James Lee Burke gehört nicht umsonst - auch wenn er bei uns seit Jahrzehnten kaum noch präsent ist - zu den ganz Großen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Schon seine Romane um den (Ex-)Polizisten Dave Robicheaux, die allesamt in Louisiana spielten, zeichneten sich durch harte Plots aus, kombiniert mit grandiosen Landschaftsschilderungen und oft mit einem Touch in's Mystisch-Mythisch-Gespenstische, erzählt in einer eigenwillig-poetischen Prosa.

Auch hier, in »Regengötter« ist die durchaus realistische kriminalliterarische Standardsituation nur der Ausgangspunkt für ungewöhnliche Exkursionen in menschliche Dispositionen, in die Erhabenheit der Natur und in völlig eigenständige Denkwelten. Denn dass Sheriff Hackberry Holland überhaupt tätig wird, hat mit dem schlechten Gewissen eines der Mittäter an dem Massaker zu tun. Burke individualisiert und seziert alle Hauptfiguren, bis von ihren erwartbaren Motivationen oder Handlungen nichts mehr übrig bleibt. Preacher, der psychopathische Killer, ist in der Tat schwer gestört, aber er kennt Mitleid, Empathie und Glaube, ein kleiner, schmieriger Strip-Lokal-Besitzer entwickelt wahnsinnige Zivilcourage, und alle Frauenfiguren bringen den Kerlen das Fürchten bei. Die Bibelfestigkeit der Figuren gehört zum kulturellen Grundbestand, christliche Handlungsweisen treffen wir nicht unbedingt immer an.

Und so portraitiert Burke seine Figuren in schönster Demokratie - die Schurken sowie die Guten, die Minderen sowie die Wichtigen, die Vernünftigen und die Gestörten. Und über allem steht die Natur, deren Stimmungsbilder die Dominante des Romans liefern. Der Gang der Handlung ist dabei robust, aktuell plausibel und gewaltsatt, der Thrill-Faktor sowie der Unterhaltungswert hoch. Burke schreibt reinstes Genre und gleichzeitig reinste Literatur, weil er die Konstellationen des Genres nicht zu Verflachung nutzt. Er inszeniert sie hochkomplex und macht "Genre" als eine sehr probate Möglichkeit sichtbar, sich, auch im erkenntnistheoretischen Sinn, künstlerisch mit dieser Welt, wie sie nun einmal ist, auseinanderzusetzen. Und mit der menschlichen Seele.

 

James Lee Burke: Regengötter. (Rain Gods, 2009). Roman. Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller. Deutsche Erstausgabe. München: Heyne, 2014, Klappenbroschur, 671 S., 16.99 Euro (D), eBook 13.99 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2014
(Deutschlandradio Kultur,
21.10.2014
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über James Lee Burkes Buch finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/kriminalliteratur-leicht-mystisch-mythisch-gespenstisch.950.de.html?dram:article_id=300885 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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