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Von der subversiven Komik der verkehrten Welt

Thomas Wörtche über Harold Nebenzal und seinen Roman »Café Berlin«

 

Café Berlin Ian McEwan etwa oder Len Deighton und jetzt Harold Nebenzal haben das getan, was deutsche Schriftsteller beiderlei Geschlechts und von Rang (bisher) sorgfältig vermieden haben: Historische Romane über Berlin zu schreiben. Ich will nicht darüber nachgrübeln, warum das so ist. Es ist auf jeden Fall deutlich, daß alle genannten Autoren, indem sie eine Handlung in Berlin spielen ließen, auch über das Leben und Überleben in Europa geschrieben haben.

Überleben ist das große Thema von Harold Nebenzals Roman »Café Berlin«. Sein Protagonist, der sephardische Jude Daniel Saporta aus Damaskus, ist ein dermaßen kosmopolitischer Charakter, daß er in Deutschland nur im kosmopolitischen Berlin der 20er und frühen 30er Jahre vorstellbar ist. Ab 1933 wollten die Deutschen bekanntlich unter sich bleiben - und das zwingt im Roman selbst das Chämeleon Saporta während der 40er Jahre schließlich auf einen Dachboden. Heroismus findet nicht statt, und Saporta muß während der Zeit, in der er SS und Wehrmacht und Partei und fette Bonzen in seinem Nachtclub noch amüsiert, auch Menschen verraten und verkaufen, um seine Tarnung als Spanier (er nennt sich Salazar, of all names) nicht zu gefährden. Überleben ist kein schönes Geschäft.

Daniel Saporta ist eine Figur aus dem Kosmos von Eric Ambler, und »Café Berlin« ist der beste Eric-Ambler-Roman, seit Ambler selbst nicht mehr schreiben kann. Der moralische Status von Nebenzals Figuren ist, wie der bei Ambler, durchweg ambivalent - was nur heißt, es handelt sich um lebendige Wesen und keine papiernen Konstrukte. Der Status der Welt ist brüchig, unlogisch, an den Rändern ausgefranst, im Zentrum von Ideologien und Gewalt zerfressen: Daß die Nazi-Deutschen bei Nebenzal nicht gut wegkommen, ist klar (wie sollten sie?), aber der britische Agentenführer geht genauso kalt lächelnd über Leichen wie die serbischen Partisanen, zu denen es Saporta kurzfristig verschlägt. Es gibt keine "besseren" Menschen in Nebenzals Roman: Rassisten sind nicht unbedingt Sexisten und Antirassisten nicht unbedingt Nicht-Sexisten. Und umgekehrt. Und so weiter. Relativiert oder verniedlicht wird nichts, Beifall von der falschen Seite braucht Nebenzal nicht zu fürchten, denn die Koordinaten auf dem Millimeterpapier der "Werte" sind dauernd in Bewegung, sie oszillieren ständig. Nebenzal singt keine Hohen Lieder, auf niemanden. Und vice versa auch keine Haßgesänge.

Intellektuelle Souveränität, die sich nicht selbst den Blick verbaut, ist die (nie thematisierte) Basis von Nebenzals Erzählen. Gelungenes Erzählen hat wesentlich mit dem Blick des Erzählers zu tun, mit den unendlichen Nuancen, die aus einer Klischeefigur (zwielichtiger Nachtclubbesitzer) einen Menschen machen können, der interessant ist; aus einem Berliner Kleinganoven, den wir alle als Typus zu kennen glauben (weit gefehlt), wird eine plausible Existenz - hier geht Nebenzal sogar so weit, daß er diese Figur im Nebel des Ungewissen verschwinden läßt - , und Nazis können solidarische Arbeitskollegen sein. Klar, warum nicht: das macht Terror nicht harmloser. Und weil Nebenzal so facettenreich, so fein nuanciert erzählt, "stimmt" sein Entwurf von Berlin, wird die gnadenlose Gewalt deutlich, die seit '33 in der Stadt hängt wie Wolken aus Blei, wird das Programm der seelischen und menschlichen Verelendung sinnenfällig: Das Programm des Nachtclubs wird immer kärglicher; ein System ist nicht erst (und nur dann) böse, wenn es Bücher von Koryphäen verbrennt, es ist schon genau so widerwärtig, wenn es keine gute Unterhaltung mehr zuläßt. Und die vielen mosaikartigen Akte von "Widerstand", die von den offiziellen Widerstandsgeschichtsschreibungen jeglicher Couleur unsichtbar gemacht werden, blühen, ganz wie in der Wirklichkeit, bei Nebenzal im "Milieu", das per definitionem gegen Totalitarismus immun und von diesem auch nicht wirklich kleinzukriegen ist.

Ein anderer Aspekt von »Café Berlin« sind die geographischen (und damit politischen und kulturellen) Netzwerke, die zusammen mit den Juden von den Deutschen vernichtet worden sind. Daniel Saporta kommt aus Damaskus, Vorderasien ist ihm so vertraut wie Spanien, die USA, England, Lateinamerika oder Nordafrika, überallhin erstrecken sich seine Verbindungen, ein prächtig funktionierendes Geflecht, das durch den nationalistischen Größenwahn, durch das Geschwätz von nationalen Identitäten bedroht und zerstört wird. Wie man sieht, ist »Café Berlin« auch ein aktueller Roman, aber das sind gute historische Romane immer.

Das Narrative eben, das in der deutschen Nachkriegsliteratur nie dominiert hat, hat die Möglichkeiten, komplexe Muster herzustellen und sinnlich greifbar zu machen, weil sein kommunikatives Potential Phänomene wie Politik, Psychologie und Geschichte einbinden kann. »Café Berlin« ist ein Plädoyer für die Möglichkeiten urbanen Lebens, für die Stadt, wo es keine Außenseiter gibt, weil potentiell ein jeder einer ist, wo die moralische Wertordnung nicht nach Sekundärtugenden verwaltet werden muß, auf daß überhaupt Tugend herrsche; »Café Berlin« ist auch eine Klage darüber, daß all das auf den Müll der Geschichte geflogen sein soll. Und weil das Narrative mit seinem Publikum kommunizieren will, ist Nebenzals Buch ein komisches Buch. Ein Jude, der "zuhause" zum Amüsement der SS einen Nachtklub führt und auf Reisen SS-Leute eisenbahnzügeweise umbringt; ein Jude, der von jüdischen Spießbürgern (durchaus alle keine lieben Engelchen wie die unseres fatalen Philosemitismus) traktiert wird und mit einem Nazi der ersten Stunde brüderlich sein Frühstücksbrot teilt - darin liegt die subversive Komik der verkehrten Welt. Lustig ist das nicht unbedingt, komisch aber schon, weil es etwas von dem Irrwitz sichtbar macht, der nur dann sichtbar wird, wenn jemand ganz genau und ohne verkleisterte Perspektive hinsieht. Ein Irrwitz, der jede geschichtsphilosophische Teleologie bedroht, weil er Teil der Conditio Humana ist und vermutlich immer existiert hat und existieren wird. Das wiederum hat mit dem Thema des Buches engstens zu tun: Denn Überleben funktioniert weder ohne Witz und Chuzpe, noch ohne ganz genaues Hinsehen, noch ohne die Fähigkeit, im Grausigsten noch etwas anderes zu sehen und sich in tiefster Hoffnungslosigkeit noch eine Wurst schmecken zu lassen.

»Café Berlin« ist der Erstling von Harold Nebenzal, über den der Verlag nur kärgliche biographische Auskünfte gibt, die ein Pseudonym nicht ausschließen. Immerhin hat man sich mit Gertraude Krueger eine ganz vorzügliche Übersetzerin geleistet, die das Zeitkolorit auch in eine adäquate deutsche Sprache zu übertragen weiß.

Bisher hat nur der Amerikaner Alan Furst (mit seinen beiden Romane "Soldiers of the Night" und "Dark Star") ähnlich wie Nebenzal versucht, die erzählerischen Goldminen, die das Europa der 30er und 40er Jahre bietet, konsequent, stimmig und authentisch in Historische Romane umzusetzen: Mit dem Schuß Phantasmagorie, der durch Fiktionen die Realitäten wieder heraufbeschwören und zum Sprechen bringen kann.

© Thomas Wörtche, 1994
(Freitag)

 

Harold Nebenzal: Café Berlin (Cafe Berlin, 1992) Roman. Aus dem Amerikanischen von Gertraude Krueger. München: Heyne Taschenbuch Verlag, 1996, 349 S., 7.95 Euro (D)
(Die Rezension bezieht sich auf die gebundene Ausgabe Zürich: Haffmans Verlag, 1994)

 

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