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Der Anti-Zeitgeist in Person

Manfred Wieningers Marek-Miert-Romane
Von Thomas Wörtche

 

Der dreizehnte Mann
 

Man muss nicht gleich an Josef Nadlers »Literaturgeschichte der der deutschen Stämme und Landschaften« denken, aber ein leises Unbehagen machen Rubriken wie »Der österreichische Kriminalroman« schon. Zumindest, wenn sie mehr meinen als eine Herkunftsbestimmung. »Der österreichische Kriminalroman« besteht dann nämlich schnell aus ein paar literarischen Folklorismen, die ihn angeblich definieren: Er ist makaber, er grantelt, er hat stark parodistische Züge und ist a bisserl morbid. Außerdem kommt er mindestens von Helmut Qualtinger her, ganz sicher von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek (die machen ja im Grunde auch so was...) und dann steigen wir das Traditionsleiterchen hinab, über die üblichen Verdächtigen hinweg, bis wir bei Karl Kraus und Sigmund Freud gelandet sind und die ganz Ausgeschlafenen unter uns sogar bei der josephinischen Aufklärung, beim Pezzl, beim Schikaneder, beim Blumauer Aloys - denen man ja allen mit ein wenig intellektueller Geschmeidigkeit einen mehr oder weniger schmäh-haften Umgang mit Tod und Verderben unterstellen kann. Man sieht, das ufert aus, das macht sich gut im Feuilleton. Es trifft aber kaum einen Text präzise.

Was aber hieße eine solche Pseudo-Nadlersche Behandlung für die vier Marek-Miert-Romane von Manfred Wieninger? Insofern sie typisch österreichische Krimis seien? Zunächst einmal würde Wieninger in einem ganzen Cluster von Namen auftauchen: Zenker, Bracharz, Steinfest, Benvenuti, Brödl, Rossmann, Slupetzky, Haas, Komarek, Raab etc. Die alle und noch ein paar mehr bilden den »zeitgenössischen österreichischen Kriminalroman«, sie alle sollen irgendwelche gemeinsamen Merkmale aufweisen. Naja. Mit den angeblichen Ahnherren Albert Drach und Heimito von Doderer geht es schon los. Die haben natürlich keine Kriminalromane geschrieben, solche Thesen sind nur modische Albernheiten, die von Zeit zu Zeit wie Wiedergänger durch die Diskurse getrieben werden. Aber solange selbst im bundesrepublikanischen Diskurs der rührend ahnungslose Franz Schuh als »Supervisor der österreichischen Kriminalliteratur« gehandelt wird, mag man erahnen, welche Verwüstungen solche letztendlich Marketing-induzierten Pseudobegrifflichkeiten angerichtet haben. Solche Namenscluster und Verkaufspakete cum mitgelieferten Nobilitätszertifikaten verstellen den Blick auf einzelne literarische Werke und Werkzusammenhänge. Sie führen auf falsche Spuren.

Privatdetektiv Marek Miert aus Harland, übergewichtig, ständig pleite, in Outfit und vom Gedankengut her gesehen der Anti-Zeitgeist persönlich. Er grantelt, lesen wir immer wieder. Granteln aber heisst mürrisch vor sich hin brabbeln. Das tut Miert nicht. Miert ist eine Virtuose des wisecracks. Also der verbalen Waffe, mit der seit Raymond Chandlers Privatdetektiv Philip Marlowe aus Los Angeles (ständig pleite, mit individuellem Ehr- und Moralbegriff) der unterlegene, kleine Ein-Mann-Unternehmer, meistens outnumbered und outgunned, seine Würde wahrt und in einem symbolischen Sprechakt zurückschlägt gegen die Macht, die Hierarchie, das Geld, die Gewalt. Korrupte Cops, big shots und fiese Gangster im Falle Marlowes. Mierts Intimfeind ist der Oberleutnant Gabloner - ehemals Sicherheitsbüro Wien, wie Miert ehemals auch und damals Mierts Chef und wegen einer blutigen Affaire noch heute potentiell Mierts »böser Engel der letzten Stunde«. Kein dämlicher Pilch, sondern ein eisenharter (»hart, aber herzlos«), selbst gescheiterter militanter Kleinbürger aus dem law-&-order-Lager. »Wissen Sie, Gabloner, was neben Ihren fehlenden Umgangsformen, Ihrem fehlendem menschlichen Maß und Ihrer auf nichts beruhenden Präpotenz Ihr Hauptfehler ist? ... Wer sich diese ledrige Paprika in dieser ekelhaft süßen Tomatensauce einverleibt, der ist einfach kein Mensch!«

Falsches Spiel mit Marek Miert
 

Das ist nicht Granteln, das ist kein Austriazismus - das ist Notwehr, denn schließlich hatte Gabloner gerade geschworen, Miert wenn nötig zu vernichten. Das ist die literarische Kupplung zu den Klassikern des Privatdetektivromans. Und die ist noch nicht einmal wohlfeil ironisch, bei Wieninger, sondern höchstens melancholisch und nostalgisch. Und deswegen fast schon wieder ein wenig utopisch. Und vielleicht ein klein wenig normativ. Was zum Beispiel den Umgang mit »der Macht« angeht.

Kein Hans Moser'scher Grant auch dieses: »Was war denn dieses Österreichische überhaupt? Dass überall, wo es nur irgendwie ging, geschoben und getrickst wurde? Die berühmte, aber tote Musik? Das Ungefähre im Denken, das Unbestimmte im Handeln? ... Lächelnde, penetrante Bosheit? Schmähführen auch im Angesicht des Endes? ... Eine Mischung aus Dummheit und Brutalität, gepaart mit naiver Ingnoranz, womit Thomas Bernhard nicht ganz Unrecht gehabt hätte? Allzeit bereite Pogrombereitschaft, wenn einem die Herren Funktionäre nur freie Hand ließen? Sich zu Tode fressen und zu Tode saufen und dabei permanent Fetzen von Wienerliedern krächzen?« Um es gleich abzuhaken: Ja, Wieninger ergeht sich hier in einer Bernhard'schen Tirade. Allerdings in einer Tirade en miniature, die man, wäre Wieninger nicht Österreicher, nicht unbedingt mit Bernhard in Zusammenhang bringen würde.

Natürlich erledigt Wieninger bei diesem Beispiel die Reverenz sogar selbst. Das sagt aber nur, dass er eine Bernhard'sche These über Österreich ventiliert. Es sagt nicht, dass Wieninger ein spezifisch Bernhard'sches Verfahren in den Kriminalroman einspeist. Tiraden könnten auch doderesk sein, gern auch barock, pikaresk oder überhaupt rhetorisch. Und es gibt gute Gründe, zum Beispiel in Carl Hiaasens Gesamtwerk eine einzige Mega-Tirade zu sehen. Die vier Marek-Miert-Romane aber sind keine Thomas-Bernhard-Romane im Westentaschenformat, die mit ein paar Krimi-Motiven aufgebrezelt wären. Sie sind Kriminalromane sui generis. Moderne, zeitgenössische Kriminalromane. Kriminalromane lege artis - und keine Metakriminalromane. All die Traditions- und Österreich-Diskussionen führen von diesem Punkt weg. Und das wäre schade.

Manfred Wieninger macht Ernst mit den Erkenntnissen, die wir über die literarische Evolution des Kriminalromans schon haben, uns aber aus tausend dummen und auch strategischen Gründen nie richtig zu sagen trauen. Schließlich sind die berühmten Spielregeln und angeblichen Gattungs/Genre-Normen des Kriminalromans schlimmstenfalls Konstruktionen ex post. Normativ und regelhaft waren sie noch nie, und wenn sie - als Regeln des Detection Clubs oder als van-Dine'sche Regeln - argumentativ benutzt werden, dann lediglich, um Abweichungen davon bequem und rein formal glatt thematisieren zu können. Textuelle Substanz hatte dergleichen nie - das Klischee von »Krimi« hatte sie nur lange als relevant mitgeschleppt. Wenn also Wieninger es wagt, einen Handlungsstrang nicht bis zu Ende durchzuführen (wie die Millionenkatze aus »Kalte Monde« etwa), dann bedeutet das keinesfalls, dass er deswegen gegen Krimi-Regeln verstößt oder das Krimi-Schema verletzt oder »mit den Versatzstücken des Kriminalromans spielt« (eine meiner liebsten Blödformeln aus avancierten Krimi-Rezensionen). Es kann statt dessen einfach bedeuten, dass die narration an solchen Stellen auf die Realität stößt, die keine befriedigenden Lösungen für alles und jedes bereit stellen mag.

Der Engel der letzten Stunde
 

Oder: Dass die alt-kommunistische Klientin, die zu Miert kommt und über den Verbleib ihres Bruders Bescheid wissen will, in der ekelhaften Greisenverwahranstalt gewaltsam oder auch nicht gewaltsam ums Leben kommt, bevor Miert wirksam eingreifen kann, ist nach jeder lebensweltlichen Plausibilität tausendmal wahrscheinlicher wie ein sanft lächelnder Tod, vergoldet durch Mierts Rechercheergebnisse in letzter Sekunde.

Oder: Der Schlitzer - ein kleiner, gestörter Wahnsinniger, mies, banal, berechnend. Hannah Arendt läßt grüßen. Gefaßt wird er durch Zufall, gemordet und gemetzelt hat er aus keinem besonderen Grund. Die penible Ausforschung, das voyeuristisch und dabei oft einverständliche angebliche »Verstehenwollen« des Täters unter gröbster Mißachtung des Opfers - all das also, was der Serialkillerroman zu kommerziellen und nur zu kommerziellen Zwecken prätendiert, all das erledigt Wieninger in ein paar Zeilen, die zum Schlüssigsten gehören, was je über Serialkiller in Romanen geschrieben worden ist: »Der Schlitzer war ein schmächtiges, verdrecktes Bürschchen … und so schizophren wie ein Umspringbild. In den Verhören erzählte er die übliche Leier … Vom Bettnässen die ganze Volksschulzeit hindurch … Von diversen Vorsprachen beim Sozialamt, bei denen er angeblich immer wieder gedemütigt worden sei … Von Laserstrahlen aus dem Orbit. Von seiner Impotenz bei den paar Mädchen, die sich mit ihm eingelassen hatten für wenige Stunden … Im Übrigen fühlte sich der Schlitzer als Star, wünschte auch als solcher behandelt zu werden und bezeichnete sich selbst als den Vampir von Harland«. Genre-Konvention hin oder her - Kriminalliteratur, so darf man Wieninger ruhig verstehen, muss sich mit solchen widerwärtigen Würstchen nicht ernsthafterweise befassen.

Statt dessen befassen sich seine Marek-Miert-Romane mit den Szenerien und Tristessen, mit denen sich Literatur ungern befasst, wenn sie super rüberkommen möchte. Und wer möchte das heutzutage nicht? Wieninger anscheinend, denn seine Schilderungen der Vorstadt, der Ausfallsstrassen, der Baumärkte, Einkaufszentren, die penible Beschreibungen der kalten, geschändeten, kargen, vermüllten und zerstörten Natur strahlen nichts Romantisches, nicht mal etwas schick Trash-Romantisches aus. Keine Szene, keine In-Group siedelt in solchen sozialen und ökonomischen Gegenden. Man könnte fast sagen, Wieninger sei der Poet der Tabubereiche des Belletristischen. Dazu passend das Personal: die schmierigen Imbißbudenbetreiber, die Penner (Sandler), die Sozialhilfeempfänger, die ungeliebten Asylanten, die dumpfbackigen Bürgerwehrkleinbürger, die Haider-Klientel. Karikaturen, Klischees, Abziehbilder allesamt. Und allesamt leider eben auch der Beweis, dass Klischees zuallererst stimmen müssen, bevor sie erfolgreich als Klischee zum Tragen kommen. Die ewige Frage nach Karikatur und Vorlage, nach Übertreibung und Abbildung. Wieninger macht es seinem Publikum mit Fleiß schwer, solche Entscheidungen zu treffen. Beobachtet er nicht einfach genau? Fotografiert er nicht nur? Verdichtet er nur die Frequenz der Erscheinungen und Manifestationen, aber nicht deren realen Züge? Natürlich nistet dann Kriminalität, Verbrechen, Brutalität und Gewalt in jeder Ritze, in jeder Nische. Strukturell, weil sozial bedingt. Individuell, weil Täter und Opfer Individuen sind. Fall und Aufklärung, diese rostigen Korsetts, die das Genre angeblich definieren, wären in den Wieninger'schen Kontexten die schiere Lüge, die pure Ideologie.

Kalte Monde
 

Natürlich sind deswegen seine Romane keine kohldunst-naturalistischen, gar veristischen Echt-Szenarien. Aber die Bau-Prinzipe, die artifiziellen Blaupausen der Miert-Romane simulieren eben nicht, dass die Welt ein Plot und am Ende alles säuberlich und gut aufgelöst und restlos abgearbeitet sei. So funktioniert Kriminalliteratur eben nicht mehr bwz. nur noch in ihrer intellektuell langweiligen Standard- und Kommerzausprägung. Oder wenn sie Literatur-Literatur sein will, dann heisst sie »literarischer Krimi«. Aber damit haben die Marek-Miert-Romane eh nichts zu tun.

Ein weiteres Bau-Prinzip der Miert-Romane besteht in dem basso-continuo-haft mitlaufenden Thema des Nationalsozialismus. Wo Miert hingreift - in die eigene Familie, in Archive, in heutige Konstellationen - überall lauert die Geschichte. Deportation, Enteignung, Zwangsarbeit, Massenmord, letzte Gefechte mit der Roten Armee, Täter, Opfer, Davongekommene, gut Davongekommene - die Jahre 1933 bis 1945 sind in Harland (oder in St. Pölten oder überhaupt in Österreich und sonstwo in Europa) noch lange nicht beendet. Sie schwären und eitern nach und diesen Schwären und Eitern bildet eine konstitutive Schicht in allen vier Miert-Romanen, wie in der deutschsprachigen Kriminalliteratur vorher nur in den Berlin-Romanen und -Erzählungen von Pieke Biermann.

Gerade in den letzten Jahren ist es trendig geworden, Geschichte in Kriminalromanen aufzuarbeiten. Allerdings meistens als period piece, als historisches Thema in historisierendem Gewand und damit oft in die Vergangenheit entsorgt. Bei Manfred Wieninger, dessen historische Arbeiten in der Antisemitismusforschungen im Krimi-Kontext eher beschwiegen werden, nicht: Hier ist der Nationalsozialismus kein schaurig-schönes Historienszenario in SS-Lack und -Leder, sondern Bestandteil des Hier und Jetzt. Und gerade deswegen kriminalliteraturrelevant.

Denn welches Verbrechen sollte eigentlich nach den Erfahrungen des Holocausts so viel frappiertes Erstaunen, so sensationslüsternes Prusten, so verlogenes Kopfschütteln ob der Schlechtigkeit der Welt auslösen, wie es der Durchschnittskrimi in ermüdender Eintönigkeit immer wieder verlangt?

Auch an dieser Stelle erweist sich das künstlerische Prinzip der Miert-Romane als intellektuell sanktionsfähig: An der Verweigerung der Glaubensatzes, dass Kriminalliteratur mit fröhlichem Mordeln und Schlachteln herumalbern muss, um Menschen intelligenten Lesestoff abseits der hochliterarischen Rezeptionsbarrieren zu bieten. Muss sie nämlich nicht, viermal Marek Miert beweisen es.

 

© Thomas Wörtche, 2007
(Literatur und Kritik
Bd. Österreichischer Krimi
September, 2007
)

 

Die Marek-Miert-Romane:

Der dreizehnte Mann (1999)
Falsches Spiel mit Marek Miert (2001)
Der Engel der letzten Stunde (2005)
Kalte Monde (2006)
Rostige Flügel (2008)

 

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