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Männlicher Schrott und weiblicher Schotter

Thomas Wörtche über Joyce Thompson und ihren Roman »Endspiel mit Dame«

 

Der erfreuliche Aspekt am Etikett "Frauenkrimi" ist der Umstand, daß darunter Frauen genausoviele schlechte Bücher in die Welt setzen können wie Männer. Es gibt ganze Verlage und Verlagsreihen, die sich die öffentliche Entsorgung der Schieflage zwischen männlichem Schrott und weiblichem Schotter zur Aufgabe gemacht haben. Zwar ist die historische Balance quantitativ noch lange nicht hergestellt, aber wenn der feministische Aspekt nicht partout zur Zentralperspektive werden soll, darf man es durchaus gespenstisch finden, wie flächendeckend nivellierend der Terminus "Frauenkrimi" Qualitätskriterien außer Kraft zu setzen scheint.

Seit Mitte der 80er Jahre hatten in den USA Sara Paretsky, Sue Grafton und andere die männlicherseits ratlos gewordene Figur des Privatdetektivs erfolgreich "instandbesetzt", und damit einen Boom ausgelöst, der immer mehr weibliche private eyes auf den Markt geballert hat. Diese neue Formel zu bedienen, garantierte ein ausreichendes Stückchen Marksegment. Die Folgen entbehren nicht einer gewissen Ironie: Bei vielen wichtigen Autoren (Robert W. Campbell, Nelson DeMille, Jeremiah F. Healy u.v.a) setzte ein deutliches Aufweichen der Macho-Attitude des Genres ein, während bei den meisten neuen Autorinnen die Erfolgsformel zum starren Schema verkrustete. Vor allem formal hatte die Umbesetzung einer Figur, die Ersetzung der monoperspektivisch männlichen durch die monoperspektivisch weibliche Sicht auf die Welt keine ästhetisch-literarischen Folgen.

Eine ganz und gar eigenständige Demonstration dafür, welche ästhetisch neuen und aufregende Potentiale im "Kriminalroman" stecken, ist dagegen der Roman Endspiel mit Dame von Joyce Thompson. Er verlagert das Bedrohtsein vom Verbrechen weg von den "Verbrechensmilieus", hinein in die Familie und schildert das Umkippen jeglicher Sicherheits- und Ordnungssysteme in schieren Horror aus sich kreuzenden Blickwinkeln der Opfer. Frederika Bascomb ist Malerin, sie verdient ihr Geld mit der zeichnerischen Rekonstruktion von Mordopfern anhand ihrer Schädel. Ihr Vater wird ermordet, sie und ihre Kinder sind dem Terror eines anscheinend allgegenwärtigen Wahnsinnigen ausgesetzt. Der Täter hat seine eigene Genese und Legitimierung als Mörder in einem Manuskript fiktionalisiert, das er den Bascombs stückweise zuspielt. Seine Geschlechtsidentität ist bis zur Schlußpointe offen, Gewißheiten gibt es nicht in dem Roman. Wir sehen die Welt durch die Augen der Bascombs, und wir sehen sie als ein Mosaik aus erwachsener und kindlicher Wahrnehmung, aus Vermutungen, Emotionen und Interpretationen, die Joyce Thompson in einer eigenwilligen, verknappenden Erzählhaltung auffächert. Beinahe jeder Satz ist ein kalkuliertes Amalgam aus auktorialem und personalem Erzählen, fast jeder Dialog Kommunikation, elliptisches Sprechen und Aufruf privater Vorstellungswelten in einem. Unter der Bedrohung, die unfaßlich, unplausibel und unmotiviert scheint, verwandelt sich alles in mehrdeutigen Schrecken. Menschen und deren Bio graphien, ihre Beziehungen untereinander, die familiären Gewißheiten lösen sich in undurchschaubare, geheimnisvolle Dimensionen auf, und der Schrecken ist nur um einen fürchterlichen Preis zu bannen. Der Schlußpunkt des Romans ist von schwarzgalliger sinistrer Ironie.

Endspiel mit Dame bricht mit jeder Genre-Konvention, mit jeder Formelhaftigkeit, mit jeder Erwartungshaltung. Gerade mit der, was und wie Frauen heute so schreiben (sollen). Die radikale Skepsis von Joyce Thompson gegenüber den familiären Strukturen führt zur radikalen Eigenständigkeit der Schilderung ihres Zerfalls und damit zu der Möglichkeit, weibliche Individualität gegen neu verfestigte literarische Rollenkonventionen (nichts in diesem Buch ist tough oder cool nach dem Schema "Neue Frau") zu artikulieren. Endspiel mit Dame ist insofern auch die gelungene individuelle künstlerische Rebellion gegen den Zwang kollektiver Vorstellungswelten.

© Thomas Wörtche, 1993
(Freitag)

 

Joyce Thompson: Endspiel mit Dame. (Bones). Ein Psychothriller. Deutsch von Teja Schwaner. Reinbek: Wunderlich, 1993

 

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