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Detektive heißen nun mal Flanagan

Thomas Wörtche über Andreu Martíns und Jaume Riberas Detektviromane für Jugendliche

 

Andreu Martín ist bekanntlich der Autor, der den spanischen Kriminalroman künstlerisch von allen Genrelimitationen emanzipiert und ihm, über die Grenzen Spaniens hinaus, neue ästhetische Impulse gegeben hat. Spezifisch für Andreu Martíns Romane aus Barcelona sind unter anderem ihr komplexer bis problematischer Umgang mit Gewalt, ihr düsterer, grimmiger Witz, ihre raffinierte literarische Organisation und ein ätzend-genauer Blick auf ihre Gegenstände, ohne jeden Hauch von Illusion. Sie sind das, was der entsprechende spanische Begriff postuliert: "novelas negras".

Insofern mag es überraschen, daß Andreu Martín in Kooperation mit seinem Kollegen Jaume Ribera eine Reihe von Jugendbüchern geschrieben hat, die zwar den Co-Autor Martín nicht verleugnen können und wollen, die aber höchst munter, gar heiter und natürlich spannend und aufregend daherkommen.

Drei Titel aus der Flanagan-Serie liegen bis jetzt auf deutsch vor, dazu ein Buch ohne Flanagan, auf das alles gleichwohl zutrifft, was die Serie auszeichnet. Hilfreich und gut ist es zudem, daß Marion Lütke diese vier Bücher sehr liebevoll ins Deutsche gebracht hat.

Flanagan ist knapp fünfzehn Jahre alt, heißt natürlich nicht wirklich Flanagan, sondern Juan Anguera, und lebt mit seinen Eltern, die eine Kneipe betreiben, und seiner Schwester Pili in einem der weniger feinen Viertel von Barcelona. Weil in diesem Viertel jeder sehen muß, wie er sich ein paar tausend Peseten dazuverdienen kann, betreibt Juan ein Privatdetektivbüro, das für und gegen seine Mitschüler ermittelt. Welche Musik hört das schärfste Mädel aus der Parallelklasse am liebsten, wie kann man besten bei ihr landen, wie ist ihre BH-Größe? Denn das Sexual rumort naturgemäß gewaltig in dieser Altersgruppe.

Gefährlich wird's für Flanagan (Juan nennt sich Flanagan, weil Detektive eben Flanagan heißen, basta, und sein großes Idol Philip Marlowe ist, was manchmal böse mit der schnöden Realität kollidiert, denn der smarte Flanagan muß hin und wieder im grünen Schürzchen den Abwasch machen), gefährlich also wird es, wenn er in Affären hineinrutscht, die definitiv zu groß für ihn sind: Drogen- und Kinderhandel, ein veritabler Mord und ähnliche Dinge des Alltags, die man, zumal in dieser Ecke von Barcelona nicht nicht mitkriegen kann, wenn man ein helles Kerlchen ist. Und das ist Juan, ein sehr helles sogar. Er hat schließlich nur seinen Verstand, seinen Witz und seine Magnum 357, die sich dann allerdings doch nur als Steinschleuder herausstellt.

Martín/Riberas Kriminalromane für Jugendliche sind deswegen so erfreulich, weil sie ihre Klientel ernstnehmen. Sie sind locker, witzig, schnell und spannend erzählt, spielen souverän und hochkomisch mit dem Private-Eye-Pathos vom einsamen Wolf auf regennassen Straßen (und sind deswegen auch schöne Parodien auf Chandler & Co.) und benutzen dennoch oder gerade die Struktur des klassischen Detektivromans, um ihre Leser bei der Stange zu halten. Man will dringend wissen, wie es weitergeht, wie Flanagan diesmal den Fall klären und aus den ausweglosen Situationen, in die er sich in seinem jugendlichen Leichtsinn verrennt, wieder herauskommen wird. Man leidet mit bei seinen Liebesqualen, und man freut sich, wenn er die diversen Scheusale vom Typ dicke Muskeln, kleines Hirn wieder mal elegant aufs Kreuz gelegt hat.

Erfreulich auch, daß Martín/Ribera zwar die Märchenstruktur des Detektivromans mit all ihren kommunikativen Möglichkeiten ausnutzen, die Geschichten und ihr Umfeld aber in den unschönen Realitäten von heute verwurzeln. Ihr Barcelona ist keine heitere Touristenstadt unter dem ewig blauen Himmel Spaniens, sondern eine harte, schmutzige Großstadt mit allen Problemen - von Arbeitslosigkeit bis Rassismus, von Armut bis soziale Hochspannung. Dieses Milieu diktiert die Abenteuer, die Flanagan erlebt. Und die Kunst von Martín/Ribera besteht darin, diese unkindliche rauhe Wirklichkeit liebevoll und trotz allem als lebenswert zu beschreiben, die verschiedenen Möglichkeiten, wie man mitten im Dreck überlebt und wie sich soziales Zusammenleben mühsam, aber dennoch machen läßt, aufzuzeigen. Ohne pädagogischen Zeigefinger und ohne Scheuklappen.

Immer wieder blitzen liebenswerte Miniaturen auf: Wenn sich Flanagan zum Beispiel freut, bei seiner angebeteten Carmen und ihre Cigano-Sippe andalusischen Dialekt zu hören - im national-staatlich, bzw. -sprachlich bisweilen sehr bornierten Katalonien keine Selbstverständlichkeit.

Die drei Flanagan-Romane und die spielerische Adaption von James M. Cains The Postman Always Rings Twice, die hier "Wenn der Postmann tausendmal klingelt" heißt, sind Jugendliteratur, wie sie sein soll: Auf hohem sprachlichen Niveau, mit spannender Action, mit einem wachen Blick auf Realitäten, die ihre Adressaten ernst nimmt. Und das ist nicht nur eine Definition von Jugendliteratur.

© Thomas Wörtche, 1996
(Freitag)

 

Andreu Martín/Jaume Ribera:
Alle Detektive heißen Flanagan.
Keine Angst vor kleinen Fischen, Flanagan.
Wasch dir nicht die Hände, Flanagan.
Wenn der Postmann tausendmal klingelt.
Alle übersetzt von Marion Lütke.
Kevelaer, bzw. Weinheim: 1993 - 1996: Anrich Verlag, je DM 29,80

 

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