legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Wo kein Wissen ist und keine Ahnung...

Kultur hebt. Auch den Kriminalroman? Von Thomas Wörtche

 

Gerade hab ich es wieder in einer Rezension gelesen: »Dunkelkammer«, das Romandebut von Louise Welsh verwische irgendwie die Grenzen von »Literatur« und »Krimi«. Man könnte darüber grübeln, was schlimmer ist - dass jemand so etwas schreibt, oder dass eine seriöse Zeitung so einen Satz druckt. Aber das ist jetzt nicht der Punkt. Es gibt einen Typus Buch, der sozusagen das Schlimmste im Feuilletonisten rauskitzelt, in dem er auf numinose Art insinuiert, er sei »mehr als ein Krimi« - also nicht zwei Krimis, sondern was Besseres.

»Dunkelkammer« gehört in diese Kategorie. Man erkennt Romane dieses Typus daran, dass sie etwas seltsam Prätentiöses ausstrahlen. Zum Beispiel heisst der Held in diesem Fall Rilke. Das Buch spielt zwar in Glasgow, aber Rainer Maria darfs schon sein, denn der Held bei Welsh ist schwul. Und wenn jemand schwul ist, dann - auch das gehört zum Mehr-als-Typus - können wir die Uhr danach stellen, dass wir es bald mit Devianzen zu tun kriegen. In diesem Fall Snuff-Pornos. Nun ist es aber im Zeitalter der politischen Korrektheit streng verboten, die Assoziation zu bedienen: Aha, Schwule und Devianzen, das gehört ja zusammen. Was natürlich auch ausserhalb von dieser Sorte Literatur niemandem einfallen würde. Hier schon, denn die Autorin blättert jetzt in der Abteilung »Motti« den ganzen Zettelkasten kulturhistorisch relevanter, wenn auch ein wenig dekadenter oder sonstwie problematischer Autoren auf - die ganze Schwarze Romantik rauf und runter, Mario Praz lässt grüssen. Dadurch entsteht ein Textmilieu des an sich Wertvollen, weil kulturgeschichtlich Abgesicherten, das mit dem unglücklichen Junktim schwul/deviant und dem bloss Schmuddeligen (Snuff-Pornos) so gar nicht zur Deckung zu bringen ist. Aber wohl erbauliche Lektüre verspricht. Erbaulicher und kultivierter auf jeden Fall, als die unschönen Verhältnisse, die ein weniger nobel daherkommender Roman über die Pornoindustrie zu bieten hätte.

Man kann diese Art der Nobilitierungsstrategie als eine »aus zweiter Hand« bezeichnen - der Autor, die Autorin traut der Literarizität des eigenen Textes nicht so ganz und polstert ihn ab. Auch die diesjährige Gewinnerin des Glausers, Gabriele Wolff, verfährt so. Ihr Roman aus der Beamtenwelt, »Das dritte Zimmer«, eine reichlich aktenstaubige Angelegenheit, bekommt Bildungssignale von Thomas Mann bis Elias Canetti und schon wieder Rilke en gros und en détail beigepackt. Achtung: Dieses Verfahren ist natürlich völlig ironiefrei, denn die eingebaute Kultur hat nur einen Auftrag: Sie soll heben.

Die zweite wichtige Nobilitierungsstrategie ist der Literaturverdacht. Weil das Literatur/Krimi-Schisma immer noch in den Köpfen nistet (oder immer mehr oder immer wieder), ist das im Grunde die einfachste Nummer. Man muss nur ein paar Bücher geschrieben haben, die deutlich keine Kriminalliteratur waren und damit feuilletonnotorisch geworden sein. Wenn man dann einen Krimi vorlegt, hat man automatisch das niedere Genre »geadelt« und es »zu sich heraufgezogen«. Das Schöne daran: Eine Qualitätskontrolle findet nicht statt, weil alles, was misslungen, schauderhaft oder sonst wie schief geraten ist, unter grundsätzlichem Literaturverdacht steht. Und Literatur darf bekanntlich alles.

Prominente Beispiele sind Irene Disches realitätsfreier Profi-Killer-Roman »Ein Job«, Martin Walsers peinlicher Polit-Thriller »Dorle und Wolf«, von seinem Kritiker-Krimi und Bodo Kirchhoffs »Schundroman« wollen wir lieber gar nicht erst reden. Eher bizarre Bücher wie Georg Kleins »Barbar Rosa« regten zu allerlei putzigen Ausführungen über Detektivromane an und Thomas Hettches lustiger Versuch, ausgerechnet Charles Willeford zum grossen Unbekannten zu stilisieren, wirkte deshalb besonders kreuzkomisch, weil man Hettches wackeren, aber letztendlich bloss biederen True-Crime-Roman »Der Fall Arbogast« partout als grossen Knaller verstehen wollte. Und jetzt kommt Matthias Altenburg als Jan Seghers mit »Ein allzu schönes Mädchen« - einem Buch, das zwar näher an der Dorfgeschichte des 19. Jahrhunderts grast als an irgendeiner tauglichen kriminalliterarischen Vergleichsgrösse, aber das macht nichts. Denn die Sachwalter der Hohen Literatur haben nicht die geringsten Probleme, die Krimis der Literaten als Krimis einzuordnen - und zwar gleich als Spitzenprodukte. Wo kein Wissen ist und keine Ahnung, da gibt es eben keine Probleme.

Der stellvertretende Literaturverdacht borgt sich das Renommee. Zum Beispiel vom Erscheinungsort. Die geradlinige Variante: Henning Mankell & der Hanser resp. Zsolnay-Verlag. Medienecho ist dabei schon schlicht durch den Verlag garantiert. Hanser-Bücher werden grundsätzlich von Edel-Federn besprochen, also ist keine kriminalliterarische Kompetenz zu befürchten. Und wenn Mankell sich selbst nahe an Shakespeare rückt, erzeugt das in diesem Umfeld keine Lacher, sondern Beifall.

Die absteigende Variante: Diogenes hat sich über ein Vierteljahrhundert lang ein blendendes kriminalliterarisches Renommee erarbeitet - mit Spitzenkräften wie Georges Simenon, Eric Ambler, Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Patricia Highsmith, Margret Millar, Ross Mcdonald, Jim Thompson etc. Ohne dieses angehäufte Qualitätskapital (exakt nach Pierre Bourdieu) wäre es nie und nimmer gelungen, ästhetisch bescheidene Autoren wie Donna Leon oder Ingrid Noll derart durchzusetzen und tatsächlich gehorsame Kritiker zu finden, die Commissario Brunetti als legitimen Nachfolger von Simenons Maigret bezeichnen. Das liegt ungefähr auf der gleichen Ebene wie, James Last als legitimen Nachfolger von Duke Ellington zu propagieren. Glücklicherweise sind die Renommee-Spender alle tot, nur die wunderbare Schriftstellerin Magdalen Nabb muss damit leben, dass ihre persönliche Light-Version Donna Leon sie bei weitem überflügelt und auch noch für bedeutend gehalten wird.

Ein Spezialfall des Literaturverdachts ist der Hohe Ton. Der Ganz Hohe Ton. Altmeisterlich vorgetragen von Jan Costin Wagners »Eismond« - eine deutlich delirante bis unfassbare Handlung (Polizist findet sich serial-killer so verwandt, dass er ihn nimmer schnappen mag) wird derart zart-sensibel, gar blassrosa erzählt, dass kritische Einwände schon als a priori nur von ungeschlachter Grobklotzigkeit herrühren können.

Auch Variante Nummer Zwei und Zwei A sind garantiert ironie-, komik- und humorfrei. Das muss auch so sein, denn sonst funktioniert das ganze Unternehmen Hebung nicht. Und wo keine Komik stattfindet, findet auch keine Relativierung, kein Ätzen, keine Subversion, keine Sabotage an dubiosen Sinnsystemen statt. Ausgerechnet der Kriminalroman, dessen böseste Waffen wider den Irrwitz der Welt genau diese Techniken waren, ist so zu einer artig kopfnickenden, bestensfalls schmunzelnden, irritationsgeschützten und alles in allem tief reaktionären Veranstaltung geworden. Hammett und Ambler würden sich mit Grausen wenden.

Ob aber diese Nobilitiererei etwas gebracht hat? In den Fällen Mankell, Noll, Leon sicherlich schöne Verkäufe. Das ist auch völlig okay. In den anderen Fällen wohl eher nicht. Angerichtet als Tendenz aber hat sie, dass auch der Kriminalroman sich als okönomisches Produkt dem Zeitgeist des wohlig-balsamig Unterhaltenden hingegeben hat. Und damit die gerne repetierte Formel erfüllt, nach der Unterhaltung, also das Leichte, auch automatisch das Belanglose zu sein hat. Und wenn es schwierig wird, das Literarische auf den Plan gerufen werden muss. Ein seltsamer Kreislauf der sich gegenseitig bedingenden Vorurteile und Dünkelhaftigkeiten, die auch eine unnötige Reduktion bedeuten. Ambler war unterhaltsam, weil aus eigener Kraft und nicht leihweise literarisch, dabei komisch, spöttisch und im besten aufklärerisch. Donna Leon unterhält, weil sie all dieses nicht mehr zu sein braucht, und Jan Costin Wagner unterhält nicht, ist aber bedeutsam, deswegen aber keinesfalls aufklärerisch, sondern gegenaufklärerisch. So wie Louise Welsh.

Allen beispielhaft Genannten gemeinsam aber ist, dass sie kein Gran originell sind, kein bisschen innovativ und kein bisschen ästhetisch spannend. Ob die Produktformel so rum tickt oder so rum, das ist dann letztendlich auch schon egal. Wenn das »Kriminal-« nur als ökonomischer Erfolgsgarant herhalten muss, stagniert Kriminaliteratur ästhetisch und funktional im Gefüge des »literarischen Feldes«. Und das ist nun nichts Neues.

 

© Thomas Wörtche, 2004
(Buchkultur, Juli 2004)

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen