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Großes Reinemachen vor dem Machtwechsel

Thomas Wörtche über Ross Thomas und seinen Roman »Die im Dunkeln«

 

Die im Dunkeln So scheußlich die US-amerikanische Politik von Zeit zu Zeit aussehen mag und welch widrige Folgen das auch für die Kultur des Landes haben mag - es gibt dort eine literarische Kultur, die mit den politischen Zuständen erbittert polemisch umgeht, ohne deswegen littérature engagée zu sein oder sich ihrerseits mit angeblich oppositionellen politischen Strukturen gemein zu machen. Sie ist und bleibt Literatur auf höchstem Niveau, agiert ausschließlich mit literarischen Mitteln und wird wohl am perfektesten von Ross Thomas präsentiert.

Sein neuester Roman "Die im Dunkeln" bestätigt einmal mehr die Einschätzung der New York Times, daß er "Amerikas bester Erzähler" sei.

Die Grundidee des wie immer auf den ersten Blick ganz unspektakulär daherkommenden Buches ist so einfach wie scharfsichtig: Als die Clinton-Regierung an die Macht kommt, weil sie u.a. "saubere" Verhältnisse versprochen hat (ein Wahlkampfslogan wie jeder andere auch), müssen, zwecks politischem Überleben, ein paar Leute aus den Reagan- und Bush-Seilschaften ganz schnell ihren Dreck wegräumen. Zum Beispiel die Schweinereien, die sie in El Salvador angerichtet haben. Und wenn man Dreck schnell unter den Teppich kehren muß, dann kann's schon mal ziemlich blutig und unsauber werden. Und ruppig, weil die "andere Seite" unter Sauberkeit ja auch nur das versteht, was sich nicht mehr ausgraben läßt, was also notfalls final entsorgt werden konnte.

Es ist also ein ganz einfacher und plausibler Grundgedanke, den Ross Thomas lediglich als Unterboden für seine Geschichte aus der Welt der Realpolitik nutzt, um daran sein Feuerwerk aus witzigen, lakonischen und verzweifelten Dialogen, elegant halsbrecherischen Handlungsführungen, knapp und präzise gezeichneten Figuren und brillanten Einfällen zu entzünden.

Ross Thomas hatte lange Jahre als Wahlkampfmanager und politischer PR-Mann (und nichts, was man sich unter diesem Etikett vorstellen könnte, ist zu abenteuerlich) gearbeitet, bevor er sich in Malibu niederließ, um dort für das Fernsehen und für Hollywood (was die wenigsten Leute wissen) - also für Geld - sowie - nämlich in Ruhe - seine großartigen Romane zu schreiben (was man überall auf der Welt weiß, aber in Deutschland nicht so recht wissen will). Einer wie er kennt Politik zu gut, um sie in seinen Büchern umständlich erklären zu wollen.

Korruption? Der Einsatz aller Mittel zur Erreichung eines politischen Zweckes? Buchstäblich über Leichen gehen? Wenn es um Geld und Macht geht? Was denn sonst! Fragen also, die, wenn sie ansonsten in Romanen auftauchen, am Ende als der große Clou effekthascherisch und empört bejaht werden, gehören im Kosmos von Ross Thomas zu den allersimpelsten Grundvoraussetzungen. Moral fängt dann an, eine Rolle zu spielen, wenn man kapiert hat, daß sie zwar unter Schmerzen zu haben sein mag, nie allerdings mit sauberen Pfötchen. Denn sie ist ein seltenes Gut.

Eine solche intellektuelle Grunddisposition hat erhebliche ästhetische Folgen. Sie wirkt auch hier direkt hinein ins Geschäft des Erzählens. Ein ganz normaler Cop, ein schlichter Detective Sergeant wird beschrieben. Er trägt Klamotten, die ungefähr 2000 Dollar wert sind. Allein aus diesem Detail machen andere Leute dicke Bücher, in denen sie angewidert und aufgeregt gackernd feststellen, daß auch Polizisten bestechlich sein können.

Oder: Jemand braucht dringend einen Job, weil er pleite ist. Er fliegt nach Los Angeles und 'gibt beim Einstellungsgespräch beiläufig 'zu', daß er im Fulgzeug gegessen hat. "Sie essen im Flugzeug?" fragt die potentielle Arbeitgeberin und begreift (vermutlich als inneramerikanische Vielfliegerin), daß dem Mann geholfen werden muß. Und der Mann weiß, daß er es mit einer Auftraggeberin zu tun hat, die notfalls genauso tickt wie er. Und wieder ist nicht nur eine Situation lakonisch auf den Punkt gebracht, sondern es sind auch zwei Figuren nebst gegenseitigen Fangfragen und sonstigen Taktiken im Überlebensgeschäft charaktierisiert. Das ist das Ockhamsche Rasiermesser der Erzählkunst: Ballast weglassen, daraus eine komische Tugend machen und für die wirklich spannende Geschichte Zeit und Raum haben. Denn die wirklich spannende Geschichte, die Ross Thomas immer und immer wieder neu erzählt, weil sie wahrhaft universell ist, lautet: Wie überlebt man auf dieser Welt? Und wie überlebt man trotz allem so, daß man noch in den Spiegel schauen kann?

Der Einwand, all das seien letztlich literaturexterne Kategorien oder Kriterien, die nicht genuin 'ästhetisch' seien, kann argumentativ gegen die Romane von Ross Thomas nichts ausrichten. Er zeigt höchstens einmal mehr, auf welche engen und muffigen Eckchen sich hierzulande Konzepte und Programme von "Literatur" zurückgezogen haben. Man könnte nämlich Ross-Thomas-Romanen eine Chance sehen: Literatur muß nicht entweder ein Beförderungsmaschinchen für literaturtheoretische Diskurse oder elende Bestsellerei maschinenlesbarer Texte (von Pilcher, Grisham und deren deutsche Pendants nebst ihren ästhetische Null-Kriterien) sein. Tertium datur!

Ross Thomas mischt sich mit seinen Texten in die Realität ein. Nicht als moralische Instanz, auch nicht im Klüngel mit der Macht, sondern aufgrund seiner literarischen Überzeugungskraft. So etwas trägt auch zur politischen Kultur eines Landes bei.

Undenkbar, daß die Clinton-Administration gegen ihn so rüde vorgehen kann, wie es hiesige Politiker gerade an Günter Grass exerzieren, nur weil der gewagt hat, die Treuhand nicht als ganz toll und wunderbar zu bezeichnen. Ross Thomas' kühler Blick auf die politischen Verschiebungen, die enstehen, wenn eine andere Partei die Macht übernimmt, besagt ja nicht, daß diese neue Macht per se schlechter für das Land sein muß. Nur schützt er vor der Illusion, daß es sich bei Politik um ein eigeninteresseloses Spiel handelt, egal, unter welchen altruistischen Slogans auch immer sie antritt.

Es ist auch sicher so, daß seine Bücher keine unmittelbaren "Folgen" für die Realpolitik seines Landes haben. Aber die mit ästhetischen Mitteln hergestellte, bestechende Klarheit, mit der er über Politik redet und handelt, trägt dazu bei, Literatur als selbstverständlichen Teil von "Öffentlichkeit" zu verstehen. Oder, mit anderen Worten: Ihr einen selbstverständlichen "Sitz im Leben" zuzuweisen. Denn nur dann kann man mit Literatur so umgehen wie mit aller Kunst: Ohne Kontexte ist sie als soziale Praxis schlichtweg nicht vorstellbar.

Und wenn sie auch noch vor dem Hintergrund von demokratischen Tugenden wie Skepsis, Kritikfähigkeit, Analyse, Paranoia und Fundamentalopposition angesiedelt ist, dann rücken die Diskurstypen 'Politik' und 'Kunst' so eng zusammen, daß der eine den anderen nicht je nach Zwecklage als irrelevant in die Ecke schieben kann. Das ist manchmal unbequem. Aber schließlich soll Literatur auch unbequem sein. Umso mehr, jemehr mehr sie gelesen wird.

PS: Die deutsche Publikationsgeschichte von Ross Thomas ist ein Drama. Erst erschienen seine Bücher im Ullstein-Verlag, teilweise schauderhaft übersetzt, zusammengekürzt und in einem wenig kongenialen Kontext. Dann rutschte er im nämlichen, politisch nicht sehr sympathischen Haus vom Taschenbuch ins zu teure Hardcover, war aber schon so fatal positioniert, daß daraus ebenfalls kein Kapital an Aufmerksamkeit zu schlagen war. Auch gutgemeinte, aber unbedarfte Spiegel-Artikel konnten daran nichts ändern. Dann wurde er von Heyne übernommen, wo man es fertiggebracht hat, den Witz schon aus dem Titel von "Voodoo Ltd." zu streichen, in dem man das Buch "Voodoo & Co." genannt hat. Jetzt hat er bei Haffmans zumindest in Gisbert Haefs einen adäquaten Übersetzer gefunden. Eigentlich muß sein Gesamtwerk von Anfang an neu übersetzt und präsentiert werden, damit einer der weltweit höchstgeschätzten Autoren endlich auch hierzulande sichtbar wird.

© Thomas Wörtche, 1995
(Freitag)

Ross Thomas: Die im Dunkeln. (Ah, Treachery ! 1994). Deutsch von Gisbert Haefs. Zürich: Haffmans Verlag 1995, 298 Seiten

 

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