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Zu welch finst'rer Ranküne ist der Mensch fähig?

Thomas Wörtche über Minette Walters

 

"Wer schert sich darum", fragte vor fünfzig Jahren der amerikanische Literaturkritiker Edmund Wilson im "New Yorker", "wer Roger Ackroyd umgebracht hat?". Scharen von Krimi-Fans finden vermutlich Wilsons Polemik gegen die standardisierten Fall & Auflösung-Krimis der Christies & Co. heute noch obszön. Im Zeitalter der endlos reproduzierten Spartenkrimis (Frauen, Anwälte, Präsidenten, Katzen), mit "Krimi" als Werbeaufkleber für jedes dünne Problemchen oder als Label für zum Hardcover aufgemotzte Heftchenromane - da darf ruhig mal wieder fragen: Wer schert sich darum, zu welch finsterer Ranküne der Mensch fähig ist? Während der Krimi-Mainstream also weiterhin unverdrossen an der überraschenden Nachricht werkelt, daß die Welt schlecht sei, gibt es inzwischen eine ganze Menge von Schriftstellern beiderlei Geschlechts, die sich statt dessen lieber darum kümmern, wie man mit der Welt, wie sie nun mal ist, möglichst spannend umgehen kann.

Stürmische Zeiten Seinen Frieden mit den diversen Skandalen muß man deswegen noch lange nicht machen - das zeigt einmal mehr Carl Hiaasen mit einem neuen Kapitel seiner Florida-Chronik: "Stürmische Zeiten" (Goldmann, 44,90 DM). Der von Grundstückspekulanten und anderen Albernheiten des American Way Of Life arg gebeutelte Sonnenstaat kriegt regelmäßig Hurricans ab. Kaum hat "Andrew", einer der schlimmsten der letzten Jahrzehnte, seine Verwüstungen angerichtet, fallen sie wie Heuschrecken ein: Die Abzocker, Bauernfänger und Straßenräuber, die sich fette Geschäfte mit den Sturmschäden ausrechnen. Falsche Handwerker, Versicherungsbetrüger und Wegelagerer nutzen die Verwirrung aus, auch die örtlichen kleinkriminellen Lumpis stopfen sich die Taschen voll. Eine schräge Horde von Durchgeknallten hält dagegen: Der Ex-Gouverneur, der in den Sümpfen lebt und sich von "Asphalt-Pizza" plattgefahrenen Viechern, die er vom Highway kratzt) nährt, ein Totenschädel-Jongleur und der nicht sehr legalistische State Trooper Jim Tile, nebst einem erstaunlichen Sortiment von Tieren. Hiaasen inszeniert den evidenten Wahnsinn mittels noch plausibleren Irrsinns: Wenn ein Löwe eine Kreuzigung verhindert, in dem er flugs den Kreuziger verzehrt, dürfen Theologen gerne mit der Auslegung anfangen. Entscheidend ist aber die Quelle von Hiaasens bizarrer Komik: Die Wut über das Versauen eines schönen Stückchens Erde. Engagierte Literatur kann auch komisch sein.

Tropentief oder Heiße Nächte in Key West Hochkomisch ist auch ein zweites Buch über Florida: "Tropentief oder Heiße Nächte in Key West" von Laurence Shames (Europaverlag, 44.-DM). Eine unappetitliche Allianz zwischen "der Mafia" und einem gierigen Lokalpolitiker versucht, unter geschickter Ausnutzung benevolenter Gesetze zum Schutz der "Native Americans", einen veritablen Ein-Mann-Indianer-Stamm als Bargeld-Quelle abzuschöpfen. Der letzte der Matalatchee soll auf seinem Stammesland - einem Schrotthaufen von Insel - ein Casino aufmachen und die Gewinne an die ehrenwerten Herrschaften weiterreichen. Das wäre vielleicht gutgegangen, wenn der Matalatchee sich nicht mit dem jüdischen "BH-König" Murray Zemelman zusammengetan hätte, der vor lauter Erfolgsekel aus New York auf die Keys geflüchtet ist. Shames' Spott kommt eher leise daher, beinahe schon melancholisch gedämpft, trifft aber die ganz normalen verbrecherischen Geschäftsstrukturen haargenau. Die Karikatur von "Mafia" und korrupter Politik erweist sich als probates Stilmittel des "Realismus".

Die Auferstehung des Bobby Z Gar nicht "realistisch" sein will Don Winslow. "Die Auferstehung des Bobby Z" (Blessing, 39,80 DM) ist ein geistreiches und witziges Exerzitium in "l'action pour l'action", das sich um die korrekte Sortierung von "gut" und "böse" keinen Deut schert. Der erbärmliche Ganove und Golfkriegs-Veteran (die Vietnam-Veteranen verschwinden allmählich in den Altersheimen) Tim Kearny, der von einer obskuren staatlichen Behörde erst zum Groß-Dealer aufgebaut und dann zum Zwecke der Selbstbereicherung eines Behördenvertreters zum Abschuß freigeben wird, muß sich seinen Weg durch Kalifornien freischießen. Und trifft dabei im wahrsten Sinn des Wortes eine sorgfältig ausgepinselte Galerie von Gestalten, die aus dem amerikanischen einen Alp-Traum gemacht haben. Winslow ist, jedes seiner bisher vier auf deutsch vorliegenden Bücher beweist es, ein erstaunlich versierter Schriftsteller, der mit Stilen, Erzählgesten, Tempi und Perspektiven so flott und gleißnerisch jongliert, daß die Erzählinhalte schon fast nebensächlich werden. Aber nur fast, denn selbst da, wo die Handlung buchstäblich abhebt, erden seine Spannungsbögen und vor allem seine robusten sentimentalen Momente das Buch immer wieder und lassen das Publikum nicht aus den Fängen.

Null Uhr Managua Von eher britischer Zurückhaltung, wenn auch von Buch zu Buch mit eisigerem Spott, zeigt sich D.B. Blettenberg. Nach langen Jahren in Asien, Afrika und Mittelamerika hat er sich in Berlin festgesetzt und gießt seine Erfahrungen mit der Dritten Welt und einem gewißen Typus von Drittweltisten in spannende Thriller ohne pädagogischen Nährwert um. "Null Uhr Managua" (Volk & Welt, 42.- DM) reiht eine staubtrockene Pointe an die andere. So entsteht ein bitterböser Kommentar zu dem von allen Großmächten eifrig in den Sand gesetzten "Experiment Nicaragua". Vom Urinbeutel des Diktators Somoza, von den Machtspielen der westlichen Allianz bis hin zu übriggebliebenem alten und neuen Terrorismus, vom Ränkespiel zwischen Sandinistas, Contra und Re-Contra bis zu den verwirrten Köpfen von Jugendlichen, die nur Krieg und Bürgerkrieg kennen oder aus dem Exil in ein Land mit Bürgerkriegsfolgen zurückkehren, reicht Blettenbergs thematische Vielfalt. Man kann daraus wahrscheinlich nur einen Polit-Thriller machen. Dessen Technik beherrscht Blettenberg auf internationalem Niveau. Günstig, denn diese literarische Form ätzt Pathos und falsche Romantik weg und legt den Blick frei. Daß Palmen zum Beispiel keine Bäume sind, sondern Gräser ist nur eine der vielen beiläufigen Informationen, die der dankbare, weil bestens unterhaltene Leser mitnimmt.

O Matador Mit den Folgen, die soziale Verkommenheit auf junge Menschen hat, beschäftigt sich auch Patrícia Melos Roman "O Matador" (Klett-Cotta, 32.- DM). Die Geschichte, wie schnell und einfach man in São Paulo als testosterongesteuerter, nicht ganz heller junger Mann zum Chef einer Todeschwadron wird und im Auftrag kleiner und mittlerer Geschäftsleute störende "Elemente" final beseitigt, inszeniert Melo nicht als tiefschürfende Sozialanalyse (denn das soziale Elend müssen wir nicht mehr erklärt bekommen, es ist da und bekannt), sondern als dumpf rasender Monolog der Verwirrung und blutigen Hilflosigkeit. Allerdings ohne größere Sympathie für den Täter zu erwecken. "O Matador" kokettiert nicht einvernehmlich mit den Gewalttaten seiner Hauptfigur. Das unterscheidet das Buch erheblich von "Pulp Fiction", als dessen brasilianisches Pendant es vermarktet und pressemäßig präsentiert wird. Eine fatale Schiene für einen interessanten Versuch, der Ruben Fonsecas Romanen und Stories mehr verdankt als Tarrantinos Kult-Movie.

Der coolste Killer Zur reinen Entspannung ein Slapstick-Thriller von Robert Farrar: "Der coolste Killer. Eine Fabel." (KiWi-Paperback, 16,80 DM). Damit die surreale Posse funktioniert, müssen die Uhren zurückgestellt werden: Das KGB gibt es noch, dito den Kalten Krieg. Da stolpert ein dämlicher Yuppie in London in eine Spionageaffäre, die er bis zum für lesende Normalverdiener schmerzlichen Ende für ein originelles Theater-Stück hält. Und während die Bosse von KGB und MI 5 pausenlos am Telefon den Gang der Handlung diskutieren, stapeln sich die Leichen. Der Kalte Krieg ist zur vergnüglichen Lachnummer geworden. Und wer schert sich darum, wer damals der Maulwurf war?

© Thomas Wörtche, 1997
(Die Woche)

 

Carl Hiaasen: Stürmische Zeiten. (Stormy Weather, 1995). Roman. Dt. von Michael Kubiak. München: Goldmann Taschenbuch Verlag (1. Aufl. - München: Goldmann, 1997), 1999, 8.95 Euro (D)
Don Winslow: Die Auferstehung des Bobby Z. Roman. Aus dem Amerikanischen von Judith Schwaab. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2001 (1. Aufl. - München: Blessing, 1997, 286 S., 7.45 Euro (D)
Detlef B. Blettenberg: Null Uhr Managua. Roman. Berlin: Volk und Welt, 1997, 369 S., 42.00 DM
Patrícia Melo: O Matador. (O matador, 1995) Roman. Aus dem Brasilianischen Portugiesisch von Barbara Mesquita. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1999 (1. Aufl. - Stuttgart: Klett-Cotta 1997), 8.64 Euro (D)
Robert Farrar: Der coolste Killer. Roman. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1997, 143 S., 14.80 DM

 

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