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Schwarze Musik - funkenschlagende Literatur

Thomas Wörtche über Walter Mosley und seinen Roman »Black Betty«

 

Black Betty Ausgerechnet das sonnige Los Angeles ist der literarische Ort der Gegenentwürfe zum amerikanischen Traum. Los Angeles ist der Ort des Noir - seit den Zeiten von Horace McCoy, Raoul Whitfield, James M. Cain, Nathanael West und deren Folgen fürs Kino bis zu Ridley Scotts »Blade Runner« oder Friedkins »Live And Die in L.A.«. Raymond Chandler war ein besonderer Chronist der Stadt, denn in seinem Werk artikulierte sich auch eine gewisse Paranoia, die neben seinen oft kommentierten misoygnen und homophoben Zügen auffällt: Latinos, Asiaten und Schwarze gibt es bei Chandler nur derart am Rande, daß die Verdrängungsleistung beachtlich ist. Dabei hatte ein schwarzer Autor Anteil an dieser Tradition - Chester Himes 1945 bzw. 1947 mit zwei kapitalen Romans noirs - also im doppelten Sinn - über die Stadt der Engel: »If He Hollers Let Him Go« und »Lonely Crusade«.

1948, ein Jahr nach Chester Himes, setzt Walter Mosley seine schwarze Chronik von L.A. an: »Teufel in Blau« (die Verfilmung mit Denzel Washington in der Hauptrolle ist gerade bei uns in den Kinos) ist der erste Band einer auf neun Bücher konzipierten Serie über die Geschichte der schwarzen Bevölkerung von L.A., insbesondere von Watts, und gleichzeitig der Biographie von Mosleys Helden Ezekiel "Easy" Rawlins. Rawlins kommt aus Europa zurück, wo er in der Army gegen die Deutschen gekämpft hatte. Er gehörte zu einem der Truppenteile, die ein Konzentrationslager befreit hatten, was für Walter Mosley, dessen Mutter Jüdin ist, eine noch schärfere Akzentuierung der Diskrimierungsproblematik bedeutet. Easy Rawlins kennt zwar genug Weiße, sieht aber auch, daß im idyllischen Southern California, im Moloch Los Angeles sich die Fronten eines Krieges zwischen den Ethnien zu bilden beginnen. 1965 wird Watts brennen, 1992 South Central, und Clintons neue Sozialgesetzgebung zeichnet die nächsten Gewaltwellen schon unweigerlich vor.

Nach "Roter Tod" und "Der weiße Schmetterling" ist in Deutschland jetzt der vierte Band der Saga, »Black Betty« erschienen (in den USA der fünfte, »A little yellow dog«). Er spielt in der Anfangszeit des Präsidenten John F. Kennedy, also um 1961, als sich in den Südstaaten und anderswo die Bürgerrechtsbewegung schon energisch zu formieren beginnt, als sich die Wirtschaft ein wenig konsolidiert und als die neuen großen Immigrationsschübe aus Mexiko und Mittelamerika in Kalifornien eintreffen.

Mosleys konzeptuelles Gesamtwerk legt historisch geschickt und genau beobachtet die Spuren der Entwicklungen, die die Geschichte der Stadt in den nächsten Dekaden prägt: Das Immobiliengeschäft, das die gesamte Ökonomie Kaliforniens dominieren wird, die Stadtentwicklung, die zu disparaten Ghettos innerhalb und außerhalb anderer Ghettos und reichen Vierteln führen wird, und die Politik, die Geld, Macht und die tentativ rassistische Polizei von Los Angeles zu immer engeren Verstrickungen und zu einem letztlich untrennbaren, waffenstarrenden Konglomerat verknoten wird, wie es Mike Davis in seinem Buch »City of Quartz« für das Los Angeles von heute beschreibt. In »Black Betty« wird Easy Rawlins, der einst günstig an Immobilien herangekommen war, Opfer skrupelloser Spekulation und gerät, weil er immer mal wieder als Privatdetetiv ohne Lizenz arbeitet, zwischen die Fronten eines Verteilungskampfes innerhalb eines weißen Familienclans. Sowas endet für Schwarze immer übel. Mosley verteilt die Eigenschaften gut und böse grundsätzlich nie nach der Hautfarbe auf sein Personal, sondern arbeitet mit analytischer Schärfe und Deutlichkeit. Rassismus ist überall, seine Manifestationen zerstäuben sich in hunderttausend kleine und kleinste Splitter. Als Easy Rawlins mal wieder als "Boy" angeredet wird, ist klar, daß er unmißverständlich reagiert. Auch wenn er die weiße Dumpfbacke niederbrüllt und als verbaler Sieger den Schauplatz verläßt, bleibt doch die bittere Einsicht: "Hier in diesem Raum spielte sich ein winziges Stück Geschichte ab, über das nie berichtet werden würde".

Das Zitat steht auch für Mosleys Methode. Hunderte solcher Geschichten verknüpfen die Romane zu einem großen, panoramischen Mosaik. Von Buch zu Buch kommt mehr Personal in ihrem zerfransten Universum zusammen: Wir interessieren uns beinahe mehr als für die jeweilige Handlung für das weitere Schicksal von Rawlins' Freund Raymond "Mouse" Alexander, der zwar ein bösartigen Killer, aber der beste Freund des Helden ist, für Mofass, den schwitzigen Verwalter der Rawlinsschen Immobilien, für Etta Mae und ihre Kinder, für Jackson Blue, den feigsten und miesesten Dealer der Stadt, für Easys Pflegekinder und so weiter.

Mit der üblichen Lesehilfe "Kriminalroman" kommt man bei Mosleys Projekt nicht weiter. Das Fatalste, was man ihm antun kann, ist der unangemessene Vergleich mit Chandler. Mosley romantisiert nicht. Sein ästhetisches Programm lehnt sich an die schwarze Musik, an Jazz, Blues und Rhythm & Blues an, er schlägt Funken aus den verschiedenen Sprachebenen und -gesten, die logischerweise aufeinanderprallen und bedauerlicherweise in den Übersetzungen kaum sichtbar werden. Rhythmus strukturiert die Texte. Man müßte im Grunde die Romane von Mosley selbst vorgelesen bekommen, um ihren Anteil von "Oral History" zu verstehen.

Bill Clinton hat im Wahlkampf '92 Mosley zu seinem "Lieblingsautor" ernannt, ein blöder Trick, der allzu taktisch nach den schwarzen Wählern schielte (für die alten "Lefties" z.B.schmückte Clintons sich mit Ross Thomas), was Mosley zwar eine Menge kurzlebiger Prominenz einbrachte, bei dem zu der Zeit enstandenen »Weißen Schmetterling« aber zu einem deutlichen Qualitätseinbruch führte. Das Getöse ist inzwischen abgeklungen, für »Black Betty« ein Segen.

© Thomas Wörtche, 1996
(Wochenpost)

 

Walter Mosley: Black Betty (Black Betty, 1994). Roman. Deutsch von Dietlind Kaiser. München: Albrecht Knaus 1996. 352 Seiten, DM 39.80

 

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