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Eine Zeit in Schwarz-Weiß

Thomas Wörtche über David Grands Roman »Körperfluchten«

 

Körperfluchten Die Kluft zwischen ernsthafter, sinnvoller Kriminalliteratur und irgendwelchen zu Bestsellern aufgeblasenen Pseudothrillern wird immer unbehaglicher. Unbehaglich deshalb, weil sich das Schisma zwischen "seriöser" und Genre-Literatur auf dem Feld der Genres zu wiederholen scheint. Mit der verwirrenden Verschiebung allerdings, dass die avancierteren Texte der Kriminalliteratur das Terrain der "seriösen" Literatur besetzt haben, ohne ihre Genrezugehörigkeit zu verleugnen. Dazu gehören, wohl gemerkt, Texte nicht, die nur auf die vermeintliche Popularität des Genres schielen, deren tatsächliche Intentionen und meist missglückte Gestalt aber das Genre im Grunde verachten.

Glücklicherweise vermeidet David Grand mit seinem zweiten Roman »Körperfluchten« genau diese Falle. »Körperfluchten« ist ein echter roman noir in Gestalt eines period piece. Es ist ein in konzentrierter Prosa (soweit man das aus der Übersetzung sehen kann) verfasster, komplex gemachter Roman voller überraschender Wendungen und Twists, plausibler Intrigen, interessanter Figuren und sehr dichter Atmosphäre.

Zeit der Handlung sind die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts: die Prohibition ist aufgehoben, der Zweite Weltkrieg droht am Horizont, die ideologische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus nimmt erste hysterische Züge an; die große Depression steckt in den Knochen der Menschen, die Gewerkschaften sollen domestiziert werden und das organisierte Verbrechen baut sich nach dem Verlust des Alkoholgeschäftes allmählich neue Tätigkeitsfelder auf und verflicht sich noch enger mit der offiziellen Politik als bisher. Jenseits dieser Fakten, die allesamt in Grands Roman für die Handlung eine entscheidende Rolle spielen, ist diese Zeit jedoch ungemein bildmächtig: Wir kennen sie aus Hunderten von Filmen, oft B-Movies, aus Comics und aus Büchern über B-Movies und Comics dieser Zeit.

Es ist eine Zeit in Schwarz-Weiß; und Grand arrangiert sie in sparsamen Farben und entschieden graustichig neu. Zwei Schläger, die durch die Geschichte wandern, heißen denn auch einfach "die grauen Männer", und Kontrapunkte setzt höchstens die Farbe rot: "Freddy ging durch einen Hauseingang, dessen Tür von einem Stuhl aufgehalten wurde. Sofort stieg ihm der Geruch von Pastrami und Corned Beef in die Nase. Er ging einen schmalen Flur entlang und durch die Küche hindurch, vorbei an einem mit Blut gefüllten Spülbecken und einem Hackklotz, auf dem Rinderzungen lagen. Er betrat ein mit rotem Samt ausgekleidetes Hinterzimmer, in dem drei Tische mit karierten Decken standen. Das Zimmer war leer. Ein Tisch war gedeckt." Atmosphäre als Tableau, das ist eine Methode Grands, die nahe an der anderen liegt, die er zum Thema eines eigenen Abschnitts macht: die Fotografie.

Auf einem alten, im Park arrangierten Foto aus vergangenen Zeiten sind zwei der Hauptpersonen des Buches zu sehen, andere gehen zufällig an der Foto-Session vorbei oder sind anderweitig damit verbunden. Und ans Ende des Buches setzt Grand einen längeren Diskurs über den russischen Maler Rodhinsky, dessen Hyperrealismus von den Sowjets zum Sozialistischen Realismus umgedeutet wurde und der dann schließlich seine Bildwelten dissoziierte und von den Machthabern in den Selbstmord getrieben wurde. Brutale Morde werden von Kameras festgehalten und extra für die Kamera als Hinrichtungen arrangiert. Kein Zweifel also - »Körperfluchten« hat als Subtext die Vermitteltheit von Wahrnehmung durch breitenwirksame Bild-Inszenierungen.

Die Geschichte, die der Roman uns erzählt, spielt in einer fiktiven amerikanischen Stadt, die durch einen Fluss von der großen Metropolis getrennt ist. Grand bedient sich dabei topischer expressionistischer Stadtschilderungen wie der des Molochs mit schwarzem Qualm und hohen Schornsteinen und einem vereisten Fluss. Die Geschichte selbst ist die Geschichte einer Rache und einer politischen Intrige. Die Rache inszeniert der Privatdetektiv Benny Rudolph, um seinen Kumpel Victor Ribe zu rehabilitieren, der zu Unrecht wegen Mordes im Gefängnis gesessen hat, weil er zufällig als Sündenbock in die politische Schlacht zwischen dem proletarischen Senatoren-Kandidaten Harry Shortz und dem mit Großverbrechen und Großpolitik verbandelten Lawrence Tines gerät. Benny Rudolph räuchert, ganz in der Tradition von Dashiells Hammets Continental Op, die Stadt aus, nur um selbst einer noch größeren Intrige zum Opfer zu fallen, bei der es darum geht, einer Munitionsfabrik im Interesse "der nationalen Sicherheit" größtmögliche Standortvorteile zu verschaffen.

Die Figuren des Romans wie Benny Rudolph, Victor Ribe, Harry Shortz, der erbärmliche kleine Bürowurm Freddy Stillman, die kunstsinnige und teilweise verbrecherische Familie Brilovsky, der Rodhinsky-Experte Tarkhov, der am Ende als Sündenbock herhalten muss - sie alle haben ihre seelische Wunden und Deformationen während der Ursünde des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg abbekommen. Auch deswegen ist Grands Roman so bemerkenswert. Er zieht die historische Perspektive nach vorne. Er macht die epochale Bedeutung des Ersten Weltkriegs stark, die wir in unseren Debatten um den Zweiten Weltkrieg gerne vergessen und bleibt sozusagen im Bild: Denn aus diesem - ersten - industriellen Töten leiten sich die Konstellationen ab, die uns heute noch Ärger machen. Die Verwischung von organisierter Kriminalität und Politik zum Beispiel, die ideologische Auseinandersetzungen zur bloßen Camouflage wirtschaftlicher Interessen macht; der qualitative Sprung, den der Erste Weltkrieg auch für den literarischen und künstlerischen Umgang mit Gewalt und Tod bedeutete, steckt genauso als Thema in Grands Roman wie das Anbrechen des Jahrhunderts der Bilder, das folgerichtig die Grundinszenierung des Romans begründet.

Wie gesagt: »Körperfluchten« ist ein raffiniert erzählter und überaus spannender roman noir. Seine im guten Sinn tiefen Dimensionen, seine Auslegbarkeit, seine Implikationen sind konstitutiv wichtig für das Buch, überwölben aber seine Genrehaftigkeit keine Sekunde. Das macht den Roman so großartig.

 

© Thomas Wörtche, 2003
(Freitag, 10.10.2003)

 

David Grand: Körperfluchten. (The Disappearing Body, 2002) Roman. Aus dem Amerikanischen von Ralf Chudoba. Köln: Tropen Verlag, 2003, 432 S., 21,80 Euro (D).

 

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