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Boardwalk Empire

Von Thomas Wörtche

"You can't be half a gangster"
(Jimmy Darmody zu Nucky Thompson)

 

Boardwalk Empire

Die Eckdaten und die üblichen Paratexte muss man nicht mehr groß kommentieren. Fürs Protokoll: "Boardwalk Empire" aus dem Hause HBO, produziert u.a. von Martin Scorsese und Mark Wahlberg ist seit 2010 in den USA in der fünften Staffel, bei uns ist gerade die dritte Staffel auf DVD erschienen. "Boardwalk Empire" spielt ab 1920 in Atlantic City und erzählt vom Wohl und Wehe des County Treasurer Enoch "Nucky" Thompson (Steve Buscemi in der Rolle seines Lebens), der Politik und Organsiertes Verbrechen so eng verwebt, wie es die Umstände der gerade beginnenden Prohibition glücklicherweise erlauben. Also untrennbar.

"Boardwalk Empire" ist sowohl superteures Ausstattungsstück als auch Scorseses Realität gewordener Traum vom wahrlich langen, differenzierten Erzählen (5 x 12 x 55min), HBO-typisch mit Sex, Gewalt und den entsprechenden, erwachsenen Dialogen.

Dazu eine bis ins Detail sinnvoll gecastete Riege von Top-Schauspielern (top hier als Qualitätskriterium gemeint) und einem manchmal schon atemberaubend weiten intellektuellen Horizont, was die Kontexte der Zeit und die verschiedenen Bezugsebenen jeder einzelnen Folge und des Gesamtkonzeptes angeht.

Laut Scorsese erzählt "Boardwalk Empire" den Anfang der Geschichte, die mit den "Sopranos" aufhört - die Geschichte der Mafia als essentieller Faktor in der amerikanischen Gesellschaft. Insofern wäre die Serie schon fast ein "Gründungsnarrativ", wie Albrecht Koschorke sagen würde - ein Gedanke, den ich hier fahrlässig von der gesellschaftlichen, gar zivilisatorischen Totalen auf einen Ausschnitt herunterbreche. Das Gründungsnarrativ einer (Verbrechens-) Kultur also, die "sich selbst opak ist" und sich eher "träumt und dichtet, als sie sich denkt".

Das reizvolle Paradox läge dann darin, dass das "Gründungsnarrativ" nicht nur ex post für die "Sopranos" (die durch die Drehbuchautoren und Regisseure Terence Winter und Tim van Patten, mit "Boardwalk Empire" verbunden sind) gelten würden, sondern für alle bisher vorliegenden Bilder, Filme, Lektüren und Imaginationen vom American Gangster seit George Raft bis Don Vito Corleone und Noodles.... (komplettieren Sie selbst).

Eine ganze Reihe mythischer Figuren treffen wir hier an, eine Kette von portraits of the gangsters as young men: Der junge Al Capone (Stephen Graham), der junge Meyer Lansky (Anatol Yusef), der junge Lucky Luciano (Vincent Piazza), der noch viel jüngere Bugsy Siegel (Michael Zegen). Dazu die Cracks aus New York und Chicago: Der Vordenker Arnold Rothstein (Michael Stuhlbarg) und die großen Bosse Johnny Torrio (Greg Antonacci) und Joe Masseria (Ivo Nandi), von denen wir wissen, was mit ihnen passieren wird.

"Wir", also ein Publikum, das sich auskennt, und von den Machern für seine Seh-Kompetenz, bzw. für den eigentümlichen Mix zwischen historischem und popkulturellem Wissen erst umgarnt und dann üppig belohnt wird. Umgarnt, weil - eine große Tugend der Serie - nichts (oder nur sehr wenig) erklärt wird und das pp Publikum sich geschmeichelt fühlt, dass man ihm zutraut, all die Intrigen und Gegenintrigen, Koalitionen und Akte des Verrats auf allen menschlichen und politischen Ebenen (das Organisierte Verbrechen verstehen die Serie und ich hier gleichermaßen als politisch), all die Brutalität und das beiläufige Töten schon richtig einzuordnen und verstehen zu können. Belohnt, weil es so teilhaftig wird an dem dunklen "Gründungsmythos" der USA, die nach Genozid, Sklaverei, Raubkapitalismus und Imperialismus (in der 3. Staffel erzählen Veteranen ihre traumatischen Erlebnisse auf den Philippinen, einem der frühen Kolonialkriege der USA außerhalb des Kontinents) hier zudem die offene Verbrüderung und das Amalgamieren von Organisiertem Verbrechen und der lokalen und nationalen Politik miterleben darf. Ein Gründungsmythos, in dem auch der Rassismus seltsam pervers aufgehoben scheint: Nucky Thompson kann nur mit Hilfe seines Pendants im schwarzen Teil der Stadt, Chalky White (Michael Kenneth Williams) überleben. Wer braucht wen, wer hat die reale Macht, jenseits der Ideologie?

Ebenso viel Sorgfalt und vor allem Zeit verwendet die Serie für ihre Figuren. Nucky Thompson ist historisch (realiter hieß er Johnson und hatte optisch mit dem spillerigen Buscemi wenig gemein) ein Faktum. Psychologisch darf er nicht "nachgebaut" sein, er muss sich bewegen können in der Interaktion mit den fiktiven Figuren. Also hauptsächlich im Verhältnis zu den Frauen: allesamt starke Frauen, die grundsätzlich in komplizierten Verhältnissen zu den männlichen Protagonisten stehen: Kelly Macdonald als Margaret Schroeder und später als Nuckys Ehefrau, Gretchen Mol als Gillian Darmody als Mutter von Nucky Ziehsohn Jimmy und später als Mänade, die eigenwilligen Geliebten von Nucky (Paz de la Huerta und Meg Chambers Steedle). Diese Figuren (und eine Reihe weiterer sorgfältig ausgebildeter recurring characters) bilden die Gelenkstellen zwischen dem historischen Personal und dem fiktionalen Status der ganzen Angelegenheit.

Denn schon der Anfang, der Vorspann verweist auf das Gemachte und Gewollte und natürlich Sur-Reale der Serie: Nucky am Strand - das ist ein Bild von Magritte (auch in der Farbdramaturgie), das allererste Bild der Handlung ist eine Iris-Blende, und selten ist je Fassbinders "obscure" Lichtgebung für seine Gangster-Serie, "Berlin Alexanderplatz", so virtuos zitiert worden.

Von daher hätte Robert Warshow in seinem epochalen Aufsatz "The American Gangster" von 1947 völlig recht mit der Beobachtung, dass sich der Gangsterfilm ein eigenes Referenz-Feld schafft: "What matters ist that the experience of the gangster as an experience of art is universal to Americans". "Boardwalk Empire" verlässt diese Autobezüglichkeit (die uns inzwischen schon längst wieder naiv vorkommt) und schließt "seinen" Gangsterdiskurs an andere Diskurse über die Verfasstheit unserer Welt an, bei denen dann die Grenzen von Fiktion und Realität, von imaginiert und existent zunehmend irrelevant werden. Das Großnarrativ affektiert (oder kontaminiert?) alles, womit es in Berührung kommt: "You can't be half a narrative."

Und glauben Sie ja nicht, hier seien auch nur ansatzweise alle die Dimensionen angerissen worden, die "Boardwalk Empire" selbst im "Premium"-Bereich der "neuen Serien" außergewöhnlich machen.

 

© Thomas Wörtche, 2013
(Cargo, Nr. 20,
11. Dezember 2013
)

 

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