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Aus der aktiven in die fiktive Politik

Thomas Wörtche im Gespräch mit Ross Thomas

 

Thomas Wörtche: Mr. Thomas, Ihre Romane werden zu Recht als scharfsinnige, witzige und kritische Analysen der amerikanischen Innen- und Außenpolitik gepriesen. Sie haben politische Erfahrungen als Journalist, politischer PR-Mann und Wahlkampforganisator gesammelt. Was in Ihren Romanen beruht also auf der Wahrheit?

Ross Thomas: Nichts ist wahr. Nichts ist wahr in allen meinen Romanen. Man nimmt einen kleinen Zwischenfall und vergrößert ihn tausendfach...

Thomas Wörtche: Zum Beispiel die Anfangssequenz von Missionary Stew, die in einem afrikanischen Gefängnis spielt, ist doch sehr realistisch...

Ross Thomas: Die hab ich mir ausgedacht. Naja, ein bißchen beruht sie auf dem Ärger in französisch Äquatorial-Afrika...

Thomas Wörtche: Und The Seersucker Whipsaw? Haben Sie sich das auch nur so ausgedacht...

Ross Thomas: Ja, The Seersucker Whipsaw, tja, das Buch basiert größtenteils darauf, was ich in Afrika getrieben habe. Natürlich ist das alles weit übertrieben. Sagen wir so: der Background ist korrekt, die Figuren sind erfunden. Ein paar von ihnen wenigstens. Mir hat es Spaß gemacht, den Roman zu schreiben und mir haben meine fünfzehn Monate in Afrika Spaß gemacht.

Thomas Wörtche: Warum habe Sie nie für Regierungen gearbeitet, zum Beispiel für Kennedy?

Ross Thomas: Weil ich grundsätzlich nicht für Regierungen arbeiten mag. Ich hab das nur mal ein bißchen getan, und dann habe ich versucht, da wegzubleiben. Und ich bin da weggeblieben.

Thomas Wörtche: Sie trauen Regierungen wohl nicht?

Ross Thomas: Selbstverständliche traue ich Regierungen. Ich will nur nicht für sie arbeiten. Ich mag keine Bürokratien, ich mag die Verfahren von Entscheidungsfindungen nicht, ich mag die Drohnen nicht, mit denen ich arbeiten müßte. Ich gehe lieber im Freistilverfahren vor.

Thomas Wörtche: War John F. Kennedy nicht auch eine Hoffnung für Sie?

Ross Thomas: Eigentlich überhaupt nicht. Ich habe seine Karriere sehr aufmerksam verfolgt. Er war kein Liberaler. Als Multimillionär war er für mich sowieso ein bißchen verdächtig. Er hatte Glück und Charisma und einen steinreichen Vater. Ohne seinen Vater wäre er auch nicht Präsident geworden. Aber der hatte nun mal das Geld, das man so braucht...

Thomas Wörtche: Außerdem war Vater Kennedy ein glühender Antisemit...

Ross Thomas: Natürlich war er das...

Thomas Wörtche: ... und hing mit der Mafia zusammen...

Ross Thomas: Naja, ich weiß nicht (kichert), er hatte sich in Hollywood ausgetobt, er war ein Großgrundbesitzer, er hatte Verbindungen zu allem und jedem. Der alte Mann war ein Libertin, er hatte acht oder neun Kinder, und eines sollte Präsident werden. Joe, sein ältester Sohn war gestorben, also wurde der nächste, John F., Präsident. Sonst wäre es eben Joe geworden. John war ein Symbol seiner Zeit: Ein reiches Kind aus Harvard, der Präsident wurde. Vielleicht wäre er ein guter Präsident geworden, wenn er länger gelebt hätte. In den drei Jahren im Amt hat er ja nichts wirklich hingekriegt, außer eine Aura um sich herum zu schaffen und die in eine Fiktion zu integrieren.

Thomas Wörtche: Und das berühmte Kuba-Krisenmanagement?

Ross Thomas: Das hat die Eisenhower-Administration gemacht. Was konnte Kennedy selbst schon tun? Er steckte mitten drin. Als er sich mit Chrutschow getroffen hat, in Österreich glaube ich, da hat ihm Chrutschow ganz schön Angst gemacht.

Thomas Wörtche: Sehen Sie Parallellen zwischen Kennedy und Clinton?

Ross Thomas: Nein. Clinton ist ein Berufspolitiker. Clinton ist einer der fortschrittlichsten Politiker, die seit langem aufgetaucht sind. Und seine Frau ist noch cleverer als er. Schauen Sie sich sein Kabinett an. Nur brillante Leute. Und doch fehlt ihm irgendwas. Es fehlt eine große Richtung. Er verzettelt sich. Wenn er sich auf ein einige wenige Dinge wirklich konzentrieren würde, dann könnte er der populärste Präsident seit Roosevelt werden.

Thomas Wörtche: Haben Sie die Kluft zwischen seinen Wahlversprechen und der Realpolitik vorausgesehen?

Ross Thomas: Er hat am Anfang natürlich mächtig angegeben. Inzwischen hat er das wohl erkannt. Die Außenpolitik fordert ihn jetzt: Somalia, die Tragödie in Jugoslawien und ein paar andere nette Sache. Wenn es ihm gelingt, sich nicht unbeliebt zu machen, sich da raus zu halten, oder zumindest als Sieger zu erscheinen, dann könnte er eine glatte Wiederwahl schaffen. Und natürlich wenn er sein Gesundheitsprogramm durchbringt - als letzte der westlichen Industrienationen -, dann wird das sicher nach ihm und seiner Frau benannt.

Thomas Wörtche: Würde es Ihnen, rein professionell gesehen, Spaß machen, zum Beispiel für Ross Perot PR zu machen?

Ross Thomas: Nein. Natürlich muß ich in diesem Job nicht an meinen Klienten glauben, ich muß nicht glauben, daß er ein wunderbarer Mensch, ein Ausbund an Tugend ist...

Thomas Wörtche: Haben Sie das je von jemandem geglaubt?

Ross Thomas: Ach, ich kenne die alle viel zu gut. Ich habe mir das immer so zurecht gelegt: Meiner ist besser als der andere. Das war meine Faustregel: ob ich jemanden mochte oder nicht - ich habe für ihn gearbeitet, wenn ich den anderen Typen ("the other guy") noch weniger mochte...

Thomas Wörtche: Deswegen haben Sie dann eine Ihrer berühmten Figuren Otherguy genannt...

Ross Thomas: Da kommt das her...

Thomas Wörtche: Gibt es eigentlich "saubere" Politik?

Ross Thomas: Politik ist Politik. Man gewöhnt sich dran.

Thomas Wörtche: Waren Sie im Kalten Krieg auch wirklich im Spionage-Geschäft, wie man von Ihren Büchern her vermuten könnte?

Ross Thomas: Einer der Hauptgeldgeber für die Angestellten-Gewerkschaft, für die ich mal gearbeitet habe, war eine Organisation namens "Public Service International". Das war die Dachorganisation für viele Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes auf der ganzen Welt. Da gabs einen Stab, der nur herumgereist ist, und Streiks organisiert oder Streiks gebrochen hat, weltweit. Natürlich im Auftrag von jemandem. Später kam dann natürlich raus, daß die "PSI" größtenteils von der CIA finanziert wurde. So gesehen war natürlich die Organisation, für die ich gearbeitet habe, heftig im Kalten Krieg engagiert. Ja. Da hatte sie natürlich nichts zu suchen.

Thomas Wörtche: Warum haben Sie schließlich beschlossen, aus der aktiven in die fiktive Politik umzusteigen, also Romane zu schreiben.

Ross Thomas: Weil ich schon immer ein Leser war. Ich hoffe, daß alle Schrifsteller Leser sind...

Thomas Wörtche: Hoffen Sie das mal lieber nicht...

Ross Thomas: Ich auf jeden Fall bin ein hemmungsloser, ich muß alles lesen. Außerdem habe ich Literatur studiert, in Oklahoma. Mir war's nur zu langweilig, einen akademischen Abschluß zu machen. Geschrieben habe ich natürlich schon mein ganzes Leben, also seit ich siebzehn war. Nur keine Fiction.

Thomas Wörtche: Also wurden Sie nicht Schrifsteller, weil sie plötzlich einen PC hatten. Übrigens haben Sie bis heute keinen...

Ross Thomas: Nein, ich hatte nur meine alte Adler, und die ist gerade abgebrannt...

Thomas Wörtche: Haben Sie eigentlich auch gezielt Polit-Thriller gelesen, bevor Sie selbst welche geschrieben haben?

Ross Thomas: Ich habe sie alle gelesen. Len Deighton, Le Carré, Eric Ambler natürlich, das große Vorbild von allen und den meisten in vielen Aspekten immer noch überlegen. Zur Zeit gibt es übrigens wieder großartige jüngere Autoren, die Polit-Thriller über die 30er und 40er Jahre schreiben, die grandios sind. Dringend möchte ich auf Alan Furst hinweisen, der ganz vorzüglich ist.

Thomas Wörtche: Spionage-Romane waren natürlich Kinder des Kalten Krieges...

Ross Thomas: Nicht nur Kinder des Kalten Krieges. Jetzt sind sie die Waisen des Kalten Krieges...

Thomas Wörtche: Und jetzt? Der Nord-Süd-Konflikt wird sichtbar, der unter dem Ost-West-Konflikt verborgen war...

Ross Thomas: Deswegen wird es viele Bücher über Industriespionage geben. Obwohl es keinen Spaß macht, sowas zu schreiben. Bei denen, die es schon gibt, haben die Schriftsteller keine Ahnung, über was sie da reden. Die wissen nicht, was wichtig ist und was unwichtig. Ich wüßte es auch nicht. Deswegen macht es auch keinen Spaß, die Dinger zu lesen. Die Struktur von Romanen über Betrug und doppeltes Spiel, um politischen oder persönlichen Vorteil, läßt sich auf ziemlich alle Konstellationen übertragen. Das sind uralte Themen, conditio humana, und deswegen werden sie nicht aussterben. Wer stürzt den König, wer setzt ihn auf den Thron? Ich könnte ewig darüber schreiben.

Thomas Wörtche: Manchmal habe ich schon den Eindruck, daß die Realität schneller ist als die Fiction. Sie planen einen Roman, denken sich den Plot aus und lesen am nächsten Morgen Zeitung. Und die Wirklichkeit ist viel, viel schlimmer.

Ross Thomas: Ein guter Roman steht immer in seiner Zeit. Lesen Sie immer das Kleingedruckte im Impressum, das Datum vor allem. Also muß man auf den human factor zurückgreifen, und sich spannende Figuren ausdenken.

Thomas Wörtche: Einer Ihrer Ausflüge ins Filmgeschäft brachte Sie mit dem Hammett-Film von Wim Wenders in Kontakt.

Ross Thomas: Klar, Wenders hat gegen alle Hindernisse von Hollywood obsiegt, weil er immerhin 80 Minuten Film tatsächlich auf Zelluloid gekriegt hat. Davon waren ganze 19 Minuten brauchbar. Also hat mir Coppola diese 19 Minuten in die Hand gedrückt und gesagt: Mach was damit. Wir haben schon so viel Geld investiert, aber die ganzen Szenen ergeben überhaupt keinen Sinn. Also habe ich gemacht, was ich konnte und sie haben Wenders zurückgeholt, und ihn den Film so fertigdrehen lassen. Er war nicht sehr glücklich darüber, was ich gemacht hatte; und so ist der Film so, wie er ist, und ich muß mich nicht dafür entschuldigen. Ich entschuldige mich natürlich beim Autor der Vorlage, Joe Gores.

Thomas Wörtche: Bedrückend finde ich gerade hier in Südkalifornien die Bunker-Mentalität eines erheblichen Teils der weißen Bevölkerung. Alle sind bis an die Zähne bewaffnet, leben in eingezäunten Wohngebieten und basteln an einer Art Apartheid-System. Sie fühlen sich dabei nicht glücklich und sicher und produzieren eine immense Spannung, die man deutlich fühlen kann.

Ross Thomas: Sie fühlen natürlich, daß jemand kommen und ihnen alles abnehmen könnte. Sie fühlen genau, daß sie dann die Polizei nicht mehr schützen kann. So haben sie beschlossen, jeden umzubringen, der ihnen ihr Eigentum stehlen will.

Thomas Wörtche: Diese Stimmung wird doch immer schlimmer, immer intensiver.

Ross Thomas: Ja, die Stimmung wird immer schlechter; ob das statistisch zu belegen ist, das weiß ich nicht. Schlimm genug ist es auf jeden Fall schon. Und da gibt es das andere große Problem: Drogen. Leute müssen stehlen, um sich Drogen kaufen zu können. Daran gibt es gar keine Zweifel.

Thomas Wörtche: Außerdem steckt ja sehr viel Geld im Drogengeschäft, zumindest so lange, wie es nicht legalisiert wird...

Ross Thomas: Sie machen wohl Scherze. Da würden ja etliche südamerikanische Regierungen stürzen, Drogen würden billig und wären nicht mehr schick, Kinder würden nicht mehr Drogen verkaufen, sondern wieder zur Schule gehen. Und das Drogenproblem hätte sich erledigt. Das wäre fürchterlich. Ein paar Leute würden sich eine billige Überdosis verpassen und sterben, als warnendes Beispiel für die anderen.

Thomas Wörtche: Meinen Sie damit etwa, der Heilige Kreuzzug gegen die Drogen sei nie ernst gemeint gewesen?

Ross Thomas: Woher denn, niemals. Naja, von den DEA-Leuten, die dabei draufgegangen sind, vielleicht schon. Und natürlich hängen ihre Jobs davon ab. Es gibt ja eine ganze Anti-Drogenindustrie, die leben will. Es gibt Kliniken, die nur vom Entzugsgeschäft leben; es gibt Ärzte, Krankenschwestern, Psychiater, Sozialarbeiter, die ihr Geld damit verdienen. Es gibt eine ganze Industrie zur Behandlung von crack-abhängigen Babies - ich weiß nicht, ob es crack-abhängige Babies gibt, aber bitte. Die Drogenkultur produziert Dienstleistungsunternehmen.

Thomas Wörtche: Also will niemand wirklich damit Schluß machen?

Ross Thomas: Doch, doch. Aber nur, in dem man den Krieg erklärt. Natürlich sollte Schluß damit sein - wer Drogen haben will, soll sie billig haben. In ein paar Jahren wird das auch so kommen, aber natürlich bin ich kein Soziologe.

Thomas Wörtche: Vielen Dank.

 

© Thomas Wörtche, 1994

 

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