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Langweiler langweilen, ungeachtet ihrer Disposition

Thomas Wörtche über Patricia Highsmith und ihren letzten Roman »Small g - eine Sommeridylle«

 

Small g - eine Sommeridylle Gerne hätte ich den letzten Roman von Patricia Highsmith gefeiert, als eine Art Hommage auf eine querköpfige, eigenartige Schrifstellerin, deren Problem höchstens war, zumindest in Europa überschätzt zu sein. Ein mißlungenes Buch am Ende eines Lebens kann in keiner Weise das Gesamtwerk beschädigen, das uns neben einigen brillanten Kurzgeschichten (»Der Schneckenforscher« zum Beispiel), einigen nicht-kategorisierbaren Romanen (»Das Zittern des Fälschers«) unser aller Lieblingsmörder, den charmanten und talentierten Mr. Ripley beschert hat. Eine "Psycho-", gar "Thriller"-Autorin war sie sowieso nie; dazu wurde sie von Leuten ernannt, die zuwenig gelesen haben, um auf diesem Feld urteilen zu können.

Patricia Highsmith war die Analytikerin der middle class, allerdings die misanthrope Analytikerin mit dem bösen Blick, die sich um die ideologischen Scheuklappen des zwischengeschlechtlichen Diskurses eine feuchten Kehricht geschert hat. Die besseren Menschen fanden bei ihr nicht statt - es waren weder die Frauen, noch die Außenseiter, die Schwulen und Lesben wie sie selbst. Die Männer schon gar nicht. Bei der Highsmith herrschte Demokratie im Reich der kuschelweichen Niedertracht. Für die ästhetische Formulierung des Terrors der netten Menschen hatte sie ihre eigene Form gefunden - Romane und Erzählungen, die ihre Themen unabhängig von der konventionalisierten Grammatik des überkommenen Thrillers beklemmend genau artikulieren konnten. In dieser Entgrenzung, die sie gleichzeitig mit einer Reihe anderer Autoren und Autorinnen betrieben hatte, liegt ihr historischer Verdienst.

Umso betrüblicher ist, daß der Roman ">Small g< eine Sommeridylle" in die Reihe ihrer schwachen und gescheiterten Bücher gehört. Zumal er auch noch erstmals explizit schwule und lesbische Protagonisten hat (das hatte sich Patricia Highsmith nur in einem einzigen anderen Buch unter Pseudonym gestattet). Mit dem Stoff hat das Scheitern nichts zu tun. Small g wird das Zürcher Wirtshaus "Jakobs Bierstube" genannt, in dem sich, wie das kleine g im Restaurantführer andeutet, eine gemischte Klientel aus Heteros, Lesben und Schwulen regelmäßig zu gutem Essen für vernünftige Preise trifft. Unter den Stammgästen der Werbegraphiker Rickie (schwul), das junge Landei Luisa (bi), ihre Chefin Renate (homophob), die Dekorateurin Dorrie (lesbisch), der Schüler und Jungjournalist Teddie (hetero) und der geistig behinderte Willi nebst einigen mehr oder minder wichtigen Randfiguren.

Luisa ist die Zentralfigur, auf die sich die diversen Begehrlichkeiten (plus Variationen) konzentrieren. Eine solche Konstellation kann nicht nur bei Patricia Highsmith tödlich enden. Es kommt, wie es kommen muß: eine der Personen findet ein vorzeitiges Ende. Bis es schließlich soweit ist, haben wir uns allerdings tödlich gelangweilt. Erstens, weil es völlig klar ist, wer "wegkommt", und zweitens, weil die Autorin uns die Wartezeit nicht mit geschickter, gar spannender Dramaturgie verkürzt. Auch nicht mit interessanten Figuren. Es mag zwar ihre durchaus sympathische Absicht gewesen sein, zu zeigen, daß Schwule und Lesben keine schrillen und partout sensationellen Menschen zu sein brauchen, um interessante Romanfiguren abzugeben, aber Langweiler langweilen eben, ungeachtet ihrer jeweiligen Disposition.

Erschwerend kommt noch hinzu, daß ihr Luisa, das heiter-naive Landei, völlig danebengeraten ist. Sie soll aus der finstersten Innerschweiz kommen, dort unter bedrückenden Verhältnissen gelebt haben (u.a. vom Stiefvater als Kind geschändet) und wird uns jetzt als vertrauenseliges, naives, bis zur Schmerzgrenze nettes Ding präsentiert, das nächtens alleine zu fremden Männern (schwul hin, schwul her) in die Wohnung geht. Oder Rickie: Der ist HIV-positiv. Hat ihm sein Hausarzt mitgeteilt; aber -harfharfharf - das war nur ein Scherz, auf daß Rickie immer sehr schön ein Kondom anlegt. Einen höhnischen Akzent, eine versöhnliche Pointe freilich sucht man vergebens. Ganz zu schweigen von anderen Details, von denen realistisches Erzählen nun mal abhängt (und der Roman läßt keine andere Lesart zu als eine "realistische"). Patricia Highsmith hat sich dafür eingestandenermaßen nie sonderlich interessiert, aber so hanebüchen wie sich hier die Schweizer Polizei aufführt, agieren noch nicht einmal Derrick & Co.

Aber selbst darüber würde man hinwegsehen, wenn ">Small g< eine Sommeridylle" wenigstens die erkenntnisfördernden Tropfen Vitriol hätte, die auch die kunsthandwerklichsten Bücher von Patricia Highsmith so gerade noch erträglich machten. Davon ist hier nichts zu spüren. Sie scheint ihren bösen Blick in den Ruhestand verabschiedet zu haben; die Möglichkeiten, die ihre Figurenkonstellation bieten, bleiben ungenutzt. Ungenutzt auch für jede Art von Witz und Komik, für die sie sonst durchaus einen grimmigen Blick hatte. Deswegen, und weil sie ihre Figuren nicht durch ihre Sprache zu charakterisieren weiß und einzelne Szenen ohne Dramaturgie aneinanderhängt, muß sie sich ihrer unwürdiger Mittel bedienen: "... sagte Dorrie lachend"; "... sagte Teddie offen" - und so grausam weiter.

Überhaupt die Dramaturgie, die Ökonomie des Erzählens. Man hat manchmal den Eindruck, der Roman sei noch gar nicht richtig ausgearbeitet, er sei noch im Stadium einer Materialsammlung, einer Skizze oder unter Zeitdruck geschrieben (was plausibel wäre, aber da beginnt dann die Verantwortung des Verlegers), so lasch und lustlos sind die Szenen aneinandergereiht, so öde und ermüdend die und-dann-Struktur, so gleichförmig die Dialoge und die Stimmungslage, so kunstlos der Aufbau des Buches (das erste Kapitel, eine Art Vorspiel, ohne wichtigeren Zusammenhang mit der Haupthandlung, ist ein kompositorisches Debakel), daß man einen siebtklassigen Debütanten dahinter vermuten möchte, aber nie und nimmer eine Großmeisterin des konzentrierten Erzählens.

Ein letztes Wort noch zur "Sommeridylle". Ein mißlungener Titel, weil sich die Handlung, nimmt man die Zeitstruktur ernst, weit bis in den Herbst hinziehen müßte, und weil "Idylle" für das graue, strukturlose Einerlei, das Patricia Highsmith ausbreitet, höchstens ironisch, ja sarkastisch zu verstehen wäre und nur dann Sinn machte. Aber von Brechungen, Pointen oder Irritationen finden sich eben im ganzen Roman nicht die geringsten Spuren. Außerdem heißt das letzte Wort des Buches "glücklich", und alles weist darauf hin, daß die Autorin es auch so meint. Die Eintönigkeit des Lebens, das sich um ein Zürcher Wirtshaus gruppiert, als Glück auszugeben, das freilich wäre die letzte und in der Tat tiefschwarze Pointe einer absoluten Misanthropin und könnte das Buch in allerletzter Sekunde noch retten. Aber angesichts aller anderen Schwächen ist das leider ein frommer Wunsch.

© Thomas Wörtche, 1995
(Frankfurter Rundschau, September 1995)

 

Patricia Highsmith: >Small g< eine Sommeridylle. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christiane Buchner. Zürich: Diogenes 1995. 422 Seiten, DM 39.-

 

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