legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Reale Killer und literarische Nachfolgetäter

Thomas Wörtche über Eoin McNamee und seinen Roman »Belfaster Auferstehung«

 

Eoin McNamee läßt in seinem Romanerstling "Belfaster Auferstehung" einen Serial Killer durch die titelgebende Stadt ziehen. Ein Gewalttäter im Meer der Gewalt. Victor Kelly, so heißt McNamees Unhold, mordet sozusagen offiziell und mit Legitimation. In Belfast herrscht Krieg, Kelly killt für die Protestanten, der britische Geheimdienst, so dürfen wir vermuten, deckt seine Untaten aus dem Hintergrund. Bis Kelly aus dem Ruder läuft, seine Bluttaten immer bizarrer werden und er nicht mehr ins politische Konzept paßt. Dann wird er 'abgeräumt'.

Ein Psychopath, der aus privaten Gründen mordet und dessen einzelne Taten in der schieren Masse des Mordens untergehen - das war auch das Thema von Pavel Kohouts gleichzeitig, nämlich 1994, erschienenem Roman "Sternstunde der Mörder". Die Analogien der beiden Bücher sind mehr als erstaunlich, denn sie befassen sich mit dem Phänomen des "Serial Killers" aus einer anderen als der damals üblichen Perspektive.

Die Welle der resp. Romane und Filme tat ja jahrelang so, als wären Massenmörder ein nagelneues Phänomen des Popzeitalters (und verdrängte dabei, daß Massenmord von ganzen Nationen systematisch betrieben werden kann) und, mehr noch, als spielten sie in der Kriminalstatistik eine entscheidende Rolle. Die "kritischen" Medien griffen das Thema im Zuge der allgemeinen Hysterisierung und Angstmache der letzten Jahre (die, siehe die Innenpolitik sowohl der USA wie auch der BRD, klar definierte machtpolitische Interessen hat) auf. Flinke Interpreten erkoren den Serial Killer flugs zur Pop-Ikone, weil er angeblich so herrlich antisozial agiert und, man traut es sich kaum zu reproduzieren, so schick 'Tabus bricht'.

Die wenigen Romane, die sich aus anderen als kommerziellen Gründen mit Soziopathen aller Schattierungen befaßten, stießen alsbald auf Probleme der literarischen Darstellbarkeit und Inszenierung des Themas: Joseph Wambaughs "Echoes in the Darkness" und Derek Raymonds "Dead Man Upright" stellten letztendlich resigniert die Grenzen der "Narration" fest: Bei Wambaugh verwandelt sich der Soziopath in Stapel von verblaßten Akten, bei Derek Raymond rennt sich die Erzählung in psychiatrischen Befunden fest. Andreu Martíns Roman "El hombre de la navaja" schließlich löst den Killer auf in der Vergeblichkeit verschiedener medialer Zugriffe. Expertenstreit, Talkshow, Polizeiarbeit, Romane - ihr Gegenstand wird immer unklarer, verschwommener, womöglich erst durch die Medien erschaffen. Reale Killer und literarische Nachfolgetäter, irgendwo werden sie letztlich inkompatibel und dienen, wie in Robert Littells Roman "The Visiting Professor" höchstens noch als Aufhänger für schwarzhumorigen Scherz & Frohsinn.

McNamees Roman nun reflektiert den Umstand, daß die Ausübung von Gewalt immer Ausübung von Macht ist. Victor Kelly hat Macht über das Leben anderer Menschen, solange er sich den Zielen und Zwecken einer bestimmten politischer Macht unterordnet. Sein eigenes Vergnügen, seine Lust am Töten, deren Genese McNamee durch die üblichen biographischen Muster (Kindheit, Religion, Politik etc.) zu beschreiben versucht, sind nur läppische, jederzeit instrumentalisierbare Triebchen. Kelly selbst möchte sie gerne durch metaphysisches Geschwafel oder durch Anlehnung an filmische Vorbilder nobilitieren, möchte dem winzigen Zipfelchen Macht, das er im Akt des Killens hat, Substanz und Tiefe geben. Aber wo nichts ist außer banaler Brutalität, ist auch nichts zu simulieren. Kellys Sozialität, seine Beziehung zu Frauen, zu seinen Kumpanen, hängt schlicht an der Macht, die ihm die politischen Zustände verleihen, auch wenn er versucht, durch stilisiertes, ästhetisiertes Auftreten und Verhalten etwas anderes vorzugaukeln. Kelly ist kein Monstrum (die letzte, exotische Exkulpation, die von Serial-Killer-Konfektion oft bemüht wird), er ist eine erbärmliche Marionette.

"Belfaster Auferstehung" - ein eher mißlungener deutscher Titel für "Resurrection Man", ist nicht unbedingt ein Roman über Belfast. Zwar ist die politische Topographie von Belfast wichtig, die Atmosphäre aus Terror und Gewalt, die McNamee mit großer Könnerschaft zeichnet. Wichtiger aber ist die psychische Disposition seiner Figuren, das Leben im fahlen Licht von Mord, Unsicherheit und Angst. Ryan und Coppinger, zwei Journalisten z.B., zeichnet McNamee vor allem als Spiegel und Reflex der inneren Verfaßtheit der Stadt. Sie tappen ratlos umher, ihre Arbeit wird von unscharf definierten Mächten blockiert, sie werden eher manipuliert, als daß sie Manipulationen aufdecken könnten. Coppinger raucht und säuft sich zu Tode, und Ryan kommt immer zu spät und kann nur abscheuliche Überreste von Kellys Metzeleien einsammeln. Der Roman könnte überall dort spielen, wo das Morden zum Alltag gehört, wo es einem machtpolitischen Kalkül gehorcht - in Sarajewo oder in Grosny oder wo auch immer.

"Belfaster Auferstehung" ist, nicht zuletzt wegen seiner universellen Lesbarkeit, kein Buch, das in irgendwelche Genre-Schubladen gehört. Es ist auch kein politisches Pamphlet, das für irgendeine Seite explizit Stellung nimmt, und kein Kommentar zum "Sonderfall Nordirland". Es ist ein Buch über Macht und die verschiedenen Masken der Macht. Dem Auferstehungs-Mann gelingt es für kurze Zeit, sich die Maske eines Mythos umzuhängen. Sein Ende ist banal. Dem Medien-Zirkus mag es gelungen sein, Serial-Killern kurzfristig die Maske eines Mythos aufzusetzen. Bücher wie "Resurrection Man" sind in der Lage, all solchen Maskeraden ein banales Ende zu bereiten. Übrig bleibt etwas sehr Ekliges.

© Thomas Wörtche, 1996
(Freitag)

 

Eoin McNamee: Belfaster Auferstehung. (Resurrection Man, 1994) Roman. Dt. von Hans-Christian Oeser. Hamburg: Rotbuch Verlag. 275 Seiten, DM 38.-

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen