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Am Rande der Spaghetti-Opern

Thomas Wörtche über Rich Cohen und sein Buch
»Murder Inc. oder Nicht ganz koschere Geschäfte in Brooklyn«

 

Murder Inc. Im großen und ganzen ist die Geschichte bekannt. Wir haben sie tausendmal im Kino gesehen: die Gründungsjahre des organisierten Verbrechens in New York zwischen 1920 und 1950, die Bandenkriege, der Aufstieg und Fall der großen "Familien". Im kollektiven Unterbewußtsein halten wir die italienische Cosa Nostra schon für die ganze Mafia. Und lediglich am Rande der Spaghetti-Opern tummeln sich Namen, die so wunderbar sind, daß sie sich in die globale Gangster-Folkore eingebrannt haben: Louis "Lepke" Buchalter, Gurrah Shapiro, Arthur Flegenheimer, genannt "Dutch Schultz", Abbadabba Berman, Albert Tick-Tack Tannenbaum, Little Farvel Cohen, Dasher Abbandando oder Abe Kid Twist Reles.

Die Menschen hinter diesen putzigen Namen waren wenig putzig: Totschläger und Mörder, die andere Leute erschossen, zerhackt, erwürgt, verbrannt, ersäuft und sonstwie zu Tode gebracht haben. Sie hatten, als in Europa Juden erschossen, mit Gas vergiftet, erschlagen und sonst grauenhaft ermordet wurden, ihre große Zeit in den USA und waren selbst allesamt Juden.

Sie kamen aus dem damals großenteils italienischen Brooklyn, aus dessen Stadtteilen Bensonhurst, Brownsville, Flatbush oder East New York (nicht aus dem "Ostteil New Yorks", wie der oft ungelenk agierende Übersetzer meint). Sie waren "Murder Incorporated", die Exekutiv-Abteilung des italo-jüdischen Konzerns, den man mangels eines besseren Wortes am besten Mob oder Combination nennt. Zwar war "Murder Inc.", verglichen mit den wirklichen Destruktionskräften des Jahrhunderts, lediglich eine Fußnote. Aber während Intellektuelle die Normalität des Umgangs von Juden und Nicht-Juden hier und heute debattieren, ist ein Blick auf diese lebenspraktische Normalität von damals spannend - auch wenn er wehtut.

Rich Cohen, Jahrgang 1968, Nachfahre Brooklyner Juden, hat die Kultur-Geschichte dieser Gangster mit starken, neuen Akzenten nacherzählt - als Geschichte explizit jüdischer Gangster. Die Inszenierung, die Cohen, Autor des Rolling Stone und des New Yorker, wählt, denkt den quasi-mythischen Charakter mit, den Gangster-Geschichten in den gewaltbessenen USA immer haben. Cohens Fakten sind hart und vorzüglich recherchiert, lediglich der Blick in die Köpfe der tough guys fiktionale Setzung. Der Rest ist gekonnte Montage.

Rich Cohen ist fasziniert von Lepke & Co., weil er faszinierende Geschichten von seinem Vater und seiner Großmutter gehört hat, die wiederum von den Gangstern fasziniert waren, weil sie in ihrem Diner zwischen Livonia und Pitkin Avenue immer wieder die Prominenz von "Murder Inc." zu Gast hatten oder sie auf der Straße promenieren sahen. Diese doppelte und dreifache Interpolation und der wahrnehmungsprägende Umstand, daß viele der handelnden Personen schon im Medium Film ikonographiert sind, trägt wesentlich zum Vergnügen an Cohens Buch bei. Vater Herbie wuchs regelrecht unter den ehrfürchtig bestaunten Gruselgestalten auf. Später spielten Herbie und seine Freunde Sid, Ash und Larry (damals Zeiger, heute King) mit ihrer eigenen kleinen Gang, den Warriors, Westentaschengangster. Heute treffen sich die alten Herrn gern bei Nate'n'Al's in Beverly Hills. Sie haben lieber auf Immobilien, Versicherungen und Medien gesetzt und sind auch so reich geworden. Aus ihren Erinnerungen und Idiosynkrasien entwickelt Rich Cohen die wahre Story der "unkoscheren Geschäfte in Brooklyn".

Die Gangster sind alle tot (der letzte, Meyer Lansky, starb 1983), man möchte sie allmählich gerne vergessen können. Denn, sagt Cohen, den jüdischen Familien der amerikanischen Mittelschicht ist das Thema peinlich. Ihnen wären sogar an dieser Stelle die Rollenklischees, gegen die sie ansonsten Sturm laufen würden, lieber. Juden als Buchhalter, als kühle Finanzgenies der Unterwelt, kein Problem. Aber als knallharte, erbarmunglose Auftragsmörder? Dabei könnte die ganze Angelegenheit so schön dem Klischee entsprechen.

Am Anfang war, könnte man sagen, Arnold Rothstein. Der kam aus einer reichen Familie aus Manhattans Upper East Side und wurde - aus purem Daffke oder Opposition zum frommen Vater - Gangster der feineren Machart downtown. Erst Spieler, dann Geldgeber, dann juristischer Berater. Bei ihm haben alle gelernt, die später in der Branche erfolgreich wurden: Frank Costello, Lucky Luciano und Meyer Lansky. Nach Rothsteins frühem Tod (1928 erschossen) und einigen Strukturreformen wie dem blutigen Castellamarese-Krieg, aus dem Luciano & Co. und damit die modernen Managementmethoden siegreich hervorgingen, war diejenige Mafia etabliert, die "Murder Inc." beschäftigte. Zur effizienten Konfliktbereinigung unter der Leitung von Albert Anastasia. Aber so einfach ist es nicht.

In seinem Buch "Movieland" beschreibt der in der Bronx großgewordene Jerome Charyn, wie Hollywood, das später mit viel Chuzpe aus und mit ebendiesen Gangstern bares Geld machte, in Minsk seinen Anfang hatte. "Movieland" ist eine Art Parallelgeschichte: Kino und Verbrechen verlaufen analog. Denn aus Minsk, aus Odessa, aus den Shtetls, aus ganz Pogromland kamen in der Mitte und am Ende des 19. Jahrhunderts die Juden, die vor allem entkommen und überleben wollten. Die sich notgedrungen neu erfinden und neu definieren mußten.

Sie kamen in eine Gesellschaft, die ihnen nicht selbstverständlich wohlgesonnen war, die ihre antisemitischen Teile hatte, ihnen aber Freiheiten gab. Zum Beispiel diejenige, Filmmogul zu werden. Oder Gangster. Eine Option, die in Pogromland undenkbar war. Bevor Rothstein und seine Jungs den Mob zu einer Wirtschaftskraft machen konnten, mußte es die ultrabrutalen Überlebensstrategen gegeben haben: Monk Eastman etwa, einen besonders groben Klotz, dessen Talent zum Töten im Ersten Weltkrieg derart aufblühte, daß man ihm, als er als notorischer Gangster in den 20ern einer Straßenfehde zum Opfer fiel, ein Begräbnis mit militärischen Ehren gewährte. Eastmansche Talente wurden weiter gebraucht. Kid Twist und die Jungs aus Brooklyn hatten reichlich davon. Männer, schreibt Cohen, die "nicht mal ahnten, daß Juden schwach zu sein haben, waren auch nicht schwach."

Also spitzt er seine Gangster-Geschichte zum Gegenbild der Ereignisse in Europa zu. Die jüdischen Gangster seien die einzigen gewesen, die sich über die Nazis keine Illusionen machten: "Als der Krieg ausbrach, konnten sie die Nazis besser als die meisten gesetzestreuen Bürger verstehen. Sie hatten erfahren, wozu der Mensch fähig war, ahnten, wie weit jemand wie Hitler gehen würde, und wußten, daß man nicht mit Vernunft, mit Verträgen oder Sanktionen dagegen ankam." Sie waren die reale, waffentragende Antithese zum in feingeistig-philosemitischen Kreisen beliebten Bild der jüdischen Gelehrsamkeit, die wenig nützt, "wenn die Schaftstiefel die Treppe raufpoltern."

Jüdische Gangster knüppelten Versammlungen der amerikanischen Nazis vom "German American Bund", nieder. Daß dies auf Bestellung besorgter Politiker geschah, tat der Freude an der Arbeit keinen Abbruch. Es steckt eine grausige Ironie darin, daß 1944, als der Holocaust auf Hochtouren lief, Lepke & Co. auf politisches Betreiben hingerichtet wurden. Oder wie Cohen maliziös schreibt: "Die jüdischen Gangster haben den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt". Zumindest nicht die gewalttätigen. Aber es waren auch "hervorragende, wohlerzogene Juden zu Tausenden in den Tod geschickt worden."

Dieses böse Paradox, das Bewußtsein vom Holocaust, das schlimme Ende der Gangster und der Umstand, daß die jüdischen Mobster keine Familiengeschäfte begründet hatten, brachte, so Cohen, "eine neue Art Juden hervor, eine Mixtur aus Uptown und Downtown". Die hatte neue, legale Chancen, und nutzte sie. Was bleibt, beschreibt Cohen am Ende seiner grandiosen Tour d'horizon, sind "ein Stil, eine gewisse Härte, eine Pose".

 

© Thomas Wörtche, 1999
(Tagesspiegel, 21.03.1999)

 

Rich Cohen: Murder Inc. oder Nicht ganz koschere Geschäfte in Brooklyn. (Tough jews, fathers, sons, and gangsters' dreams). Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2000, 366 Seiten, 9.90 Euro (D)
(Die Besprechung bezieht sich auf die gebundene Erstausgabe Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag, 1999)

 

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