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Die Renaissance des Noir?

Auch wenn das Subgenre nie wirklich verschwunden war, werden zunehmend wieder Krimis unter dem Label Noir vermarktet. Was sind die Gründe? Auf die Suche nach einer Antwort begibt sich

Thomas Wörtche

 

Gerade im besonders marktorientierten Bereich der Kriminalliteratur wird viel mit Schlagwörtern und Labels gearbeitet, die die Produktion und die Rezeption lenken sollen. Was zum Beispiel "Krimi" ist und was "Thriller" entscheidet inzwischen das Marketing, und das Publikum übernimmt diese schwach definierten Rubriken gerne. Dabei kommt es zu interessanten Verschiebungen: Verstand man früher unter "Thriller" entweder "Psychothriller" à la Patricia Highsmith oder "Politthriller" à la John Le Carré, assoziiert man heute hauptsächlich Serialkillerromane oder Soziopathen-Stories. In letzter Zeit jedoch bemerkt man immer mehr die Wiederkehr der Kategorie Noir. Daniel Woodrells Sozialstudie »Tomatenrot« (Liebeskind) würde dazu gehören, Nathan Larsons dystopischer Roman »Zero One Dewey« (Polar) oder Candice Fox' Vergeltungsgeschichte »Hades« (Suhrkamp).

Sucht man allerdings nach gemeinsamen ästhetischen oder strukturellen Merkmalen, wird man sich schwer tun. Alle drei haben eigene sprachliche Mittel, eigene Perspektiven und sehr unterschiedliche Figuren(konstellationen). Übrig bleiben eine gewisse dunkle Stimmung, eine Atmosphäre des Düsteren, Unbehaglichen, ein pessimistischen Menschenbild, eine ausweglose Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse und die Ahnung von Unglück und Katastrophe.

Und tatsächlich sind genau das die Oberflächensymptome, die man für den historischen Noir, ob in Film oder Literatur gerne reklamiert: Jene Strömung der 1940er und 50er Jahre, die von Europa in die USA und von den USA nach Europa, hauptsächlich nach Frankreich migrierte, in scharfer schwarz/weiß-Ästhetik Echos des expressionistischen Films aufnahm und in den Werken von David Goodis, Cornell Woolrich, Jim Thompson oder James M. Cain die ideale Vorlagen gefunden hatte. Auch dort die existenzialistische Verzweiflung über homo sapiens in einer transzendenzfreien kontingenten Welt, erschüttert von den Menschheitskatastrophen beider Weltkriege. Einer der düstersten Autoren der Weltliteratur, Derek Raymond, stellte die These auf, dass der Noir schon immer eine "unterirdische Bewusstseinsströmung" der Kulturgeschichte war, die sich an bestimmten Zeitpunkten mehr oder weniger deutlich manifestiert.

Vermutlich ist deswegen die gefühlte Rückkehr des Noirs in der Kriminalliteratur (und ihren medialen Spin-offs wie die Serie »True Detective«) tatsächlich eine deutliche Reaktion auf die Krisen- und Spannungslagen auf dieser Welt. Zwar war der Noir nie wirklich verschwunden - ersichtlich am französischen roman noir oder hispanophonen novela negra - , er war aber ein deutliches Minderheitenprogramm, das zumindest im deutschsprachige Raum in der ganzen Flut der letztendlich optimistischen oder lediglich Geisterbahngrusel ausstrahlenden Narrativen unterzugehen drohte. Wenn sich Candice Fox über CSI-Forensik lustig macht oder Nathan Larson für die Vorstellung, es gäbe benevolente Behörden oder Autoritäten, nur noch Spott und Häme übrig hat, sind das auch direkte Antworten auf all die unzähligen braven oder weniger braven Kommissare, die ihre Fälle lösen, auf die dann doch zur Strecke gebrachten Mehrfachtäter und überhaupt auf die Vorstellung, die Welt ließe sich ordnungspolitisch in den Griff bekommen.

Trotzdem sollte man mit dem Begriff Noir vorsichtig umgehen: Ist der sensationelle Erstling »Das zerstörte Leben des Wes Trench« von Tom Cooper (Ullstein), tatsächlich ein Country Noir, obwohl er alle Zutaten für diese Bezeichnung vereinigt oder eben nicht, weil er nicht notgedrungen mit Schrecken und Horror endet? Sind Ken Bruens fröhlich-zynische Genre-Exerzitien wie »Die Füchsin« (Polar) tatsächlich mehr als das, wobei sich die Frage stellt, ob Noir überhaupt komisch sein darf? Obwohl: Wenn der Noir ungebrochen und damit auch unkomisch daherkommt, besteht die Gefahr, dass er im Kitsch Noir endet. Dann nämlich, wenn die Unausweichlichkeit des bösen Endes derart pathetisch wird, dass Noir nur noch stramm einem überraschungsfreien Ende zustrebt, wie es gerade bei einem Schweizer Versuch, ganz arg düster zu sein, passiert ist: in Andrea Fischer Schulthess' Mutter-Kind-Drama »Motel Terminal« (Salis Verlag).

Als Korrektiv zu allzu optimistischen Entwürfen ist Noir sehr willkommen, als neue Normativität weniger.

 

© Thomas Wörtche, 2016
(Buchkultur,
Krimi Spezial,
Sommer 2016
)

 

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