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Crackersüchtig

Thomas Wörtche über eine Fernsehserie, die sich zum heimlichen Straßenfeger entwickelte

 

Ich bin "Cracker"-süchtig. Angefixt nach fünfzehn Minuten der ersten Folge der britischen Fernsehserie, die im ZDF unter dem Titel "Für alle Fälle Fitz" heißt und als "Psycho-Krimi" angekündigt worden ist. Hinter "Psycho-" verbirgt sich oft an den Haaren herbeigezogener Unfug, insofern war ich skeptisch. Aber nach der ersten Viertelstunde der ersten Folge auf dem ungünstigen Sendeplatz am Sonntag abend kurz vor zehn, hatte mich der fette Robbie Coltrane als versoffener, zockender, ehebrechischer, aber genialer Psychologe, der von der Polizei für schwierige Fälle angeheuert wird, im Bann. Überzeugend auch der Umgang mit Gewalt: In einem Zug passiert ein widerwärtiger Mord, die Inszenierung läßt keinen Zweifel, daß da ein Irrer aufs Scheußlichste metzelt. Aber es fehlt - wohltuend! - alles "Leckere" für Gewaltgeile, die Zuschauer werden nicht mit den eklen Details einer Schlachteplatte konfrontiert. Nach elf Episoden hat das Anfangsniveau gehalten: Brillante Schnitte, Tempo, genauer Blick für Details, realistischer Schauplatz (Manchester, nicht sehr idyllisch), realistische Situationen (überwacht von Beratern aller Fachgebiete), Leute, die normal reden, schnelle, komische, manchmal grausam-komische Dialoge, unerwartete Wendungen und Drehs, atemberaubende Spannung, wunderbare Schauspieler bis zur kleinsten Nebenrolle und brillante, kühne Drehbücher. Selbst die Synchronisation ist gut. Innovatives Fernsehen dieser Qualität wird heute kaum noch gemacht.

"Fitz" wurde zum heimlichen Straßenfeger, Verabredungen sind Sonntags abends unmöglich. Die TV-Kritik jedoch ist, verglichen etwa mit dem in (fast) allen Belangen schwächeren "Schattenmann", zurückhaltend. "Fitz" wird, wenn überhaupt, besprochen wie eine x-beliebige Krimiserie. Das ist sie nicht. Entwickelt wurde sie 1993 von dem Produzenten Gub Neal, der Chefdramaturgin Sally Head (von Granada TV), dem Autor Jimmy McGovern und bald schon von der Idealbesetzung Robbie Coltrane. Die (richtige!) Überlegung war, daß die Zuschauer "Heißhunger auf intelligente Fernsehspiele" und die "arrogante Bevormundung" satt haben, mit der irgendwelche Veranwortlichen dekretieren, was "geht" und "nicht geht". Es geht, mit Riesenerfolg sogar: Eine Generalattacke auf alle verlogenen gesellschaftlichen Konsense und Tabubrüche, die wirklich wehtun, weil eben das Medium die Realität nicht definiert, sondern sich auf sie einläßt.

"Fitz", eine (deswegen?) beliebte TV-Serie, riskiert, alle Figuren zwangsläufig zu demontieren: Am Ende sind alle schuldig. Fitz, weil er ein arroganter Kotzbrocken ist, ein sozialdebiles Beziehungsmonster, dessen intellektuelle Eitelkeit Menschenleben kostet; Sgt. Jane Penhaligon (Weltklasse: Geraldine Somerville), die vergewaltigt wird und einen eisig-rasenden Rachefeldzug beginnt; ihr Vergewaltiger Jimmy Beck, der "meistgehaßte Bulle im ganzen UK", grandios verkörpert von Lorcan Granitch, der heulend auf Irrsinn, Selbstmord und Mord zusteuert; dazu alle Figuren der einzelnen Episoden, die, Täter oder nicht, irgendwie in Schuld und Versagen verstrickt sind. Wir Zuschauer bleiben dran, denn es sind normale Menschen, die wir alle verstehen, an denen wir hängen, weil wir sie alle auch sind. Die Serie ist so gelungen, weil sie große Themen (Liebe, Haß, Tod, Verrat) mit ungeheurer Intensität, schwarzem Humor und in alltäglichen Situationen ausreizt. Damit kann jeder etwas anfangen, die Krimi-Dramaturgie fügt ideal die Emotionen (auch den Wunsch nach Wahrheit, Er- und Auflösung, gnädiger Lüge) zu einzelnen Geschichten und webt die Entwicklungen der Figuren durch die ganze Serie. Nach dem zwölften Stück ist Schluß; "Fitz" soll sich nicht totlaufen, meinen die Beteiligten.

Im Oktober lief in England das erste "Cracker"-Special. Keine Serie mehr, sondern ein Einzelstück.

© Thomas Wörtche, 1996
(Wochenpost)

 

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