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Eine verzweifelt komische Bestandsaufnahme des Alltags

Thomas Wörtche über Milena Moser und ihren Roman »Mein Vater und andere Betrüger«

 

Mein Vater und andere Betrüger Milena Moser ist in der deutschsprachigen Literaturlandschaft so etwas wie ein Solitär. Keins ihres Bücher paßt in die Schubladen, die die Literaturverwalter zur Zeit im Angebot haben. Also auch nicht ihr neuer Roman "Mein Vater und andere Betrüger".

Die Schriftstellerin aus Zürich ist nicht das "Bad Girl der Frauenliteratur", wie ihr Verlag sie anscheinend gern präsentieren möchte; schon aus dem einfachen Grund nicht, daß sie weder ein Girlie ist noch so etwas wie "Frauenliteratur" - was immer das sein mag - schreibt. Genauso wenig hat sie mit der weihevollen Literatur-Literatur der Preise und Stipendien und des gehobenen Feuilletons zu tun. Milena Moser hat viele Leser, das macht mißtrauisch. Sie hat keine literaturbetriebliche Lobby, das macht unabhängig. Sie sitzt also, zumal in der Schweiz, zwischen allen Stühlen. Das, vermutlich, macht umso kreativer.

Paradoxerweise sind es zunächst ihre Themen, die Milena Mosers Texte so sperrig und kategorienverweigernd erscheinen lassen. Paradox, denn es sind Themen, die wir alle nur zu gut kennen: Beziehungskämpfe, die Frustrationen des Alltags (Haushalt & Reproduktion), die banalen Qualen des Erwachenwerdens und -seins, schnödes Geldverdienen, die kleinen spießigen Freuden und Bosheiten des Lebens und auch der ganze leise, aber massive Horror der sogenannten Normalität. Für Intellektuelle jeglichen Geschlechts scheint all das entweder nur etwas zu sein, das man bei anderen mit exotischem Amüsement zu Kenntnis nimmt, oder etwas, das nur bei außergewöhnlichen Menschen zu außergewöhnlichen psychischen Dispositionen führt, und nur dann - entsprechend erhöht, symbolisiert oder sonstwie "diskurstheoretisch" zubereitet - Gegenstand von Literatur sein darf.

Eine fatale, geistesgeschichtliche Konsequenz der deutschsprachigen Literatur, die als Alternative zur sublimierten Behandlung 'niederer' Themen sonst nur platten, öden, gar sozialistischen Realismus resp. Naturalismus zugelassen hat?

Angelsachsien hat es da besser. Autorinnen wie Charlotte Armstrong oder Constance Lindsay Taylor alias Guy Cullingford sowie eine beeindruckende Reihe anderer Schriftsteller jeglichen Geschlechts haben eine starke literarische Tradition geschaffen, die "Alltag" mit höchster Raffinesse künstlerisch be- und verarbeiten kann, ohne ihn borniert erhöhen, leugnen, kurz: metafüsilieren zu müssen. Da ist dann Platz für den präzise gesetzten Schock, für den genauen, tödlich scharfen Blick, für die Überzeichnung, die Realität auf literarischem Weg erst herstellt, ohne den Realien ihre Dignität zu nehmen. Wenn Milena Moser überhaupt in einer Tradition steht, dann in dieser.

Man kann das an ihrem dritten Roman sehr schön sehen. "Mein Vater und andere Betrüger" ist die Geschichte einer vierzehneinhalbjährigen Tochter, die nach und nach kapieren muß, daß ihr über alles geliebter Vater (die Mutter landet während der Handlung in der Psychiatrie) nicht nur ein charmanter, liebevoller Mensch ist, sondern auch Bi-, gar Polygamist, Betrüger und Räuber. Er ist ein Hasardeur, ein zynischer Äquilibrist, der mit menschlichen Beziehungen jongliert wie mit bunten Bällchen und letztendlich aus dem Tritt gerät. Milena Moser entwickelt diese Story zunächst still und leise: Eine Ehe zerbricht, die Gattin und Kindsmutter läuft weg, der Vater versucht, sich bei der Tochter beliebt zu machen. So weit, so banal, so schon tausendmal dagewesen, im Leben wie in literaricis.

Beinahe unmerklich legt Moser dann ihre kleinen Sprengfallen. Es stimmt alles nicht so richtig. Vater hat zuviel Geld, Vater muß immer öfter irgendwo ganz spontan ganz schnell abreisen, Vater kennt merkwürdige Leute, Vater verlobt sich en passant. Alles nicht dramatisch. Alles ganz kompatibel. Oder?

Milena Mosers Erzählperspektive, der Point-of-View des Mädchens ist für solche Vieldeutigkeiten und Schrägheiten ideal: Sie registriert scharf und detailgenau, die Schlüsse jedoch sind, dem Lebensalter der Heldin Charlotte gemäß, noch vage, ambigue, von Illusionen und Wünschen durchkreuzt. Die Schraube wird weiter angezogen: Charlotte hat plötzlich eine Halbschwester, zu der ist der gemeinsame Vater genauso liebevoll und charmant. Allerdings, so muß Charlotte verletzt feststellen, wirft er allmählich die Biographien seiner Töchter durcheinander. Die Demontage des Vaterbildes nimmt ihren immer groteskeren Lauf. Und als Papi dann endlich auffliegt und hinter Gefängnismauern verschwindet, ist er so monströs geworden, daß er am Ende, nach etlichen Rettungsversuchen seitens seiner Töchter, gar nicht mehr besonders interessant ist. Charlotte fängt an, ihr eigenes Leben zu leben.

Es würde den Roman jedoch reduzieren, wenn man sich nur auf die Handlung kaprizierte. Das Vergnügen bei der Lektüre stellt sich durch Milena Mosers Kunst ein, über 250 Seiten lang eine Vierzehnjährige klug und altklug, intelligent und witzig, verträumt und zynisch, kitschig und banal, verblasen und scharf kalkuliert reden zu lassen. Manchmal auch plappern, und manchmal nerven. Und all das, ohne durch die Verwendung einer vermeintlichen "Jugendsprache" falsche Authentizität zu heucheln.

Alles, was in dem Roman wichtig und erhaben und allzu erwachsen daherkommt oder sich aufplustert, ob als "Agent", "Schriftstellerin", "Anwalt" oder jugendlicher Liebhaber, wird durch die kalte Präzision von Mosers Pointen der verheerenden Lächerlichkeit preisgegeben: "Bald darauf war Regina verschwunden. Ihre Eltern ließen sich scheiden, und Regina zog in die Innerschweiz, wo ihre Mutter eine Yogaschule eröffnete" - das Ende einer Mädchenfeindschaft und ein grauenhafter soziologischer Befund.

"Mein Vater und andere Betrüger" ist in einem gewissen Sinn ein sehr subversiver Roman. Nicht nur, weil er sich nicht an die Konventionen hält, die 'subversive Literatur' gemeinhin ausmachen. Er kommt im Gegenteil sehr konventionell daher, und Charlotte ist folgerichtig ein sehr konventionelles Mädchen, dem Ordnung über alles geht. Die Subversion liegt darin, daß alle möglichen, schicken und ach so tabubrechenden Nonkonformismen (das schnelle abgezockte Geld, Vielweiberei und Beziehungsfrivolitäten), die modischen, weil billigen Manien der "Selbstverwirklichung" und ähnlicher egomaner Fidelwipp auf ihre Substanz, nämlich ihre soziale Tauglichkeit hin geprüft werden. Das Ergebnis, das sei deutlich unterstrichen, ist kein neokonservativer Puritanismus oder etwa 'neue Spießigkeit', sondern eine komische, manchmal verzweifelt komische Bestandsaufnahme des Alltags und des zwischenmenschlichen Umgangs in den mittleren 90er Jahren.

© Thomas Wörtche, 1996
(Freitag)

 

Milena Moser: Mein Vater und andere Betrüger. Roman. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1998, 250 S., 7.50 Euro (D)
(Die Besprechung bezieht sich auf die Hardcover-Ausgabe Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1996)

 

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