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Verfechterin des bösartig-schrägen Blicks

Thomas Wörtche über Minette Walters

 

Bestseller stehen immer im Verdacht, kalkuliert zu sein. Die britische Schriftstellerin Minette Walters hat mit "Im Eishaus" und "Die Bildhauerin" aus dem Stand zwei veritable Bestseller abgeliefert, deren Kompositionsprinzipien auf den ersten Blick klar zu sein scheinen: Man nehme bestens eingeführte Schauplätze (die englische Countryside, bzw. die Kleinstadt), bestens eingeführtes Personal (die neugierige Schriftstellerin, tumbe Polizisten) bestens eingeführte Schockelemente (bizarre Leichen), und ein paar Zutaten en vogue (Kinderschänderei, Lesbians & Gays) und montiere sie möglichst kuschelweich zusammen. Weil es für jede einzelne Zutat genügend Anknüpfungen an schon ausgefaltete und bekannte literarische Muster gibt - den klassischen englischen Landhauskrimi à la Christie und den modischen amerikanischen Devianz-Thriller à la Lindsay - verspricht die Kombination der Elemente beide Segmente der Leserbegierde abzudecken. Erleichternd für dieses Marktkalkül kommt dazu, daß amerikanische Autorinnen wie Martha Grimes und Elizabeth George mit ihren ungeheuer publikumsträchtigen, wenn auch durchaus talmihaften Plagiaten britischer Krimitraditionen die Erwartungshaltungen recht niedrig gehängt und ein Terrain vorbereitet haben. Insofern ist es für eine "neue" britische Autorin nicht allzu schwierig, schöne Distinktionsgewinne zu erzielen. Wobei sie durchaus davon ausgehen darf, daß wirklich innovative britische Autoren und Autorinnen des Genres (Derek Raymond, Helen Zahavi, Julian Rathbone und andere) wegen ihrer künstlerischen Radikalität und den mangelnden Werbeetats ein Minderheitenprogramm bleiben werden. In etwa so ließe sich der Erfolg von Minette Walters mit kaltem Blick analysieren.

Es kann aber auch sein, daß Bucherfolge einfach passieren. Aus dem Bauch, sozusagen. Und weil dann das Publikum spürt, daß es gut unterhalten werden soll, will heißen: Nicht verachtet wird. Und obendrein noch von jemandem, der Spaß dabei hat und etwas zu sagen hat. Wenn also ein Roman mit dem Satz beginnt: "'Schaut doch mal, Fred Phillips rennt!' Anne Cattrells Bemerkung platzte in die Stille des Augustnachmittags wie der Furz in die Teegesellschaft der Pastorsgattin", dann ist seine Verfasserin wahrscheinlich nicht gerade ein Kind von Traurigkeit. Und richtig: Minette Walters lacht gerne. Ob beim fünfzehnten Interview (von fünfunddreißig, und wahrscheinlich lacht sie auch beim fünfunddreißigtsen noch) im Berliner Kempinski, wo ich sie zum ersten Mal treffe, oder nach einer zweistündigen Lesung in einer etwas ungeheizten Buchhandlung. Über John Major und Walter Momper, der gerade wichtig herumhampelt, ist wunderbar lästern; mit boshaftem Vergnügen gibt sie später Antwort auf merkwürdige Fragen über Probleme der Leichenbeseitigung, britische Massenmörder und thatcheristische Sprachregelungen über Sexualia.

Kein Zweifel, Minette Walters ist eine Verfechterin des bösartig-schrägen Blicks, der boshaften Beobachtung - lesen Sie mal die Dialoge der Heldin von "Die Bildhauerin" Rosalind Leigh und ihrer Agentin Iris - nicht nur in der Literatur, sondern auch im Leben. Solche Effekte lassen sich schwer kalkulieren. Sie wirken in Romanen meistens aufgesetzt, wenn es zwischen Person und Erzählerin keine Korrespondenzen gibt. Und auch ihre Neigung zu komplizierten Plots, zu verwickelten, verästelten Geschichten leuchtet mir unmittelbar ein, nachdem wir uns lange über Themen wie Maggie Thatcher, die Privatisierung britischer Gefängnisse, die Unlust zu Kochen, New York, gemeinsame Bekannte und die statistische Häufigkeit von Kinderschändung unterhalten haben. Das geht vom Hölzchen aufs Stöckchen und wieder zurück. Einfache Antworten gibt es nicht, aus manchem Dilemma kommt man nur mit einem Witz wieder heraus. Was mit mangelndem Ernst nichts zu tun hat: Einfache Weltbilder sind Minette Walters Sache nicht, und deshalb sind auch ihre Romane vermutlich bis zur Verwirrung komplex geraten. Das ist auch besser so, bei ihren durchaus ernsten Themen, d.h. bei ihrem zentralen Thema: "75% aller Morde werden im häuslichen Umfeld verübt", zitiert sie die britische Kriminalstatistik.

Um Gewalt in der Familie drehen sich auch ihre Romane, mögen sie noch so nett verpackt sein. Die nette, konsumentenfreundliche Verpackung erweist sich als ziemlich vergiftet, wenn man sie parallel zu ihren Ansichten liest: Verbale Gewalt, die ganze normale Gewalt, die Eltern über ihre Kinder ausüben, ist ihr ein Greuel. Die hat mit Streß zu tun, und Streß ist ein ganz normaler Faktor unserer Zeit und auf Kinder wird Streß abgeladen - und auf Tiere, fügt sie hinzu. Mütter üben diese Gewalt aus. Weil sie von Vätern alleingelassen werde. Aber nur ein Geschlechterproblem ist das auch nicht, kommt dann als Nachsatz. Nein, einfache Weltbilder finden nicht statt.

Angefangen hat Minette Walters mit der professionellen Herstellung einfacher Weltbilder - sie hat Heftchenromane geschrieben, so richtig Herz & Schmerz. Das war ein gutes Training, gibt sie kichernd zu, rein handwerklich gesehen. Dann hat sie reich geheiratet und die Chance genutzt, "richtige" Romane über die Kompliziertheit der Welt zu schreiben. Aber ist das schon eine hinreichende Rezeptur zur Produktion von Bestsellern? Nach meiner Begegnung mit Minette Walters muß ich Verschwörungstheoretiker enttäuschen - manchen Bücher haben einfach den Erfolg, den sie verdienen.

© Thomas Wörtche, 1995
(Buchjournal)

 

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