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In alle Ecken der Edinburgher Gesellschaft gucken

Thomas Wörtche über Ian Rankin und seinen Roman »Der kalte Hauch der Nacht«

 

Der kalte Hauch der Nacht Anno Domini 1707 knallte der junge James Douglas, Earl von Drumlarning, eines Abends völlig durch. Er schlachtete einen Küchenjungen, briet ihn am Spiess und fing an, ihn zu verzehren. So geschehen im Queensberry House zu Edinburgh, als dort der Unionsvertrag zwischen England und Schottland unterschrieben, also Grossbritannien gegründet ward. 1999, kurz vor den Wahlen zum schottischen Nationalparlament fällt in eben diesem Queensberry House wieder eine Leiche an. Die ist im Kamin eingemauert - und zwar, wie sich herausstellt, seit 1979. Damals war der erste Anlauf fehlgeschlagen, ein schottisches Parlament zu wählen.

So zieht der schottische Autor Ian Rankin mit einer historischen Anekdote einen komplizierten Mordfall auf, der Detective Inspector John Rebus und seinen Kollegen und -innen böses Kopfzerbrechen bereitet. Denn bei einer, schon etwas vergammelten Leiche bleibt es nicht, es gesellen sich noch ein paar ganz frische dazu. Die allerdings alle etwas mit den Ereignissen von 1707 und von 1979 zu tun haben. Aber natürlich nicht nach den üblichen Formeln von Krimis mit historischen Exkursionen. Denn Rankins Polizeiromane aus Schottland sind nicht irgendwelche Standardkrimis, sondern breit angelegte, sorgfältig komponierte, sorgfältig erzählte Chroniken aus dem Norden der Insel.

Angesichts der vielen beliebigen und geschwätzigen "Krimis", die ihre dümmlichen kleinen Plots und ihr mager entworfenes Personal hinter der Ambition "Gesellschaftschronik" verstecken, weil diese Ambition anscheinend Qualität suggeriert, ist solch ein Lob zunächst einmal Anlass zur Skepsis. Misstrauen ist in diesem Fall jedoch Fehl am Platz, denn Rankin beweist auch mit seinem elften Rebus-Roman (der als erst dritter auf Deutsch erscheint), dass Kriminalromane durchaus diese chronologischen und gesellschaftsromanhaften Qualitäten haben können.

In und für in Schottland hatte William McIlvanney der Weg mit seinem schmalen Werk schon vorgezeichnet, das man allerdings aus dem Würgegriff des Etiketts "noir" befreien muss, um diese anderen Bezüge zu sehen. Der Engländer John Harvey hatte ungefähr gleichzeitig mit Rankin, Ende der 1980er Jahre angefangen, Kriminalromane als breite gesellschaftliche Panoramen zu nutzen. Weil alle drei hervorragende Schriftsteller sind, darf man vermuten, dass sie es sind, die die Potentiale von Kriminalromanen bedeutend besser nutzen, als die psychologisierenden und ideologisierenden Belletristen, von denen, hat sich der Staub erst mal gelegt, wenig bleiben wird.

Dieses Programm funktioniert auch bei Rankin deswegen so gut, weil er den üblichen Sensationseffekten des Genres keinen Raum gibt. Schrille Brutalitäten, schockierende Massaker oder prätentiöse narrative Spielereien erspart er uns. Statt dessen bietet er genau beobachtet Polizeiarbeit (weil er damit in alle Ecken der Gesellschaft gucken kann) und Figuren jenseits von Klischess. Besonders beeindruckend in »Der kalte Hauch der Nacht« (ein unangemessen bombastischer deutscher Titel für »Set in Darkness«) ist das filigrane Psychogramm eines Karrieristen - Detective Inspector Derek Linford. Linford hat die unheimliche Eigenschaft, vorauseilend zu wissen, was seine Chefs von ihm hören möchten - und Rankins Porträt dieses Beamten wird auch deshalb zum Porträt eines zeitgenössischen Sozialcharakters, weil er sich jeder Karikierung enthält.

Rankin ist außerdem ein extrem kompetenter Kenner der Pop-Kultur. Das dringt aus allen Ritzen und Ecken des Romans, wo immer es um Musik und um ein paar schottischen Pop-Ikonen geht. Das macht den Text extrem vergnüglich - mit leicht nostalgischem Touch. Rankin ist 1960 geboren und so ist auch sein Geschmack. Dennoch entspringt das Konzept seiner Romane weniger der "populären Kultur" als seinem Ehrgeiz, herauszufinden, wie sein geliebtes Edinburgh tickt. Zwischen Politik, Wirtschaft, Organisiertem Verbrechen und Alltag. Im Roman wird ein Politiker ermordet, und während sich alle Welt auf dessen Privatleben stürzt (einem Topos neuerer Thriller zufolge), sind die Motive ganz wo anders zu suchen. Aber es gibt glücklicherweise John Rebus, den zu dicken, zu widerborstigen Zyniker, der zum Ärger seiner Bosse seinen Job brillant beherrscht.

Zu unserem Ärger allerdings fungiert er in der deutschen Fassung als "Inspektor". So etwas gibt es vielleicht bei Wasserwerken. Und auch die "Hauptkommissare", die durch Edinburgh rennen, hätten lieber ihre richtigen Polizeiränge behalten. Das aber sind Petitessen im Vergleich zur Drohung, dass Rebus bald in den Ruhestand treten könnte.

 

© Thomas Wörtche, 2000
(Die Woche, 2000)

 

Ian Rankin: Der kalte Hauch der Nacht. (Set in Darkness). Dt. von Christian Quatmann. München: Manhattan HC, 2001, 541 Seiten, 23.00 Euro (D)

 

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