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Juristen mit flinkem Schreibprogramm

Thomas Wörtche über Scott Turow und seinen Roman »Die Gierigen und die Gerechten«

 

Die Gierigen und die Gerechten Vor zwölf Jahren hatte Scott Turow eine Lawine losgetreten. »Aus Mangel an Beweisen« hieß sein erster Bestseller, den man am Anfang bloß für eine clevere Wiederbelebung des "Court Room Dramas" à la Perry Mason halten mochte. Aber das Buch (und die zwei Jahre später erfolgte Verfilmung mit Harrison Ford) war die Initialzündung für ein Buchmarktkonzept namens "legal thriller" - gute Anwälte gegen böse Anwälte -, das die 90er Jahre in Buch, Film und Fernsehen dominierte. So sehr, dass sich Marcel Berlins, der rechtspolitische Kommentator des britischen "Guardian" schon um das Rechtsverständnis seiner Landsleute sorgte, die amerikanische Prozessverfahren auch in Old Bailey erwarteten. Böse sein darf man Turow deswegen nicht. Im Gegenteil, schließlich musste er erleben, wie die light Versionen von Grisham bis Baldacci seine ohnehin schon erklecklichen Verkaufzahlen astronomisch überholten.

Was kein Wunder ist, denn Turow ist, im Gegensatz zu den meisten Anwälten mit dem schnellen Schreibprogramm, ein richtiger Schriftsteller. Das zeigt wieder sein neuester Roman, »Die Gierigen und Gerechten«, der sich in den USA schnell auf die Bestsellerlisten vorgearbeitet hat. Dabei ist er alles andere als ein "legal thriller". »Personal Injuries«, so der Originaltitel, kommt zwar als harsche Kritik am US-amerikanischen Rechtssystem daher, beschäftigt sich aber auch mit ganz anderen moralischen Fragen. Das Buch spielt, wie alle Bücher Turows, im fiktiven Kindle County (das Turows realem Turf, Cook County, Ill., arg ähnlich ist) und erzählt von einer FBI- und Staatsanwaltschaftsaktion gegen korrupte Richter und korrumpierende Anwälte. Vor allem in Fällen, bei denen es um Schadensersatzklagen und damit um viel Geld geht.

Stan Sennett, der schneidige und extrem trickreiche Staatsanwalt bedient sich dazu eines Rechtsanwalt, Robbie Feaver, bei dem man Schwarzgeldkonten entdeckt hat. Feaver muss kooperieren und wird, verkabelt vom Scheitel bis zur Sohle, gegen seine ehemaligen Geschäftspartner eingesetzt. Als Aufpasserin und Gehilfin bekommt er die FBI-Agentin Evon Miller zugeteilt, die nicht von seiner Seite weicht. Natürlich heisst die Lady nicht Evon Miller, und ihre Legende scheint perfekt: Mormonin, Spitzensportlerin, irgendwo aus den Nebeln des Kontinent. Psychologisch plausibel, ist die Undercover-Agentin tief genug in ihre Rolle geschlüpft, um Probleme mit sich selbst zu bekommen. Auf allen Ebenen, selbst auf der sexuellen. Denn Robbie, der sich rührend um seine totkranke Frau kümmert, ist schon ein Schlawiner - charmant, verlogen, irgendwo tief anständig. Schürzenjäger, Pragmatiker, Durchblicker und Aufsteiger. Dabei durch und durch kriminell. Gemessen am Ideal von Gesetz und Ordnung. "Aber", sagt Turow in einem Interview, das wir zwischen Berlin und Chicago gemacht haben, "Gesetz und Ordnung in diesem Land sind Spielplatz der Reichen". Korruption gehört zum System, das war schon immer so. "Dennoch ist das Gesetz die mächtige Kraft, die unsere Gesellschaft zusammenhält." Das steht für Turow trotz allem nicht zur Disposition. Deswegen wäre die Genre-Bezeichnung "legal thriller" zu kurz gegriffen. Ihn interessiert das Spiel um den menschlichen Preis für abstrakte Prinzipien. Und deswegen überträgt »Die Gierigen und die Gerechten« die Erzählmuster und Formen des klassischen Spionage-Romans aus dem Kalten Krieg ins Innere einer Gesellschaft. Evon Miller arbeitet undercover und muss lernen, dass die Gegenseite auch aus richtigen Menschen besteht. Robbie Feaver muss lernen, dass er nicht jeden manipulieren kann. Beide sind, klassisch für Autoren wie le Carré oder Greene, am Ende verbrannt - denn der Chef-Manipulator im Namen des besseren Ordnung, Staatsanwalt Sennett, hat noch ein paar Intrigen auf Lager, die selbst erfahrene Leser mit der Zunge schnalzen lassen. Und der Oberschurke, der Präsident des Zivilgericht, ein zäher, alter Gangster namens Brendan Tuohey, überlebt auch diese Manöver.

Turows Kunst des Erzählens - er hält "Erzählen für das Fundament jeder Literatur und als Kunstform für die Entwicklung moralischer Massstäbe für kardinal wichtig" - ist äusserst realitätstüchtig, aber frei von jedem naivem Naturalismus. Der Erzähler ist der Anwalt George Mason. Der bietet uns seine Version der Dinge an, seine Mutmassungen über Gefühlslagen, über innere und intime Befindlichkeiten und er lässt keinen Zweifel daran, dass es so allenfalls hätte sein können. Vermutlich ist Turow, der seinen Anwaltsberuf weiter ausübt und somit ständig die Realität vor Augen hat, viel zu skeptisch, was die einfache Erklärbarkeit der Welt angeht. Literatur muss, so sagt er, "uns einen Zugang zu einer kohärenten, imaginierten Welt bieten" - und wenn diese dabei Ähnlichkeit mit der echten hat, umso besser.

 

© Thomas Wörtche, 2000
(Die Woche, Juli 2000)

 

Scott Turow: Die Gierigen und die Gerechten. (Personal Injuries). Roman. Aus dem Amerikanischen von Klaus Kamberger. München, 2000: Karl Blessing. 544 Seiten, 24.95 Euro (D)

 

 

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